Beutekunst

Der Boden der Freundlichkeit

Von der Unmöglichkeit, Politik zu machen, ohne Kultur zu betreiben.

I.

Der bei der Benutzung von Cyberspielsachen entstandene Sprachgebrauch hat gewollt, daß "links" heutzutage seltener als ein politische Orientierungen anzeigendes Adjektiv denn als ein Substantiv im Plural, das Verbindungen meint, Verwendung findet. Um so ungestörter kann jener kleine Teil der Bevölkerung, dem noch an der ersten Verwendung liegt, sich daran begeben, neue Unterbedeutungen zu definieren und Abgrenzungsschneisen in seine Semantik zu schlagen. Im Zuge dieser Entwicklung haben wir es seit einigen Jahren mit Begriffen wie "Kulturlinke" oder "Poplinke" zu tun.

Mehrere Gründe legen es nahe, sich zu diesen Begriffen zu äußern. Ihre Popularität in linksradikalen Kreisen steigt in dem Maße, in dem das, was sie zu erklären oder durch Benennung zu bannen suchen, unverstanden bleibt bzw. verschwunden ist und immer weiter aus dem Blickfeld rückt. Seitdem der unmittelbar strategische Sinn verlorengegangen ist, den diese pejorativ gemeinten Bezeichnungen ursprünglich für ihre Urheber - um Zeitschriften wie konkret, die damalige junge Welt und teilweise die heutige Jungle World - hatten, nämlich die Allianzen und Horizonterweiterungen, die sich rund um Projekte wie Wohlfahrtsausschuß, Innenstadtaktionen u.v.m. ergaben, zurückzuweisen und unplausibel erscheinen zu lassen, stehen die Begriffe noch mehr als zuvor zur freien, irrsinnigen Verfügung.

Schließlich prägen sie - zumindest bei einem Teil des linken Publikums - auch die Rezeption von Zeitschriften wie Texte zur Kunst, Spex, Beute und anderer, die auch der Verfasser dieses Textes beliefert. Und diese Prägungen laufen als Fixierungen durch die Gegend, die längst jenseits der Debatten und Konkurrenzen, aus denen sie ursprünglich entstanden sind, den aktuellen Psychomüll der Linken mitgestalten.

Wie bei anderen Zuschreibungen und Schmähkategorien läßt sich aber auch bei diesen als Gemeinter mit Gewinn auf die eigene Arbeit schließen. Aus dem herabsetzend gemeinten Wort, der Sprechweise der Gegenüber oder gar Gegner läßt sich meistens unschwer ein Bedeutungsanteil extrahieren, der nicht von seiner Intention und dessen Bewältigung getrübt, sondern vom Effekt der eigenen Arbeit auf diesen geprägt ist. Diese freigelegten Spuren des angerichteten Effekts lassen wiederum wertvolle Rückschlüsse auf das eigene Projekt auch dann zu, wenn man auf das bewußte Urteil des Gegners oder Gegenübers nichts gibt. Andere tun einem den Gefallen weiterzudenken oder gar zum Projekt und Konzept aufzublasen und individuelle Positionen als Manifeste machtvoller und gefährlicher Bewegungen zu behandeln, was vielleicht nur Versuch oder verzweifelter Aktionismus war. Sie geben mit ihren Erfindungen unwillkürlich preis, was an einem kleinen Strategem dran wäre, wenn es, einer Logik von Projektionen folgend, eine ganze Strategie generieren würde.

So ärgerlich die in der Linken üblichen paranoiden Projektionen auch sind, sie liefern ausgezeichnete Diskussionsbeiträge, wenn man damit umzugehen weiß. So wie es hilfreich war, von Rechts zum Korrektheitsterroristen gebrandmarkt zu werden, um auszuloten, ob es ein PC-Programm in einem progressiven Sinne wirklich geben könnte, könnte es auch helfen, von der Loony Left zu einer neuen Gattung distinktionsgewinngeiler Kulturlinker emporstilisiert worden zu sein, um herauszufinden, ob die herbeihalluzinierte und -projizierte Strategie vielleicht eine praktikable wäre. Vielleicht eine politische, vielleicht aber wenigstens eine praktikable Geschäftsidee?

Man kann die Karriere von Zuschreibungen wie "Poplinke" oder "Kulturlinke" nicht gut verfolgen noch deren Genealogie offenlegen, ohne kurz zum aktuellen Stand des Schicksals der Links-Rechts-Unterscheidung an sich abzuschweifen. Es ist, anders als gemeinhin angenommen wird, nicht allein eine Spezialität der Rechten oder der sogenannten Mitte, die Leistungsfähigkeit der Rechts-Links-Unterscheidung oder ihre Aktualität anzuzweifeln, auch die radikale oder eine anderweitig fundamentalistisch argumentierende Linke hat daran ihren Anteil.

Zum einen gibt es tatsächlich mit wachsendem Einfluß die allgemeinplatzartige Rede von der überflüssig gewordenen Rechts-Links-Unterscheidung. Meistens verzichtet diese auf Argumente und verweist eher auf angeblich neue, "neuen Zeiten" geschuldete Unklarheiten in der Zuordnung von rechts und links zu angeblich synonymen Begriffen. Da diese nicht mehr funktionieren würden, könne auch die ganze Unterscheidung nicht mehr funktionieren. So wollten doch Linke den Sozialstaat erhalten und seien mithin "konservativ", Rechte ihn aber umbauen und seien daher progressiv oder reforminteressiert. Schon vorher war die ökologische Linke auf das vermeintliche Paradoxon ihres "bewahrenden" Anspruchs festgelegt und damit zu einem früheren Indikator für die angebliche Unmöglichkeit geworden, die Links-Rechts-Unterscheidung aufrechtzuerhalten. Heute meint die Rede von der "konservativen Besitzstandswahrung" nicht irgendwelche Schlösser und Paläste in Mecklenburg-Vorpommern, sondern die genuin linken Interessen der abhängig Beschäftigten. Linke als Konservative?

Da kann doch an den Begriffen was nicht stimmen. In all diesen Argumentationen soll der polarisierenden Funktion der Unterscheidung und dem mit ihr verbundenen moralischen Anspruch der Boden unter den Füßen entzogen werden, indem eine, in einigen oder vielen Definitionen von links und rechts mit dieser Unterscheidung verbundene homologe Unterscheidung zurückgewiesen wird und davon auf den Rest der zu unterscheidenden Komplexe geschlossen wird; von Erhaltung einer sozialen Errungenschaft versus deren Abbau und Abschaffung eines Privilegs versus dessen Erhaltung bleiben dann nur die mal linke, mal rechte Erhaltung oder Abschaffung, und die Sinnlosigkeit der Unterscheidung sei bewiesen. Ziel dieser argumentativen Strategie ist meistens entweder ein prinzipieller Einwand gegen moralische Argumente als Bestandteile politischer oder gegen die Vorstellung, es gäbe so etwas wie eine prinzipielle Wahl der politischen Orientierung. Beide Stellen sind tatsächlich reichlich ungedeckte Flanken jeder Linken. Zu erörtern, warum sie dennoch dringend aufrechtzuerhalten sind, ist hier nicht der Ort.

Zum anderen setzt am Argument der Unmöglichkeit der Wahl - unter anderen Vorzeichen - auch eine linke Zurückweisung der Links- Rechts-Unterscheidung an. Denn daß es zwischen den beiden großen Volksparteien, zwischen Gewerkschaften und Unternehmern, kurz: zwischen den Optionen, die man in einer parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung wählen kann, keine großen Unterschiede gibt, ist ja nicht nur ein Allgemeinplatz des Linksradikalismus, es ist seine primäre Existenzbedingung bzw. Legitimation. Wenn es anders wäre, könnte man ja Sozialdemokrat werden. Es besteht also tendenziell ein punktuell gemeinsames Interesse an der Verabschiedung der Rechts-Links-Unterscheidung, sofern sie sich auf die gesellschaftliche Gesamtheit bezieht.

Dieses Interesse teilen die aktuell hegemonialen Kräfte im Zentrum der Gesellschaft, die Pragmatiker der Macht und die Leute, die wissen, daß es eh keinen Sinn hat, den quasi naturgesetzlich waltenden Kräften des immer als global und total und total global ausgewiesenen Marktes etwas entgegenzusetzen, mit einem bestimmten, ewigen linksradikalen Impetus, der linke Politik nicht in der Einheit einer Fülle gesellschaftlicher Strömungen sieht, die Grundlage eines Sprechens von gemeinsamen linken Merkmalen wäre, sondern als Eigentum einer privilegierten, radikalen Weltsicht, die nicht nur verschärft, zu Ende denkt und zuspitzt, was andere auch denken, sondern einen prinzipiell besonderen und eigenen Zugang zur Wahrheit hat. Dieser Linksradikalismus, der mit niemandem mehr, und sei es durch sogenannte solidarische Kritik, verbunden ist, ist die andere, linke Seite eines Weltbildes, demzufolge nur noch der blinde Markt und seine Eliten, ein paar große Programmierer, Bill Gates und vielleicht die Illuminaten die Welt beherrschen.

So hörte ich neulich, daß sich Leute aus dem Jungle World-Umfeld nicht mehr auf die Linke berufen wollen, weil auch PDS-Politiker, mithin nominell Linke, sich an einer rechtspopulistischen Ablehnung eines Heims für russische Juden beteiligt hätten. Es tauchten Formulierungen auf wie die, daß sich "progressive Kräfte nicht mehr links nennen könnten" - man kann das Nichtfunktionieren von "links" offensichtlich immer nur durch das Festhalten an mindestens so fragwürdigen Synonymen beschreiben. Nicht nur die Lächerlichkeit, dieses vergleichbar kleine linke Verbrechen nun zum Anlaß zu nehmen, mit der Kategorie zu brechen, wofür es, wenn man sich die Kategorie als eine, von den allerdings zum großen Teil ihren eigenen früheren Programmen inhärenten Schrecklichkeiten und Desastern unbefleckte vorstellen will, nun in diesem Jahrhundert seit 1917 genügend Gelegenheiten schon vor der Gründung der Zeitschrift Jungle World gegeben hat, nimmt einen Wunder, sondern wie die plötzliche Verantwortlichkeit derjenigen, die sich sonst gerade durch die Ablehnung, für andere Linke Verantwortung zu übernehmen, kennzeichnen, zu derart weitreichenden Konsequenzen führt. Nun bin ich als Linker plötzlich dafür verantwortlich, wie alle anderen Linken zu sein haben. Und deren empirisches Verhalten kann die ganze, wenn schon nicht nur theoretische, so doch sehr allgemeine und abstrakte Kategorie ruinieren. Dann allerdings könnte man wirklich nicht mehr links sein. Aber was statt dessen? Rechts? Und wäre sowieso schon sehr nahe an der alten reaktionären Einsicht, daß Politik per se ein schmutziges Geschäft sei, die ja in der Tat oft genug am Ende linksradikaler Lebensläufe steht (vgl. Guy Debords testamentarischen Film "Sein Leben und seine Zeit").

Vor dem Hintergrund dieser von unterschiedlichen Seiten aus betriebenen Erschütterungen bzw. Auflösungsversuche konventioneller Semantiken des Begriffs "links" ist auch die Erfindung von Begriffen wie "poplinks" oder "kulturlinks" zu sehen. Die rhetorische Figur, der sie folgen, ist zunächst die einer gegenseitigen Entwertung der einzelnen Begriffsteile, wie man sie etwa von populären Beschimpfungen wie "pseudointellektuell" kennt, deren Benutzer ja nicht einen echten Intellektuellen vorziehen würden, sondern das Intellektuelle schlechthin "pseudo" finden und die Eigenschaften des Pseudo vielleicht noch typisch intellektuell. "Poplinks" lebt davon, daß "links" ebenso beschädigt ist wie "Pop" nicht ernst zu nehmen. "Kulturlinks" davon, daß "Kultur" eben das Gegenteil von "Politik" ist und nur windelweiche Sozialdemokraten, Hilmar Hoffmann und andere Revisionisten je auf die Idee kommen könnten, mit Kultur Politik machen zu wollen.

II.

"Kultur" und "Pop" stünden jedoch - wenn man wie oben angedeutet aus der Aggressivität gegen "Kulturlinke" weitergehende Schlüsse ziehen will - für zwei traditionsmarxistisch noch nicht restlos kompromittierte gesellschaftliche Felder, die für einen Anschluß, einen Resonanzboden oder ein Korrektiv sorgen und damit der reinen linksradikalen Unpraxis gefährlich werden könnten. Diese Felder wären nicht einfach nur Vehikel für einen möglicherweise anregenden oder Praxis befördernden Perspektivwechsel. Sie könnten eine realistischere und schnellere Beschreibung liefern, bevor die Theorien fertig sind. "Pop" hat Bilder, Stimmungen und Metaphern von Verhältnissen und macht sie so diskutierbar, bevor sie abstrakt erfaßt sind. Diejenigen, die diese Beschreibungen produzieren, sind aber logischerweise eben gerade keine Analytiker dieser Verhältnisse. Es ist daher absurd, ihre Beiträge und das von ihnen herbeigeschaffte Material, wie von links gerne getan, darauf durchzusehen, inwieweit die Analysen zutreffend in ihrer Bewertung sind, und anschließend beleidigt zu sein, wenn's nicht hinhaut. Es geht um die prägnante Darstellung von Zusammenhängen, die noch nicht gesehen wurden und werden konnten.

Aber sie liefern nicht nur diese Beschreibung, sie sind auch ein Teil des zu Beschreibenden und werden so noch in einem anderen Sinne wichtig. Denn "Pop" und "Kulturalisierung" stehen für eine bestimmte gesellschaftliche Dynamik, welche die den Subjekten zugekehrte Seite der großen, häufig angerufenen abstrakten Tendenzen - Informationsgesellschaft, Globalisierung, Postfordismus, you name them - darstellt. Kulturalisierung der Arbeit, der Biographien sowie der verschiedensten gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse sind nicht zu übersehende und vielberufene Realitäten. Diese Kulturalisierung ist nicht nur ein Trick und eine Verschleierung anderweitig sauberer materieller Verhältnisse - obwohl natürlich manchmal auch das -, sondern sie erweist sich als ein Aspekt einer Veränderung der Ontologie der Produktion. Symbolproduktion, Stimulanzproduktion und Symbolanalyse stellen wirtschaftliche Wachstumssektoren dar, denen nicht nur eine neue Form - metaphorisch gesprochen: - gewerkschaftlicher Politik dringend entgegenzusetzen wäre. Eine, die entsprechende Arbeitsbedingungen versteht, analysiert und entsprechende Forderungen stellt. Sondern auch utopische und - again metaphorisch - revolutionäre Projekte setzen voraus, daß man sich über das Arbeiten mit dem Einsatz der Persönlichkeit und der sogenannten Kreativität grundsätzlich beschäftigt und jenseits solch immer schon erzdummer Begriffe wie "Entfremdung" klärt, worin eigentlich ihr Widerspruch besteht. Zum einen wird die Arbeit der Näherinnen, die in Billiglohnländern Jeans herstellen, nämlich je billiger, desto entscheidender die immaterielle symbolische Größe "Marke" oder "Designdetail" den Kaufpreis bestimmt. Zum anderen sind die vielen Arbeitsplätze, in denen nicht "diszipliniert" (und deswegen nicht unbedingt "kontrolliert") gearbeitet wird, natürlich Elemente anderer Lebenswelten, die die bekannten Soziologien und Phänomenologien noch nicht beschrieben haben. Und: Bald arbeiten alle genauso locker wie bisher nur Germanistik-Studenten in Germanistik-Studentenjobs, dies allerdings zum Preis des Fluches, Student-for-life zu sein.

Denn diese Entwicklung betrifft natürlich auch - und zwar mehr als andere Einschnitte der Produktions- und Technikgeschichte - die Biographien, Arbeits- und Lebensverhältnisse des linksradikal politisierten Milieus selbst und sollte so eigentlich die übliche Flucht ins unpolitische Reich des Abstrakt-Radikalen und großen, revolutionären Ganzen verhindern. Auf der anderen Seite führt diese Erkenntnis auch zu einer unerträglichen Überschätzung der eigenen KulturarbeiterInnen-Empirie und zu einer Rückkehr zu Authentizismus und Betroffenheitsjive. Auch diese sind allerdings zuallererst der prinzipiellen Abstraktheit geschuldet, mit der alle linken Beteiligten seit Jahrzehnten versuchen, in Begriffen sich einzurichten, deren Quadratmeterzahl jeder Beschreibung von Beengtheit spottet. Wer in und mit diesen lange genug gelebt hat, entkommt ihnen nur durch die Flucht in ein ebenso falsches Konkretes.

Schließlich sind durch die oben vage beschriebenen Entwicklungen - Kulturalisierung, Symbolproduktion, fragmentierte Lebensläufe, Migration - für die klassisch heimatlose Linke auf der ewigen Suche nach Parteien und historischen Subjekten nicht nur neue gesellschaftliche Gegenstände und eine neue Nähe zu diesen gegeben. Sondern außerdem eine neue Vermittlungs- und Öffentlichkeitsform, die aktuellen Formen von Pop und das, was in die seit Jahren betriebene Erweiterung des Begriffs eingeflossen ist, die die Darstellung und Darstellbarkeit linker und linksradikaler Politik neu bestimmen müßten sowie den Kreis der mitdiskutierenden und -debattierenden Subjekte und Gruppen zumindest potentiell erweitern könnte.

III.

In der Regel wird den "Pop"- oder "Kulturlinken" vorgeworfen, sie wollten statt Politik Kultur machen und mit Popmusik Politik anstelle von richtiger Politik. Nicht nur, daß leicht zu belegen wäre, daß das, auch nicht umschrieben, noch nie einer der mit diesen Begriffen Angeklagten je behauptet hätte. Tatsächlich wäre zu zeigen, daß vielmehr alle linksradikalen Gruppen und Bewegungen der letzten 30 Jahre immer schon massiv mit Kultur und/oder Pop Politik gemacht haben: Sie haben nur nicht oder zu selten darüber nachgedacht. Oder sie wollten es aus ideologischen Gründen nicht wahrhaben. Nicht überall stand es so ehrlich drin wie in jener Ausgabe des Roten Morgen, oder war es die Rote Fahne, die ihre Handverkäufer in den siebziger Jahren darauf aufmerksam machte, daß sich lange Haare für anständige Kommunisten nicht schickten.

Dabei kann man tatsächlich zwischen zwei ziemlich gegensätzlichen Orientierungen unterscheiden: zwischen denen, die, wie sehr sie es auch programmatisch bekämpft, verdrängt und geleugnet haben mögen, subkulturell orientiert waren, und denen, die in ihrer antikulturindustriell begründeten Ablehnung auch "modischer" gegenkultureller Symbolsysteme, Musik-, Sprach- und Lebensformen sich nolens volens mit einem bürgerlichen Kulturbegriff, vorzugsweise in seiner negativ dialektischen Wendung, identifizierten.

Hier ist nicht der Ort, im Detail zu belegen, daß ein wesentlicher Teil linker Selbstorganisation in nach-studentenrevolutionärer Zeit eine Politik der Kulturen und Lebensformen war - und auch in seiner unmittelbaren Wirkung nichts anderes sein konnte. Weswegen es eben sinnvoll ist, sich dieses Anteils zu vergewissern, ihn zu planen, zu reflektieren und zu gestalten - was in einer, meist platt-authentizistischen, moralistischen und oft vulgär-identitätspolitischen Weise viele sogenannte autonome Gruppen und Organisationen ja auch versucht haben. Doch auch, wenn ein detaillierterer Nachweis anderswo erbracht werden muß, sollten hier wenigstens ein paar Erinnerungen geweckt werden - an Momente einer linken Politik der Lebensformen, die nie eine solche sein wollte. Fragen über Fragen:

- Wo etwa war zwischen der frühen Ensslin/Versperschen Begeisterung für moderne Lyrik und der von Szenesprache beeinflußten RAF-Diktion mit ihrem deftig poetischen Entschiedenheitsgenuß und ihren Apodiktik-Orgien in radikal kleingeschriebenen Kassibern der symbolische Bruch erfolgt? Was konnotiert er, und wen konnte er verführen oder überzeugen, wen abschrecken? Welche Grenze der Welt markierte die Grenze dieser Sprache?

- Inwieweit indizierte eine erste heftige Konjunktur von Marcuse-Bezügen, die bald wieder verstummen sollte, immer auch eine Auseinandersetzung mit subkulturellen Lebensformen, wie ihn der gerade in den letzten zehn Jahren immer flächendeckendere Adorno/ Horkheimer-Bezug andersrum ausschloß?

- Wie, wann und warum wurde etwa dem modernistisch- sauberen Krahlschen bis Sohn-Rethelschen Theoretizismus in K- Gruppen ein mehr oder weniger realsozialistisch populistischer Begriff von den Massen und ihrer Kultur (China statt DDR) entgegengesetzt? Oder zuweilen gar kombiniert? Welche Lebensformen entsprachen den beiden Modellen? Wie kommt es, daß heute ein gerüttelt Maß der Wirtschaftselite und Führungsschicht der Republik schmunzelnd auf eine K-Gruppen-Vergangenheit zurückblickt, ja dort oft die prägenden Erfahrungen mit "Menschenführung" machte, während frustrierte Akademiker mit vollständigen Sammlungen von Plattenlabels, die die "Stille hörbar machen" wollen, es eher mit der relativen Einsamkeit einer negativen Dialektik hielten und noch halten?

- Wie kommt es, daß mittlerweile auch in Kreisen, die sich von "Pop"- und "Kulturlinken" vehement distanzieren, kulturelle Darstellungsform, Umfeld, Design und Gestaltung von der unausgesprochenen Einsicht geprägt zu sein scheinen, daß man heute ohne ein entfernt von Techno-Flyern und britischen Modezeitschriften abgeschautes Erscheinungsbild auch noch so undialektisch pure linke Einsichten nicht mehr kommunizieren zu können meint? (Während die Selbstdarstellungen der Siebziger-Jahre-Linken von vor visuell repräsentierter Ideologie nur so triefenden gestalterischen Formen geprägt waren - Schreibmaschinenschrift-Anmutung, hart kopierte Umrisse, Wandzeitungsästhetik -, die so massiv jede Selbstaufklärung über die ästhetisch vermittelten Grenzen der eigenen Gesinnung verhinderten, daß ihre erfolgreich vererbten Denkklischees noch heute, nunmehr als gänzlich unlinke Alltags-Ansichten kenntlich gewordene Ressentiments über Echtheit, Form und Inhalt, Wahrheit von Bildern etc. von Tagesthemen bis Technologiekritik verbreitet sind.)

Daß die poststudentenrevolutionäre Linke sehr erfolgreich beim Durchsetzen bestimmter Lebensformen war, ist ein mittlerweile sogar bei ihren aktuellen Nachfolgebewegungen verbreiteter Gedanke. Meistens nimmt dieser allerdings die Gestalt der durch die notorischen todestriebartigen Ökonomiefixierungen beförderten Fatalismen an, jede Verbesserung des Lebens diene doch nur wieder und alleine als ideologisches Komplement oder Brennstoff oder Schleier den Erfordernissen des neuesten Standes der kapitalistischen Produktion. Kulturell produktive Linke tendieren bekanntlich besonders gerne dazu, das zentrale Problem kapitalistischer Ökonomie darin zu sehen, daß warenförmige Kunstwerke und deren Ideen und Inhalte keine einmaligen Bedeutungen und Differenzen mehr zu tragen imstande sind und als warenförmige, mithin vor der Ökonomie gleichartige und auch sonst rundum nivellierte Objekte geworden seien. Die Angst, daß ihre Existenz dadurch sinnlos werden könnte, ist ihr zentrales Problem. Es wird dadurch gelöst, daß man die schlimmste Möglichkeit ausschließt, indem man sich ihr als längst eingetroffene Realität furchtlos stellt. Nur frisch unter die tägliche Morgendusche, unter das kalte, abhärtende Wasser des Kulturpessimismus!

Dabei vergessen sie, daß unterschiedliche kulturelle Objekte auch dann immer noch genügend Unterscheidungsmerkmale bereithalten, wenn sie nur zum Zwecke des Verkaufs produziert wurden oder auch nur generell käuflich zu erwerben sind, um in ihnen artikuliertes Wissen erkennen, verstehen und verarbeiten lassen zu können. Daß alles käuflich werden kann, heißt auch, daß alles Käufliche ebensogut alles andere sein kann. Daß etwas warenförmig und unter kulturindustriellen Bedingungen artikuliert und vermittelt werden kann (wie beschädigt und verstümmelt auch immer), darf aber bekanntlich einer handlich gemachten kritischen Theorie zufolge nicht sein. Darüber nun verzweifelt zu sein - und nur das - ermöglicht aber, genau den Kunstbegriff aufrechtzuerhalten, der tatsächlich, auch aufgrund ökonomischer Entwicklungen, obsolet geworden ist und dem die Vertreter kritischer Theorie und ihre Nachfolger anhängen. Die alte bürgerliche Künstlerexistenz wegen Warenform und Kulturindustrie nicht leben zu können, wird so zur zentralen Katastrophe.

Nicht das, wovon sich auch diese Existenz absetzen wollte, wovon sie sich unterscheiden und ein anderes Verhältnis gewinnen wollte - was ja alles weiter versucht wurde und immer noch wird, in immer anderen und neuen Formen; nein, dieses eine historische Scheitern ist immer noch das Problem der "Kulturlinken"-Bekämpfer, die doch eigentlich, wenn man sie sich genau ansieht, die wahren Kulturlinken sind. In dieser Verzweiflung kann man offensichtlich immer noch als uneingestandener oder dialektisch geläuterter Anhänger eines romantisch-bürgerlichen Kunstbegriffs weitermachen und dennoch das Gefühl haben - wenigstens negativ, verzweifelt eben - auf der Höhe der Zeit zu sein.

Das lenkt ab. Nicht nur davon, daß das Elend der ökonomischen Verhältnisse in erster Linie in jener von ihnen verursachten Armut im weitesten Sinne liegt, die überhaupt verhindert, daß Menschen kulturelle Produkte erwerben und lesen können. Sondern auch davon, daß die Geschichte kultureller Bewegungen und künstlerischer Einfälle wesentlich kontingenter und chaotischer verläuft und verlaufen ist, allerdings - und es ist traurig genug, daß man auch das immer noch sagen muß, so als ob jede Verweigerung des kritisch-theoretischen Kulturpessimismus nur von idealistisch naiver Unbeschwertheit geleitet sein könne - auch unter kapitalistischen, und zwar meist sehr spezifischen kapitalistischen Bedingungen. So werden dann die kulturellen Erfolge der Linken mit ihrem partiell erfolgreich ausgeübten Druck auf patriarchale, klerikale und disziplinarische Zwänge in einer neuen Wendung des Gesetzesglaubens an die Unmöglichkeit von historischer Entwicklung unter den bestehenden Bedingungen auf gesellschaftlich notwendige Pionierarbeit für die von postfordistischen Verhältnissen benötigten neuen Subjektivitäten verkürzt. Unter anderem deswegen, weil der Anteil an kulturellen Kämpfen, die nolens volens von Linken mitgekämpft wurden und trotz ihres temporären Erfolges - der die Voraussetzung seiner späteren Vermarktbarkeit war, nicht seine Folge - nicht in genügend ausführlicher und theoriebildender Weise thematisiert wurde, konnte er nur 30 Jahre später als ahistorische und überreife Frucht betrachtet werden, die nur dafür da war, den Kapitalisten und dem jeweils neuesten Gesicht des Kapitalismus in den Schoß zu fallen. So konnte sich linke Subjektivität auch wieder in ihrer Lieblingsposition wiederfinden, als die ewig Angeschissene.

Wenn aber heute ein Kampfbegriff geprägt wird, der zwischen "Pop"- und "Kulturlinken" und irgend etwas anderem, man darf vermuten "richtigem", "unkorruptem" und, tautologisch: "politischen" Politlinken unterscheidet, dann ist auch dieser nur zu verstehen über die oben getroffene Unterscheidung zwischen subkulturell und hochkulturell orientierten Traditionen der neuen Linken. Diese Unterscheidung verlief nie so ganz sauber an theoretischen und praktischen, parteikommunistischen und heimatlosen Linken entlang. Ja, sie konnte durchaus eine Weile im Verborgenen überdauern und wurde erst virulent, als man seit etwa Mitte der Achtziger bei längst fällig gewordenen gegenwartsdiagnostischen Fragestellungen sich unversehens mit einer Vielzahl von Codes und Lebensformen innerhalb der bis dato nur inhaltlich differenzierten Linken konfrontiert sah. Schon allein, daß es solche schwer zu überwindenden Unterschiede gab, skandalisierte die konventionelle linke Weltsicht in einer Weise, die sich in der Erfindung des Begriffs "Kulturlinke" zehn Jahre später dann so richtig Luft machte.

In den berühmten achtziger Jahren wurde endgültig klar, daß auch die radikale Linke ohne kulturelle Gegenwartsdiagnostik jenseits eines bequem gewordenen Typus von Ideologiekritik nicht weiterkommen würde. Man sah sich mit Kulturen, deren Grenzen, Codes und Hermetiken konfrontiert, die durchaus auf die eigene Tätigkeit - positiv oder negativ - bezogen werden konnten und deren Reichtum nun eigentlich zu einer Reflexion über 20 Jahre praktische Kulturpolitik bei theoretischer Abhängigkeit von entweder Frankfurter Schule oder Parteikommunismen einen Anlaß hätte geben können. Doch wer dazu damals sich berufen fühlte, wollte meist lieber gleich ganz aus dem historischen Zusammenhang der Linken austreten und konnte sich nach genau der eben beschriebenen falschen linken Logik Kulturdiagnostik außerhalb der Linken vorstellen. So wurde dann manch einer zum süffig-ironischen Merkur-Autor oder zum unerschrockenen Gutmenschenbekämpfer.

Andere sahen nur die Verhärtungen, Vermarktungen und Verfehlungen der noch als eigene gerade erkennbaren linken Kulturpolitik in den Erfolgen, die sie erzielte. Durchaus auch zu Recht. Hier wäre allerdings nötig zu unterscheiden: zwischen der gesangsvereinsmäßigen Verharmlosung eines gealterten Milieus und der Erstarrung emanzipativer Posen in ihrem autoritären Gegenteil; zwischen der Vermarktung der Jeans-Freiheit und der sexuellen Befreiung als Motiv und Modell der Porno-lndustrie; zwischen der Erstarrung in der ewigen Verkündung der gleichen Wahrheit und der Erstarrung in einer ewig antiautoritären und blinden Frechdachsigkeit und Aufmüpfigkeit. Aber vor allem: Es ist unendlich viel Platz für Graduelles zwischen all diesen Motiven des Scheiterns. Und: Es sind Motive, Bilder, Geschichten, Konzepte, Formen, die überhaupt erstmal ein Jenseits der bis dato geläufigen Lebensläufe ermöglichten - und sei es scheiternd. Und doch sind sie so immens produktiv im Hervorbringen und Gestalten von biographischem Material. Material, an dem sich Lebens- und Arbeitsformen, nach einer kurzen Erschöpfungspause vielleicht und unter anderen historischen Voraussetzungen, ganz anders diskutieren lassen. Daten über Kritiken, Kämpfe und Konstellationen, die einen spezifischen Reichtum an Möglichkeiten bilden, deren Denkwürdigkeit abzuschreiben man sich gerade heute nicht leisten kann.

Daraus wäre nun vielleicht die Folgerung abzuleiten, Linke sollten ihre unausgesprochenen kulturpolitischen Aktivitäten und Lebensformen bewußter gestalten, diskutieren und zum Gegenstand der Reflexion erklären. Einerseits ja. Autoritäre bürgerliche Herrschaft konnte gelingen, weil die ihr zugrundeliegende Lebensform überzeugend gestaltet war. Disziplin konnte nicht nur mit Waffen durchgesetzt werden, sie mußte auch plausibel erscheinen. Ideologiekritik hat darüber genügend Evergreens gesungen. Heutige post-autoritäre Herrschaft gelingt auch deswegen, weil von dem Zusammenhang zwischen Herrschaftsformen und Lebensformen überzeugend abgelenkt worden ist. Kohl steht z.B. für einen gewissen Nichtzusammenhang von Politik und Lebensform, für in seinem Sinne gelungene Politik bei in jedem Sinne mißlungener Formgebung. So wie es ihm gelingt, die Ruhe im Lande zu wahren, scheint dies auf eine Weise zu geschehen, die so ganz entfernt von unserem Leben und ohne Gewalt - für die ein durchtrainierter, straffer, seinem Herren gehorchender Körper steht - stattfindet, daß wir ihn in seiner Häßlichkeit lieber machen lassen wollen. Das Verhältnis zu ihm und seiner Leibesfülle hat sich entspannt und ist unpolitisch geworden. Nur Karl Heinz Bohrer, der sich einen engeren Zusammenhang zwischen gelungener Politik und guten Herrenanzügen schon immer gewünscht hat, beschwert sich noch.

Jetzt soll der neue, mainstream-taugliche Pop-Begriff, wie er von Zeit-Magazin bis zu Roman Herzog das Land erschüttert, wieder ein engeres Verhältnis stiften, eine akzeptable Komplexitätsreduktion, auf der Guildo Horn und Gerhard Schröder neue Machtbereiche aufbauen wollen. Der zynisch zufriedenen, aber doch wenigstens einigermaßen aufgeklärten Einrichtung in der Dissonanz soll eine neue Konsonanz folgen, wie üblich bei Regierungswechseln. Sie wird noch deutlicher von Kultur gestiftet als beim letzten Mal, wo durch die vollständige Abwesenheit von Kultur beim Kanzler und dessen Partei diese für ein gutes Jahrzehnt als zentrales Refugium sozialdemokratischer Eskapisten und Lokalpolitiker taugen konnte.

Es wäre in der Tat eine Minimalforderung, daß die Linke sich diesen Zusammenhängen stellt und sie für ihre eigenen politischen Positionen thematisiert. Wenn die Linke sich als revolutionäre oder utopische oder in einem fundamentaleren Sinne gesellschaftsverändernde Kraft denken will, braucht sie ein dem Gegenwärtigen und Unmittelbaren zugewandtes Gesicht. Sie hat dies, wann immer sie erfolgreich war, auch gehabt, nur hat sie dies zuletzt zu lange ignoriert oder sich dessen geschämt. Lebensform oder "Kultur" wäre also der der Gegenwart zugewandte Teil linker Politik, der allerdings auch im Zusammenhang mit "echter Politik", also pragmatischer oder sogenannter Realpolitik eine Beziehung eingehen muß. Diese Beziehung entsteht idealiter dadurch, daß Linke in der Konkretheit von Lebensformen sich anschaulich beobachtbar, kritisierbar und angreifbar machen.

Andererseits nein. Denn diese Konkretheit darf nicht das Ergebnis von "Umsetzung", "Anwendung" oder des berüchtigten "Handeln statt Reden" sein. Gerade Betroffenheitskitsch und moralistischer Authentizitätsterror sind keine Alternativen zu Kulturpessimismus und Flucht in Abstrakta, sondern deren reflexionslose andere Seite. Die autonome Verweigerung historischer linker Abstraktheiten von 68ff. flüchtete sich meistens in eine mindestens so verkehrte Konkretheit. Die terroristische Rede vom Leben, das mit dem Denken identisch zu sein hätte, kann sich nur immer wieder entwickeln, weil das Verhältnis von Leben und Denken von den linken Intellektuellen - außer einigen wenigen Peter Brückners - als Gegenstand preisgegeben wurde. Kulturpolitik als die Kritik der impliziten in Lebensformen und künstlerischen Praktiken enthaltenen Ideen darf weder eine geschichtslose Identität von Leben und Handeln einklagen noch verdächtigend den wahren Kern hinter der Maske entlarven wollen (der, der eigentlich nur Kohle oder neuerdings "Distinktionsgewinne" erzielen will). Die Widerwärtigkeit solcher Denkformen korrespondiert mit ihrer meist binären Simplizität. Statt dessen käme es darauf an, die besondere Nichtidentität und die fragliche Differenz zu gestalten und zu benennen, das nichtidentitäre, aber eben nicht einfach nur irgendwie nichtidentitäre, sondern meist sehr genaue Verhältnis zwischen einer Vorliebe zu einer Gestalt und einer Idee zu artikulieren.

IV.

Gegenwärtig haben wir es auf breiter Front mit einer eher vulgären Version der Einsicht zu tun, daß Kulturpolitik und Politik der Lebensformen die der Gegenwart zugewandten Seiten eines politischen Programms sind. Zum einen wird als Zuschreibung kulturalisiert, sozusagen feindlich kulturalisiert und zur Lebensform erklärt, was eindeutig in die Sphäre politischer Sachlichkeit gehört: Migranten und Nichtdeutsche und "die so aussehen" werden zu anderen Lebensformen, Aliens, kulturell Andersartigen erklärt, um sie besser und plausibler abschieben zu können. Politische Einwände von feministischer bis zu antirassistischer Seite werden zu lebensformspezifischen Einwänden erklärt und damit politisch entwertet. Ist es in einer solchen Situation also nicht viel eher angezeigt, streng auf der Politizität von Argumenten zu bestehen, um solchen Manövern etwas entgegensetzen zu können?

Sicher, man sollte z.B. die Erhebung von Daten über einen "kulturalisierten" Produktionsprozeß, über kulturalisierte Ausgrenzungs- und Abschiebezusammenhänge und deren theoretische Bearbeitung und kulturelle Politik auseinanderhalten. Und man muß bei letzterer gewiß darauf achten, nicht die politischen Argumente und Anliegen an deren Darstellung zu delegieren. Doch ist die reine Politik sowieso nicht zu haben - sie spielt sich in unterschiedlicher Weise auf all diesen Ebenen ab. Während alle anderen instinktiv mit dieser Tatsache umgehen, versuchen Linke sie zu ignorieren oder hören in dem very Moment, wenn sie den Kopf aus dem Sand erheben, auf, Linke sein zu wollen. Es kommt aber darauf an, mit der notwendig ästhetischen Seite von Politik richtig umzugehen und die richtige Theorie von ihr zu besitzen. Die Schnittstelle, die sie mit Praxis und Konkretheit bildet, ist das, was ich hier Lebensform nenne und womit ich nicht Inneneinrichtung, Kleidung und Einstellung zu nach dem Betäubungsmittelgesetz verbotenen Substanzen alleine meine, sondern vor allem Sprech- und Denkgewohnheiten, Kultur- und andere Konsumorientierungen, kurz: die Grenzen unserer Welt (Wittgenstein).

Diese neu zu bestimmen und zu bedenken, ohne einen Imperativ der Durchsetzung oder Harmonisierung mit etwas anderswo schon Gewußtem - das wäre es. Es gibt keinen anderen Ort, keinen Himmel der Ideen. Ja, muß man immer wieder sagen. Politik ohne Darstellung ist die Darstellung von Politik durch eine durchgesetzte Normalität, die natürlich je mehr Terror und Dominanz entfaltet, desto weniger sie auffällt.

Ein weiterer Punkt, an dem mir liegt, ist die Frage nach dem Verhältnis der den Linken nahestehenden künstlerischen und kulturellen Ideen und Praktiken zu ihren politischen Ideen, ja deren genealogische Beziehungen und Maskierungen. So wäre zu fragen, ob die Groborientierungen "Pop" und "Radikalität" nicht schon lange auf ihre Ursprünge in künstlerischen und kulturpolitischen Welten und damit auch auf immer noch wirksame, aber kaum als explizite bekannte Urbedeutungen zu untersuchen wären. Meine These hierzu lautet: Ein sehr großer Anteil der Radikalitätsgestik der neuen Linken und ihrer neueren Kinder stammt aus den Künsten, namentlich den Bildenden. Der Krahlsche Denkstil wäre nicht vorstellbar ohne Ahnherr Adornos Verpflichtung auf eine radikale, unbedingte, schroffe Denkgestik, die aus der romantisierenden und auf Philosophie übertragenen Rezeption der Avantgarde kommt. Vergleichbares läßt sich für die eher subkultur-orientierte Linke auf den, in Deutschland wie auch immer vermittelten, Debord- und Situationismus-Einfluß übertragen. Diese Schroffheit und schwer ödipale Rauhbautzigkeit wirkt seltsam deplaziert, wenn man erkennt, wie ganz unödipale Charaktere sich verpflichtet fühlen, sie in einem Essay über einen Furz eines - sagen wir - Feuilletonisten oder auch "Kulturlinken" als nicht nur sprachlichen Schmuck, sondern das eigene Denken strukturierende Gestik zu bemühen. Aber das ist nicht das Entscheidende: Vor allem ginge es darum, sich solcher Gepäckstücke im Methodenfundus des eigenen Denkens und Redens bewußt zu werden. Insbesondere in der Region, wo das Affektive Brennstoff für die Fortführung des Gedanklichen herbeischaffen muß.

Darüber hinaus wäre zu fragen, ob all die wachsende Kritik an einem zu inklusiven, zu vieles immer mitbedenken müssenden und daher aus den Nähten platzenden, relativistischen Sprachgestus, die aus Überdruß gegen pc- und poststrukturalismus-inspirierte theoretische Texte häufiger auftaucht, nicht eben bei aller Berechtigung ihrer Sprachkritik sich von einer Theorieästhetik leiten läft, die sich an den schroffen Schönheiten der Frankfurter Schule orientiert, obwohl sie deren Inhalte schon lange nicht mehr kaufen will. Es wären nicht die einzigen linken Positionen, die sich nur noch wegen ihrer Schönheit am Leben erhalten können. Dagegen wäre nicht ein Ästhetizismus-Vorwurf zu erheben, falls mich da draußen immer noch jemand falsch versteht, sondern eine Forderung nach Ästhetik- Kompetenz, die jenseits der eher dämlichen und ausgereizten Sprachkritikmodelle an der von Deleuze beschriebenen Front des "Begriffsschöpferischen" weitermacht. Ohne alle Sorglosigkeit ihres Vorbildes zu übernehmen.

Bei aller Unvereinbarkeit fungiert "Pop" mit seinem "demokratischen" Inhalt als Komplement des Radikalitätsdispositivs innerhalb des linkskulturellen Universums. So wie Radikalität immer im Rufe steht, politischer, eben radikaler als andere Politik zu sein, steht das poppige Darstellungsprinzip, die an Drastik, Evidenzen und Konturenschärfe interessierte Darstellungsweise im Verruf des Ideologischen und Reaktionären. Sie ist als Denk- und Denkdarstellungsfigur dem Denkinhalt aber genausowenig äußerlich wie die schroffe Radikalität. Sie ist andersherum auch genausowenig einfach identisch mit dessen Inhalten. Aber ihre Art der Zuspitzung hat selbst einen - und zwar ganz anderen - Inhalt als die Radikalität. Sie ist der Verständlichkeit und das heißt den weniger genauen und scharfen, dafür aber zahlreichen Reaktionen, einer Form von Beifall verpflichtet, sie baut immer auf einen zustimmungsfähigen Anteil in der Form auf und tut damit dasselbe wie - im weitesten Sinne - Demokratie: Zustimmung, in welcher Entfernung und Brechung auch immer, bleibt das Ziel der kommunikativen Bemühung.

Beides sind keine Absoluta oder Werte, sondern Denk- und Darstellungsgesten, die sich auch nur bis zu einem bestimmten Punkt an Inhalte und Ideen anschmiegen können oder diese vorantreiben. Es geht darum, sie zu unterscheiden und zu studieren und ihre Genealogien, die alle mit Kunst, Kultur und Lebensformen zu tun haben, zu entziffern. Dann kann die Linke ein Programm für eine nichtidentitäre Politik der Kultur und der Lebensformen entwickeln. Diese Formen wären so etwas wie die aktive Entsprechung zur rezeptiv-passiven, vereinsamenden Tätigkeit der Ideologiekritik. Der Unterstellung, "Kultur"- oder "Poplinke" seien diejenigen, die Kultur anstelle von Politik betreiben wollten - und das wäre entweder schon immer falsch gewesen oder sei es nach einem frei zu wählenden Datum in der Entwicklung der Kulturindustrie -, wäre entgegenzuhalten, daß der blinden und uneingestandenen oder unterkomplexon Kulturpolitik der Linken endlich ein der Höhe ihres Anspruchs an sich selbst und an gesellschaftliche Entwürfe entsprechendes Aufmerksamkeitsniveau sich zugesellen müßte. So daß man endlich mit einer Politik anfangen kann, die sich keine Gedanken mehr zu machen braucht um ihr unwissentlich mitgeschlepptes ideologisches Gepäck in Gestalt von "linker Kultur".

Noch etwas anderes, das aber gerade hierher gehört. Vielleicht wäre es ja tatsächlich Brechts berühmte und in diesen Tagen unerbittlich zitierte "Freundlichkeit", die zur grundlegenden Denkgeste der Linken werden müßte. Nicht eine Freundlichkeit, die auf einer ganzheitlichen Heilung der linken Differenz und Dissonanz beruht, kein New Age und keine Versöhnung, sondern eine konventionelle Freundlichkeit, eine, die all die Paranoia und die Projektionen natürlich nicht überwunden hat. Aber als Konvention wären nicht mehr die Schroffheit und ihre elitären und drastischen Varianten zu prämieren und für links zu halten, sondern die Freundlichkeit. Man hat es selbst beim Schreiben erlebt, wie die Beleidigung, das Argument ad personam so viel richtiger und welthaltiger wurde als das begriffliche Argument. Doch bei Veranstaltungen wie - mir in diesem Zusammenhang besonders erinnerlich - dem konkret-Kongreß 1993 konnte man erleben, wie die Konkretheit, die die persönliche Beleidigung immer enthält, zur letzten Verankerung in der Wirklichkeit für einen Haufen Verlorener wurde. Und als eine Konvention überlebte, die nichts als die andere Seite des vertrottelten Liebe-Leute-Tons der verachteten WG- und Alternativ-Kultur war. Das Überleben dieser Konvention bis heute, die schließlich auch für das Beenden "korrupter und kläglicher Existenz"en mitverantwortlich war, ist in Deutschland nur zu verständlich. Gegen ein im Alltag und in seiner Stabilität abgesichertes Lügen und Vergessenwollen half nur eine schroffe Attacke, die den Vätern den Schutz durch Konventionen entzog. Doch gerade wenn man Deutschland auch heute nicht auf dem Leim gehen will, ist es idiotisch, sich an den, der Auseinandersetzung mit einer kaum noch präsenten Väter- und Tätergeneration abgerungenen Lebens- und Denkformen festzuhalten. Das scheint mir vor allem in einer Zeitschrift (gemeint ist die Beute; Red.) nötig zu sagen, die gerade eine Halbierung ihrer Mitarbeiterschaft hinter sich hat, die, wie ich vermute, zu einem guten Teil auch der Konvention geschuldet ist, die ein Argument für berechtigter hält, wenn jemand - beleidigend oder beleidigt - mit der ganzen Person dafür einsteht. Statt mit dem Verstand.