1. Mai, Spaß dabei

Auch diesmal war die autonome 1. Mai-Demo ein faszinierendes Phänomen.

"Zum ersten Mal hab' ich die Bullen richtig rennen gesehen. Diesmal haben sie nicht nur ausgeteilt, sondern auch gehörig eingesteckt", begeistert sich ein jugendlicher Beteiligter der Straßenschlacht am 1. Mai in Prenzlauer Berg. Natürlich fällt unter den Tisch, daß die Polizei keine Stunde brauchte, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Aber für diese kurzen Stunden der Revolte leben wir.

Wie jedes Jahr stehen sämtliche politischen Akteure der Stadt fasziniert vor dem Phänomen: Da wird mit minimaler Mobilisierung und einfachsten Parolen ("Enough is enough") zur autonomen revolutionären 1.Mai-Demo aufgerufen. Und wie aus dem Nichts tauchen auf einmal 10 000 Jugendliche von 13 bis knapp über 20 Jahren auf. Die über 30jährigen verlieren sich in der Masse der Demo.

Diese Jugendlichen sind in ihrer Mehrheit auf keiner Demo mit "korrekten Inhalten" wie zum Beispiel gegen das Asylbewerberleistungsgesetz oder den Erwerbslosendemos anzutreffen. Und doch sind sie überhaupt nicht unpolitisch. Zwischen der Demo der stalinistischen Sekten um 13 Uhr auf dem Oranienplatz und der hauptsächlich von der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) und autonomen Gruppen getragenen Demo um 18 Uhr ab Rosa-Luxemburg-Platz können sie sehr wohl unterscheiden. Die diffuse Orientierung am eher undogmatischen Flügel der Autonomen ist unübersehbar.

In diesem Rahmen wird auf die Gelegenheit zum Angriff und "Randale" gewartet, und wenn sie sich bietet, auch genutzt. Daß dabei der zwischen dem ComTech-Computerladen und der McPaper-Filiale gelegene An & Verkauf auch mitgenommen wird, bringt die "KaderInnen" der Autonomen seit Anbeginn zur Verzweiflung. Und treibt sie in eine beobachtende, zuschauende Position. Wie eben auch mich. Fasziniert stehen wir daneben und fragen uns wie Verliebte: Wo kommen sie nur her? Wo gehen sie danach hin? Wie können wir sie morgen wiedersehen, und nicht erst in 365 Tagen? Und wie können wir sie unserem Traumbild einer/s politisch bewußten und gezielt handelnden Revolutionärin/s annähern?

Doch das Beste in diesem Jahr ist: die meist jugendlichen Akteure der diesjährigen 1.Mai-Demo haben dem Berliner Innensenator Schönbohm die erste richtige politische Niederlage seit langem beigebracht. Denn Sieg oder Niederlage in der Politik bestimmen sich zum Glück nicht nach militärischen, sondern politischen Kriterien. Und gemessen wird an den von den Akteuren formulierten Vorgaben. Schönbohm hat dem Bürgertum der Stadt "Ruhe und Ordnung" mittels eines harten Durchgreifens und Zerschlagung der autonomen Szene versprochen. Dies ist ihm nicht gelungen. Vielmehr hat er hart zugeschlagen, und trotzdem ist es zu den "schwersten Krawallen seit Jahren" gekommen. Jetzt fällt ihm nichts mehr ein, und entsprechend stottert er in der "Berliner Abendschau" rum.

Anscheinend hatte die Polizeiführung zu viele Kräfte zur Verfolgung der aus Leipzig zurückkehrenden Busse, in denen sie die "AnführerInnen" der Autonomen vermutete, eingesetzt. Gleichzeitig wurde den Einsatzleitern vor Ort im Prenzlauer Berg sofortiges Einschreiten bei "jeder Straftat" befohlen. Doch dazu reichten die Kräfte nicht. So gelang es den DemonstrantInnen, die Angriffe der Polizei auf die Demo-Spitze zurückzuschlagen. Schönbohm kann die geforderte Ware "Ruhe und Ordnung" nicht liefern. Ganz zu Schweigen von einem Verschwinden der Autonomen. Als diffuses Milieu, aus dem heraus jederzeit etwas passieren kann, sitzt es weiterhin als Stachel im Fleisch der Stadt.

So dauert es keine 48 Stunden, bis in der Berliner Zeitung der Rücktritt Schönbohms gefordert wird, "um weiteren Schaden für das Ansehen der Hauptstadt abzuwenden". Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) widerspricht offen der Polizeiführung und berichtet von schöngeredeten Verletztenzahlen (über 100 statt 17) und fühlt sich durch eine falsche Polizeitaktik verheizt.

Der taz wird der Name des verantwortlichen Einsatzleiters gesteckt und wer vor zwei Jahren auf seiten der Polizei den Einsatz zur Walpurgisnacht versiebt hat. Die eher sozialdemokratische Fraktion in der Polizei wittert Morgenluft. Was nur zeigt, wie angeschlagen Schönbohms Position polizeiintern schon ist. Auch der Tagesspiegel haut Schönbohm seine Überlegungen zum Verbot der autonomen

1. Mai-Demo um die Ohren. War für ihn vor einem Jahr ein Verbot des Naziaufmarsches in Hellersdorf nicht völlig indiskutabel? Deswegen wird er noch lange nicht zurücktreten. Aber sein Machtkonzept ist offensichtlich am Anfang ihres Endes angekommen. Unter anderem besiegt von jenen Autonomen.

Und die Demo selbst? Gemessen daran, daß es nicht viel mehr als ein politisches "music-event" sein sollte, war sie ein Bombenerfolg. Seit langem hat kaum eine Demo so viel Spaß gemacht. Der Lautsprecherwagen auf einem 30-Tonnen-Tieflader brachte die Musik bestens rüber. Und es ist einfach wunderschön, gemeinsam mit 10 000 Leuten in der Torstraße in den Sonnenuntergang zu laufen. Von der Polizei wurde nicht weniger als letztes Jahr in die Demo reingeknüppelt. Aber im Unterschied dazu war diesmal die Stimmung und das Verhalten dagegen aus der Demo heraus fundamental anders. Viel weniger verängstigt und viel widerspenstiger. Enough is enough.

Der Autor lebt in Berlin-Kreuzberg und bewegt sich in libertär-autonomen Zusammenhängen.