Energisch in die Defensive

Fünf Jahre nach der De-facto-Abschaffung des Asylrechts ist auch bei den Grünen nur noch vorsichtige Kritik geblieben

Außer Ernüchterung ließ der Anlaß nicht viel zu: "Wir müssen anerkennen, daß die von uns gewünschte Wiederherstellung des Artikels 16 Grundgesetz zur Zeit unmöglich ist." Fünf Jahre nach der De-facto-Abschaffung des Asylrechts brachte vergangene Woche der Vorstandssprecher der Bündnisgrünen, Jürgen Trittin, den politischen Positionsverlust der parlamentarischen Vertreter einer liberalen Flüchtlingspolitik auf den Punkt. Mit den massiven Einschränkungen des Artikels 16 im Mai 1993 begann nicht nur der politische Rollback für die radikale Flüchtlingsbewegung und ihre bis in die Reihen der Bündnisgrünen hineinreichende Forderung nach einem "Bleiberecht für alle"; auch in den Parlamenten nahmen Grüne, PDSler und linke Sozialdemokraten seither bei Flüchtlingsfragen nur noch Defensivpositionen ein.

Stellte die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl durch CDU, SPD und FDP 1993 für viele einen Endpunkt in der Einschränkung von Flüchtlingsrechten dar, zeigt sich fünf Jahre später, daß das Ende der Fahnenstange längst nicht erreicht ist. Was mit der - vom Europarat und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) immer wieder kritisierten - Einführung von Flughafen- und Drittstaatenregelung bereits damals asylrechtlich kaum hätte heftiger ausfallen können, wurde in den letzten Jahren noch weiter verschärft.

Stand bis 1993 noch die Verteidigung rechtsstaatlicher Gleichberechtigung von Asylsuchenden auf dem Programm der parlamentarischen und außerparlamentarischen Unterstützergruppen, sind derartige Garantien inzwischen weitestgehend eingeschränkt. Durchgesetzt haben sich im Bundestag und den Landesparlamenten diejenigen, die vor allem den Bosnien-Flüchtlingen eine unzumutbare Ausnutzung der "großzügigen Aufnahme" der BRD während des Krieges im früheren Jugoslawien vorwerfen. Ihrem Ziel, die Einreise von Flüchtlingen zu verhindern, sind die Parteien seitdem ein großes Stück nähergerückt: Anerkennungsquoten von drei Prozent, wie sie bei der Vorstellung der monatlichen Asylbewerberzahlen von Innenminister Manfred Kanther (CDU) immer wieder freudig präsentiert werden können, zeigen, daß das deutsche Abschottungssystem an den Grenzen zu Polen und Tschechien immer weiter perfektioniert wurde.

Doch mit dem Aufbau neuer Grenzsicherungssysteme im Osten und dem Abbau demokratischer Grundrechte nicht genug - in der Zwischenzeit hat sich der parlamentarische Kampf gegen die Rechte von Flüchtlingen auf die soziale Ebene verlagert. Insoweit zeigt das zweifelhafte Jubiläum der De-facto-Abschaffung von Artikel 16 auch eine neue Qualität der flüchtlingsfeindlichen Bundes- und Länderpolitik an.

Ein Punkt, den der Grünensprecher Trittin in seiner Kritik an den bestehenden Gesetzen letzte Woche vergessen hat: Neben der weitgehenden Reduzierung des Asylrechts auf ein Recht auf illegale Einreise führte der Bundestag 1993 das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) ein. Die medizinische Hilfe für Flüchtlinge wurde auf die Behandlung akuter und schmerzhafter Erkrankungen beschränkt. Vergangenes Jahr schließlich mußten die Flüchtlinge eine Kürzung ihrer Sozialhilfesätze auf 80 Prozent dessen hinnehmen, was deutsche Staatsbürger erhalten.

Daß nun ausgerechnet der große Koalitionspartner in spe, die Sozialdemokratie, entscheidend an einer weiteren Verschärfung dieses AsylblG arbeitet, läßt grüne Kritiker offenbar kalt. Längst haben sich die alternativen Parlamentarier von jener Position in Sachen Flüchtlingspolitik verabschiedet, die sie noch vor 1993 vertreten hatten. Offen eingeräumt wird inzwischen, daß diese Frage auch bei Koalitionsverhandlungen "höchstens an vierter oder fünfter Stelle" stehen wird. Da führt auch der Verweis darauf, auf europäischer Ebene Änderungen durchsetzen zu wollen, nur in die Irre. Schließlich zeigen bisherige Erfahrungen, daß sich auf nationaler Ebene verlorene Positionen im Europaparlament nicht zurückgewinnen lassen.

Auch innerhalb der rot-grünen Landesregierungen war bei den Beratungen des AsylblG kein grüner Minister bereit, für den Erhalt der jetzigen Bestimmungen die Koalitionsfrage zu stellen. Enthaltungen im Bundesrat blieben somit das Maximum dessen, was sich Grüne in Regierungsverantwortung an asylfreundlichen Ansätzen noch geleistet hatten. Entsprechend ist kaum zu erwarten, daß es bei den nun im Juni anstehenden erneuten Verschärfungen des AsylblG zu Koalitionsbrüchen in den rot-grünen Ländern kommen wird.

Im Umfeld der niedersächsischen SPD-Fraktion hieß es vergangene Woche, daß ein Änderungsvorschlag zu den Mitte März verworfenen CDU-Plänen vorliege, dem auch die Zustimmung der Unionsfraktion sicher sei. Darin soll allenfalls noch eine befristete Ausnahmeregelung für bosnische Flüchtlinge berücksichtigt werden - ansonsten bleibt alles, wie im ursprünglichen, von zahlreichen Organisationen und Verbänden bis hin zum Deutschen Städtetag kritisierten Entwurf: Rund eine halbe Million Bürgerkriegsopfer, Kriegs- und andere Flüchtlinge, für die ein vorläufiger Abschiebestopp erlassen wurde, stünde vor der Alternative, entweder "freiwillig" auszureisen oder aber in Deutschland zu bleiben - eine Option freilich, für die dann zuträfe, was Berlins Innensenator Jörg Schönbohm bereits Anfang Februar ankündigte: "Diese Gruppen werden nicht mehr durchgefüttert."