Nach Haft droht Immigranten in Frankreich die Ausweisung

Doppelt strafen, besser strafen

Nach 50 Tagen beendeten am vergangenen Sonnabend im südfranzösischen Lyon zehn Immigranten ihren unbefristeten Hungerstreik. Dazu entschlossen sie sich, um irreversible Gesundheitschäden zu vermeiden. Der 50. Tag gilt schließlich bei Hungerstreiks allgemein als kritische Schwelle, ab der ein Koma möglich ist.

Die Hungerstreikenden - algerischer sowie tunesischer Nationalität - wandten sich mit ihrer Aktion gegen die sogenannte Doppelstrafe für Immigranten. Nach geltendem Recht kann eine verurteilte Person nicht-französischer Staatsangehörigkeit nämlich nicht nur zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, als zusätzliche Sanktion droht darüber hinaus eine Ausweisung sowie ein Einreiseverbot. Dies kann entweder von jenem Richter, der auch die Haftstrafe verhängt, oder nachträglich vom französischen Innenminister angeordnet werden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt diese Regelung als offenkundigen Verstoß gegen die Gleichheit vor dem Gesetz - denn natürlich kann keinem Franzosen der Aufenthalt auf dem Territorium des Landes per Urteil verboten werden. Der Gang nach Strasbourg steht den betroffenen Immigranten allerdings erst offen, wenn der nationale Rechtsweg - bis zum Obersten Gerichtshof - vollständig ausgeschöpft ist, was mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann. Und selbst dann ist unsicher, ob eine Klage von der Europäischen Menschenrechtskommission überhaupt zugelassen wird.

Dabei hat das Strasbourger Europaparlament im Februar dieses Jahres eine Entschließung verabschiedet, in der Doppelbestrafungen verurteilt und alle Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, von dieser Praxis abzusehen. Alle sozialistischen Europaparlamentarier - auch die französischen Abgeordneten - votierten für den Beschluß, was die französische Linksregierung aber keineswegs daran hindert, an der diskriminierenden Sanktion festzuhalten.

Die Hungerstreikenden von Lyon waren bereits vor etlichen Jahren strafrechtlich verurteilt und zusätzlich vom Gericht oder vom Innenministerium mit der Ausweisung aus Frankreich sanktioniert worden. Als Kinder oder Jugendliche waren sie einst nach Frankreich gekommen - die meisten von ihnen haben inzwischen Kinder mit französischen Ausweisen, denn nach dem geltenden Recht erhalten in Frankreich geborene Kinder vor Erreichen der Volljährigkeit automatisch die Staatsbürgerschaft.

Der Tunesier Moncef beispielsweise, heute 40 Jahre alt, immigrierte vor 30 Jahren und wurde im Jahr 1983 wegen des angeblichen Besitzes von zwei Gramm Heroin zu zwei Jahren Haft verurteilt. Deswegen soll er nun das Land verlassen.

Auch der 50tägige Hungerstreik konnte die Pariser Regierung nicht dazu bewegen, die Forderung der zehn, unbehelligt in Frankreich bleiben zu dürfen, vollständig nachzugeben. Den Immigranten wird statt dessen lediglich garantiert, daß eventuelle Abschiebemaßnahmen gegen sie für die nächsten sechs Monate ausgesetzt werden, damit sie die gesundheitlichen Folgen des Hungerstreiks auskurieren können. Außerdem sollen die Ausreiseverfügungen für jeden einzelnen von ihnen von den jeweiligen Richtern oder dem Innenminister individuell geprüft werden. Solange stehen die Betroffenen allerdings unter Hausarrest.

In Solidarität mit dem nunmehr abgebrochenen Hungerstreik formierte sich in Lyon eine Bewegung, die insbesondere von jugendlichen Immigranten aus den Banlieues mitgetragen wurde. Mehrfach wurde in den 50 Tagen das örtliche Büro der Sozialisten, der Partei von Premierminister Lionel Jospin, besetzt.