I'll never come back

Ein Nachruf auf Frank Sinatra

Am Tag nach Frank Sinatras letztem Tag war das Radio voll mit seiner Stimme, diesem bezaubernden, einzigartigen Bariton, den er als Beruf in seinen Paß eintragen ließ. Aber weil die Musikredakteure des akuten Nudelfunks keine Ahnung und schon gar keinen Geschmack haben, war immer und immer wieder nur das Zeug zu hören, das alle Leute ohne Ahnung und ohne Geschmack für den definitiven Sinatra halten: "New York, New York", "Strangers In The Night" und "My Way". Also genau das Notenprunkgesumpf, das den Niedergang dieses großartigen Sängers dokumentiert.

Aus seiner besten Zeit aber, den Mitt- und Endfünfzigern, in denen er für die Plattenfirma Capitol sich das Herz aus dem Leib sang, war nur ein einziger Titel zu hören, "Love And Marriage", und der auch nur, weil er als Titelstück von "Eine schrecklich nette Familie" hierzulande einigen kultischen Status erworben hat.

Einen Nachruf auf Francis Albert Sinatra zu halten, ist um so weniger angenehm, da eigentlich jede Kritik seit seiner letzten wirklich gelungenen Platte - "It Might As Well Be Swing" mit dem Count Basie Orchestra, 1964 - und jede Besprechung seit seinem letzten erträglichen Film - "Tony Rome" ("Der Detektiv") von Gordon Douglas, 1967 - ein Nachruf gewesen ist auf sein einmaliges Talent, auf ein Charisma, das seither von Jahr zu Jahr authentischen Glanz verlor. Er blieb ein Superstar, aber die Star-Qualität verdankte er immer weniger seiner vitalen Präsenz und immer mehr dem gewaltigen Glamour seiner Legende.

In meiner Privat-Mythologie beginnt das Ende Sinatras mit Mia Farrow. Der Mann, der einst die aufregendste Frau Hollywoods, Ava Gardner, erobert hatte und mit ihr eine Ehe inszenierte, die kein Klischee sexueller Hörigkeit ausließ - dieser Mann heiratete 1966 eine der fadesten Schauspielerinnen aller Zeiten, viel zu brav, viel zu jung für ihn (er war damals 51, und über sie bemerkte seinerzeit Dean Martin, er habe "zu Hause Whiskyflaschen, die älter sind"). Die Verbindung hielt zwar nur zwei Jahre, aber die genügten, um aus Frank Sinatra den Schatten seiner selbst zu machen. Er wurde über seine kaum der Pubertät entwachsene Frau alt, und die Popmusik, die um ihn herum entstand, begriff er um so weniger, je mehr Zeit er mit Mia, der ödesten Vertreterin der neuen Generation, verbrachte.

Er, der noch 1963 dem Playboy eingestand: "Wenn ich singe, glaube ich, was ich singe", verlor diese Naivität und rettete sich fortan mit Routine und einigem Zynismus durch die Bert-Kaempfert-Songs, die ihn zwar zurück in die Charts brachten, die er selbst aber haßte.

Geboren am 12. Dezember 1915 in Hoboken, New Jersey, verlor Sinatra zum ersten Mal 1950 den Kontakt zum Publikum. Die Swing-Ära war vorbei, und damit, vorerst, auch seine Zeit. Denn seine Lehrjahre hatte er in den Big Bands von Harry James und Tommy Dorsey verbracht - seine unverwechselbare Phrasierung, der bewußte Einsatz von Atempausen und das wie verträumte Überdehnen der Töne lauschte er, nach eigenem Bekenntnis, dem Posaunenspiel Dorseys ab.

Die Teenies aber, die ihn Anfang der Vierziger mit einer Hysterie verehrten, die zuvor nicht einmal Valentino ausgelöst hatte, die die weißen Wände seines Hauses mit Kußabdrücken rotfärbten, waren mittlerweile domestiziert; und was nachwuchs, holte sich seine erotische Stimulation lieber bei Frankie Lane. Jeder Versuch, die Kids zu erreichen, scheiterte erbärmlich. Überdies plagten ihn blutende Stimmbänder und die Steuerfahndung. Er brauchte ein neues, erwachsenes Image, um jene Kinder, die ihm ehedem Schlüpfer auf die Bühne geworfen oder sich gleich nackt unter seine Hotelbettdecke gelegt hatten, wiederzugewinnen. Er brauchte die Rolle des Private Maggio in "Verdammt in alle Ewigkeit".

Im "Paten" von Coppola wird vorgeführt, wie Sinatra das Casting zuletzt bestanden haben soll: Mittels eines abgesägten Pferdekopfs auf dem Kissen des Produzenten. Die Wahrheit ist leider banaler: Eli Wallach, der die erste Wahl war, mußte aus Termingründen absagen, und niemand verlangte weniger als Sinatra für die Rolle: 8 000 Dollar. Er spielte mit einer primitiven Vehemenz, die ihm prompt, und zu Recht, 1954 einen Oscar eintrug; und das größte Comeback der Entertainment-Geschichte rollte an.

Seine Stimme klang nie so warm, so betörend und samten wie in jenen goldenen Jahren. In der trüben, prüden Zeit der Eisenhower-Regierung waren die Songs von "Ol' Blue Eyes" ein Fenster ins Reich der Sinne, und man darf getrost annehmen, daß die meisten der heute vierzigjährigen Amerikaner zu Langspielplatten von Sinatra gezeugt worden sind (Gore Vidal).

Die mythische Aura der Sinatra-Vita, mit ihren zahllosen Affären, Mafia- und Kennedy-Beziehungen, mit all den wüsten Orgien in Vegas und all den manischen Details (er duschte mindestens dreimal täglich, er verzockte gern 100 000 Dollar an einem Abend, er besaß zeitweise 100 Toupets und 80 Hüte, um seine Halbglatze zu verbergen) - allein diese Aura weist ihn aus als den größten Star des 20. Jahrhunderts. Gegen ihn ist Elvis, alles in allem, nur ein Parvenu. Frank Sinatra war zwar ein Arschloch - das einer mißliebigen Reporterin öffentlich nachsagte, sie sei "so häßlich, daß sie bei ihrem Psychiater auf dem Bauch liegen" müsse -, aber ein faszinierendes Arschloch.

Der Rassist und Halbnazi, den im Gefolge der Klatschtante Kitty Kelley und ihrer streng riechenden Sinatra-Biographie "His Way" (1987) diverse Dummköpfe aus ihm stricken wollten, ist er allerdings nie gewesen, nicht einmal, als er sich in die üblen Kreise des Präsidenten Reagan und seiner Nancy begab. Der "Rassist" schlug einmal einen Kellner, der einen Schwarzen nicht bedienen wollte, kurzerhand zusammen, und der "Halbnazi" drehte bei antisemitischen Tiraden in seiner Gegenwart sofort durch.

Und was bleibt? Zahllose vorzügliche Witze über den schmal gebauten Entertainer ("Er muß zweimal über dieselbe Stelle laufen, um einen Schatten zu werfen"); die Aufnahmen der Capitol-Jahre, zumal jene, die Nelson Riddle arrangiert hat; zwei Filme, in denen der reife Sinatra so präsent ist wie ein Schnappmesser: "Der Mann mit dem goldenen Arm" (1955) und "Sieben gegen Chicago" (1964). Und natürlich folgendes Credo: "Ich finde Religion nicht verächtlich. Ich bin für alles, was einem durch die Nacht hilft. Seien das Gebete, Tranquilizer oder eine Flasche Jack Daniel's."

Frank Sinatra starb am 15. Mai nach langer und schwerer Krankheit an einem Herzinfarkt. Er wurde 82 Jahre alt.