Good Fellows, Tough Boys

Antifaschismus in der Krise? Oder: In die Offensive! Ein Beitrag zur Debatte über Bündnispolitik

Im Dossier der Jungle World vom 22. April 1998 beschäftigen sich zwei Artikel mit der gesellschaftlichen Situation des Antifaschismus in Deutschland. Die Hauptfrage der beiden gegensätzlichen Positionen, des radikaldemokratischen Antifaschismus von Michael Thomas, Redakteur beim Antifaschistischen Infoblatt Berlin (Humanismus, Volksfrontbündnis / "antifaschistische Mehrheit"), und des antideutschen Antifaschismus von Wladimir Schneider (Antinationalismus, prinzipielle Kritik, radikale Minderheit), ist der Charakter der Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen AntifaschistInnen und deutscher Mehrheitsbevölkerung.

Während der Infoblatt-Redakteur erzieherisch wirken will, stellt Schneider die "Unerziehbarkeit" der Deutschen fest. Den guten gesunden Kern, den der sinnbildliche "Liberale" vom Infoblatt einer "antifaschistischen Mehrheit" unterstellt, beantwortet der antideutsche "Konservative" mit der Feststellung eines historisch gewordenen, sozialpsychologischen antihumanen Kerns der Deutschen.

Wer ist nun Autorität in der Diagnose der deutschen Zustände, der humanistische good fellow vom Infoblatt oder der bissige tough boy aus dem antideutschen Lager? Beide haben bekannte, aber heftig bestrittene blinde Flecke. Michael Thomas appelliert dringlich zu mehr antifaschistischer Arbeit und zählt gleich einige Praxisvorschläge auf. Er tut dies, indem er beobachtete Phänomene in funktionale Handlungsanweisungen übersetzt und kurzschließt: rechte Jugendsubkultur - also muß eine linke Jugendkultur her; soziales Vakuum - antifaschistische Sozialarbeit machen; rechter Einheitsblock - den linken Einheitsblock organisieren (Bündnisarbeit); rechtsradikale Organisationen - linke Organisationen schaffen.

Auch wenn Thomas dies mit "Strategie" überschreibt, scheint mir dieses Maßnahmenbündel ziellos und entpolitisiert. Sein Politikverständnis ist instrumentell: Kultur- und Sozialarbeit sollen präventiv Jugendliche von "Schlimmerem" abhalten, sie sind institutionelle Verwaltung und Regulierung von "Problemen". Thomas beschreibt nicht die Schwächen und Stärken der Gegner, ihre Ziele, Bündnisse, Strategien und Ideologien. Er hält die sichtbaren und praktisch verwertbaren Ergebnisse gesellschaftlicher Prozesse und Umbrüche fest - während diese selbst nicht in sein Blickfeld kommen -, um sich verstärkt der Praxis zuzuwenden. Vielleicht macht der Text deswegen den Eindruck eines gehetzten Nachtrabs hinter einer rechtsradikalen Gesellschaft.

Sehr erfahrungsleer bleibt auch seine Sicht auf antifaschistische Praxis: den Text durchzieht die Klage über fehlende Arbeit und Leistung im antifaschistischen Kampf. Doch auf historische und eigene Erfahrungen verzichtet Thomas: So kann er eine Volksfrontpolitik als neu zu schaffende fordern, und muß die eigene Politik nicht kritisieren und aufarbeiten. Sein "es wäre gut" tut so, als hätte es Volksfrontpolitik noch nie gegeben. Harald Wieser und Rainer Traub beschrieben 1976 (Kursbuch 46) ihre Auswertung der historischen politischen Erfahrungen mit Volksfrontpolitik in Europa (Spanien und Frankreich 1935-39): "In Wirklichkeit, und das ist ein zweites Argument gegen eine positive Theorie der Volksfront, hat es die Volksfront nie gegeben. (Gemeinsam) war ihnen folgendes: (...) Beide setzten durch ihre Wahlerfolge eine in ihren Ausmaßen nicht erwartete Mobilisierung der Arbeiterschaft in Gang - beide haben der sich mit dieser Mobilisierung Bahn brechenden revolutionären Dynamik den Stachel gezogen und in die Kanäle parlamentarischer Parteienpolitik gelenkt".

Die Widersprüchlichkeiten und konkrete Wirkung eines Volksfrontkonzeptes werden von Michael Thomas nicht ins Auge gefaßt, so fixiert ist er auf die naheliegenden Illusionen von Gemeinsamkeit, Mehrheit und Mobilisierung. Um es aktuell zuzuspitzen: Konservative und Autonome zusammen mit dem bürgerlichen Staat "gegen Rechts", wie es der Generalstaatsanwalt von Brandenburg vorschlug? Meiner Ansicht nach spiegelt diese Antifa-Position das Fehlen theoretischer, kritisch-historischer Auseinandersetzungen innerhalb der (autonomen) antifaschistischen Gruppen wider, und dies "nah am eigenen Thema": Transformation / Faschisierung der Gesellschaft, oder die Reflexion der Faschismustheorien, von materialistischen Staatstheorien, Sozialpsychologie oder der Kritik und Analyse der Niederlagen des Antifaschismus.

Darauf bezogene Texte in Bahamas, Beute oder 17 ¡C wurden von Antifas nicht gelesen (geschweige denn diskutiert), Auseinandersetzungen um eigene Kategoriezusammenhänge blieben hinter Einzelstudien, aktuellen Einschätzungen, Recherche und antifaschistischem Aktivismus zurück. Die Betriebsamkeit der AntifaschistInnen ist eine Not, keine Tugend, und sie ist auch selbstgemacht und nicht nur aufgezwungen.

Im Gegensatz zur hohen Drehzahl des Infoblatt-Redakteurs gibt sich Wladimir Schneider betont gelassen. Spürt man/ frau bei Thomas die Angst und Bedrohlichkeit, die die "faschistischen Offensiven" auslösen, spült Schneider den aufsteigenden Ekel über die häßlichen Zumutungen mit Whisky und einer Melange aus Zynismus und Grimmigkeit herunter. "Les jeux sont fait", und dies zumindest seit 1933, oder noch profunder seit der mißlungenen bürgerlichen Revolution im 19. Jahrhundert, und Karl Marx war ein beknackter Utopist. Das angestrengte Bedürfnis von Thomas, den Nazis etwas entgegenzusetzen, läßt den Antideutschen (scheinbar?) kalt.

Diese Antifa ist für ihn unbelehrbar, naiv und perspektivlos. Er selbst weiß es besser und ist klüger, nur eins läßt er uns nicht wissen: Welche Strategie und Praxis befürwortet er gegen die "Renationalsozialisierung"? Bei antideutschen Polemiken habe ich mich manchmal gefragt, warum eigentlich die "Neue Rechte" oder die völkischen Konservativen überhaupt streiten, sich organisieren, konkurrieren, angreifen, Einfluß suchen, Begriffsbastionen erobern wollen, taktieren und lavieren, wenn sie nach antideutscher Sicht doch schon längst am Ziel ihrer Träume (Volksgemeinschaft, großdeutsche Hegemonie) angelangt sind (vielleicht hat es ihnen nur noch niemand gesagt?). Jedes Wahlergebnis, jede neue "ausländerfreie Zone" ist für manche Antideutsche nur der beruhigende Beweis und Bestätigung eines schon lange (seit 1848) etablierten Sieges des Nationalsozialismus. Dies hat Ähnlichkeiten mit der Sozialfaschismus-Doktrin der bolschewisierten KPD bis 1932, die die Sozialdemokratie und Gewerkschaften für den "linken Flügel des Faschismus" hielt.

Die Diagnose, deren wichtigstes Strukturmerkmal die Herausarbeitung von Analogien und charakteristischen gemeinsamen Merkmalen "beim Feind" ist, begründet einen neuen Hauptwiderspruch, hinter dem Unterschiede zwischen SozialdemokratInnen und NationalsozialistInnen nur graduelle / quantitative sind, eben Nebenwidersprüche. Sie ist nicht in der Lage, Veränderungen in ihrer Qualität, ihren besonderen Konsequenzen und Wirkungen zu erfassen. "Der Feind" kennt sich besser, er weiß, was ihn wirklich unterscheidet. "Komischer und grotesker als alle Beschimpfungen ist (...) die gänzlich unverdiente Ehrenbezeichnung der Sozialdemokraten als Faschisten. Ausgerechnet die Spießermasse der 11. Internationale, die Juden-Schutztruppe, die Todfeinde z.B. des italienischen Faschismus, als Faschisten hinzustellen, dazu gehört schon eine Gehirn- und Gemütsakrobatik. (...) Kommunisten und Sozialdemokraten, das heißt die Marxisten aller Schattierungen, werden noch zeitig genug erfahren, was 'Faschismus' bedeutet." (Der Nationalsozialist, 1929, zit. nach Flechtheim, "Die KPD in der Weimarer Republik").

Der Streit zwischen Vertreterinnen des "kleineren Übels" (Infoblatt) und denen des "alles Übel" (Antideutsche)

ist trist. JedeR hat irgendwo gegenüber dem anderen recht: Es gibt eben nicht massenhaft Bündnispartner, aber auch nicht jeder Konservative ist Antisemit. Beschränken wir uns nicht auf diese Alternative: Alle Fraktionen sind aufgerufen, ihre Standpunkte zu überprüfen, gegen einen Trend zum innerlinken Distinktionsgewinn. Wichtig ist es, sich mit den grundlegenden Charakteristika antifaschistischer Politik auseinanderzusetzen.

Die verbreitete Bündnispolitik auf der Basis eines Minimalkonsens des Verfassungspatriotismus ist nicht widerständig gegen den demokratischen Vollzug der Ermächtigung der repressiven Staatsapparate und des Kapitals, weil sie immer noch auf eine längst brüchige, sich wandelnde gesellschaftliche Kompromißstruktur insistiert, die auf dem Einverständnis der Kapitalfraktionen zur Sozialpartnerschaft, der demokratischen Rechten / ihren Medien und der Eliten zur parlamentarischen Demokratie, der herrschenden Klasse zur nationalen Außenpolitik beruhte, weil sie in ihrem Interesse lag.

Eine zweite Variante antifaschistischer Politik möchte ich als die der "revolutionären Übermacht / Überlegenheit" charakterisieren: dies war eine traditionelle, an KPD- und Einheitsfront anknüpfende Praxis von Autonomen, Antiimps, StalinistInnen, MaoistInnen und anderen Linksradikalen. Viele Linksradikale betrachteten Antifaschismus als historisch vererbte Tradition, eine moralisch verpflichtende Tätigkeit, um einen ungeliebten Gegner im Zaum zu halten. Diese Praxis erledigten die Linksradikalen auf der Basis einer zahlenmäßigen und organisatorisch-militanten Überlegenheit mehr oder weniger rasch, um sich dann ihrer eigentlichen Aufgabe, der Revolution, wieder zu widmen. Die gesellschaftlichen Bedingungen und die direkten Kräfteverhältnisse haben sich seit 1989 gründlich verändert und damit diesem Konzept stetig die Sinnhaftigkeit entzogen.

Teile der Linksradikalen haben es bis heute nicht verkraftet, oder wollen es nicht wahrhaben, daß sie ihren direkten rechten Gegnern nicht mehr überlegen sind.

Dies ist für die Linken, die über den glatzköpfigen Dummbolzen oder die aufgeblasene Hitler-Imitation noch lachen konnten, schon längst nicht mehr so amüsant. Die erschöpfende Aktivität dieser Linksradikalen schwankt abhängig von den Anlässen, die sie immer seltener dazu aufrufen, als Gegenmacht aufzumarschieren. Phasen von Betroffenheit und Gleichgültigkeit wechseln sich ab, scheinbarer Eindeutigkeit des Feindbildes folgen unbegreibare Überraschungen und heftige Verwirrung. Auch ist die Aura der "antifaschistischen SiegerInnen" beim Protest, der noch Hoyerswerda für eine (Ost-)Ausnahme hielt, dem kalten Bewußtsein gewichen, daß "die AntifaschistInnen" immer mehr an Boden verlieren und mensch nicht mehr weiß, auf welche Sicherheiten im subjektiven Koordinatensystem noch Verlaß ist. Dieser halbherzige Antifaschismus, der inzwischen nur noch reagiert, wenn es gar nicht anders geht, das heißt, weil er sonst vor sich selbst sein Gesicht verlieren würde, ist an seinem politischen Ende. Er ist sich so unsicher, ob er nicht schon längst unterlegen ist, daß er einer direkten Kraftprobe immer mehr ausweicht, und mit Paraden und Muskelspiel den Kampf nur noch markiert. Diese Form des Antifaschismus ist am Fallen, seine innere Hoffnung ist die Niederlage, damit "endlich Schluß ist" mit dem Kämpfen.

Der linksradikale und autonome Antifaschismus ist vor tiefgreifende Konsequenzen gestellt: Er kann weiterhin auf die Charaktere antifaschistischer Politik zurückgreifen (Verfassungspatriotismus / "antifaschistische Mehrheit" oder Militanz / revolutionäre Überlegenheit), und vielleicht funktionieren sie noch z.B. bei einem JN / SA-Aufmarsch in Berlin-Kreuzberg, aber sie werden immer unwirksamer, verlogener, demobilisierender, ausrechenbarer und unangemessener sein.

Ein neuer Antifaschismus kann nur von sehr viel komplizierteren Kräfteverhältnissen ausgehen, als dies seiner bisherigen Politik zugrunde lag. Er muß sich auf einen sehr viel schwierigeren und langfristigeren Kampf einstellen, als dies bisher sein aktivistischer Zeithorizont zuließ.

Zum Thema erschienen Beiträge in Jungle World, Nr. 17 und 20/98.