Wenn alle Nazis lange Haare hätten

Nie wieder Deutschland - anders ist Antifaschismus hierzulande nicht machbar. Eine Gegenrede
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Wenn man sich der eigenen Marginalität bewußt wird - wie auch immer -, kann das schon bitter sein. Es kann ein Kollektiv ebenso hart treffen wie das Individuum. Während sich die noch Wenigeren jedoch mit diesem Umstand arrangieren, konstruieren die meisten Wenigen Optionen, die sie entweder Ideale, Utopie, Perspektive oder - tagesaktuell - Bündnis nennen. Auf jenes Optionen-Sammelsurium beruft sich die Linke seit Jahrhunderten. Auch wenn sie dabei im nachhinein immer ins Leere geschaut hat, tut das der Sache scheinbar keinen Abbruch.

In der Jungle World, Nr. 20, sinniert Hanno Martens vom Antifa-Infoblatt über die Option seines Kollegen Michael Thomas, der mit Haut und Haaren "in die Gesellschaft hineinwirken" möchte, wie er in Jungle World, Nr. 17, großspurig verkündete.

Abgesehen vielleicht von der Tatsache, daß es durchaus überlegenswert wäre, inwieweit eine Linke unter Umständen in die Gesellschaft hineinwürgen sollte, kann der beschränkte Antifa-Ansatz des Kollegen Thomas wahrlich nicht froh stimmen. Das umso mehr, als sein Kollege Hanno Martens ihm mit den Worten zur Seite springt, die Gesellschaft, die deutsche zumal, sei kein "monolithischer Block".

Würde es beispielsweise in Nazikreisen hip, lange statt kurze Haare zu tragen, wären die Nazis vermutlich immer noch dieselben Nazis. Nun, vielleicht nicht unbedingt beim Kollegen Hanno Martens - bei mir und bei einigen mir bekannten Leuten jedoch bestimmt. Nicht anders verhält es sich mit den von Martens angeführten Beispielen für eine mutmaßlich heterogene Gesellschaft. Als da wären, wie er schreibt, "Subkulturen, Tendenzen, Trends und auch Machtverhältnisse". Alle Genannten unterliegen nun mal einem ganz bestimmten Gesellschaftstyp, der nach mir vorliegenden Informationen immer noch Kapitalismus heißt und dessen Warenfetischismus tatsächlich die gesamte Gesellschaft durchdringt.

Nun ist es so, daß diese Tatsache nur geblickt werden kann, wenn man sich in kritischer Distanz zu ihr befindet. Meinetwegen leider, aber so ist das nun mal, verhilft dazu nur Ideologie. Genau jene aber weist Kollege Hanno Martens strikt von sich, wenn er schreibt, eine antifaschistische Politik müsse sich "an den realen Gegebenheiten und nicht an moralischen Imperativen orientieren".

Realpolitik ist bekanntlich das Ersaufen in Sachzwängen. Flöten geht dabei immer die Gesellschaftskritik - aber das nur am Rande. Viel schwerer wiegt hier, daß sich Martens mit der Zurückweisung eines "moralischen Imperativs" des einzig sicheren Kriteriums für gesellschaftlichen Durchblick entledigt, um ready "für Bündnispolitik" zu sein und damit folgerichtig seiner Erkenntnis Tribut zollt, "daß Gesellschaft sich aus unterschiedlichen Strömungen, Gruppierungen und Institutionen zusammensetzt und sich eben nicht nur entlang einer 'ethnischen Zugehörigkeit'" begreifen ließe.

Nun ist der Wunsch, die Antideutschen, die von Martens insbesondere verteufelt werden, der Einfachheit halber Ethnozentristen schimpfen zu können, durchaus deutlich ablesbar. Aber unbeeindruckt davon schreit es schon zum Himmel, das gesellschaftlich konstitutive Element des Deutschseins so hartnäckig zu ignorieren und damit auch jegliche deutsche Spezifik zu übergehen. Alles in allem müßte Martens schon den Beweis antreten, daß das Monolithische dieser deutschen Gesellschaft tatsächlich nicht im Bekenntnis zum Deutschtum liegt.

Nur wird ihm das wohl ohne Kaschierung der wirklichen Verhältnisse kaum möglich sein. Insofern wird er vermutlich auch davor zurückschrecken, seine potentiellen BündnispartnerInnen aus Gewerkschaften, Kirchen und Parteien mal danach zu befragen, welchen nationalistischen und rassistischen Organisationen sie denn da möglicherweise angehörten.

Es läßt sich an fünf Fingern abzählen, wie die Bündnispolitik aussieht, für die Martens so eindringlich plädiert: Der berühmte kleinste gemeinsame Nenner, der ja keine Widersprüche aufkommen läßt und der nur zustandekommt, indem sich autonome Antifas immer wieder aufs neue selbst verleugnen und in die Tasche lügen.

Hinterfragte Martens nur einmal, warum in Deutschland immer mehr durchgeknallte Arbeits-Wahnsinnige die Lohnarbeit anhimmeln und auf den Knien rutschend nach Arbeit flehen, könnte er für sich eine wichtige Entscheidung treffen: Entweder, er möchte genau zu diesen Idioten gehören, oder aber er merkt, daß er mit denen, schon des Wertekanons wegen, eigentlich nicht viel am Hut hat.

Verübeln darf er mir jedoch nicht, daß ich ihm für den Fall, daß er sich für ersteres entscheidet, eher die Mitarbeit in einer Jobber-Ini empfehlen würde, weil mein antifaschistisches Verständnis durchaus um die Parallelität des normalen deutschen Arbeitsethos und das der Nationalsozialisten weiß. Gerade weil auch Martens "die Verantwortung, die wir den Opfern des Nationalsozialismus (Ö) gegenüber haben", anmahnt, möchte ich ihm mit auf den Weg geben, daß das Werben für den Ausstieg aus der deutschen Volksgemeinschaft genau dieser Verpflichtung nachkommt.

Dazu gehört aber eben auch zu sagen, daß Arbeit grundsätzlich scheiße und mit den Deutschen kein Nationalsozialismus zu stoppen ist. Ich gebe Martens recht, wenn er schreibt, daß auch eine radikale Linke letzteres nicht vermag und das Festhalten daran eine "Illusion" ist.

Trotzdem, und das macht einen Bruch mit den Traditionen der deutschen Linken unumgänglich, taugt gerade der Topos Nie-wieder-Deutschland zum tatsächlich individuellen Imperativ eines radikalen Linken in Deutschland.

Der Autor ist in der sächsischen Antifa aktiv.

Zum Thema erschienen Beiträge in Jungle World, Nr. 17, 20 und 21/98.