Saalfelder Kompromisse

Demonstrieren gegen die "eigene" Bevölkerung? Ein weiterer Beitrag zur Antifa-Debatte

Der Artikel von Wladimir Schneider im Jungle World-Dossier zum NPD-Aufmarsch in Leipzig (Nr. 17/98) spiegelt die mißliche Lage der radikalen Linken in diesem Land wider. Er verdeutlicht ebenso wie die Reaktion eines Antifa-Infoblatt-Redakteurs, daß es nur halbherzige Einschätzungen auf die schwierige Situation gibt.

Als wir im Frühjahr 1997 als Antifa-Gruppe in Saalfeld, worauf sich Schneider unter anderem bezieht, an die Möglichkeit einer Demonstration dachten, um die dortigen Zustände einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen, war es logisch, nach Partnern zu suchen, die uns bei der Vorbereitung unterstützen würden. Dies gelang auch relativ gut - GewerkschafterInnen, PDS, Grüne und andere Antifa-Initiativen waren bereit, das Anliegen zu unterstützen. Dies galt für die dann verbotenene ebenso wie für die Folgedemo am 14. März dieses Jahres. Die größten Probleme für die März-Demo ergaben sich aus den unterschiedlichen Vorstellungen über Aufrufe und Motto. Nach den Vorstellungen der autonomen Gruppen sollte unter dem Motto "Den rechten Konsens durchbrechen! Antifaschismus läßt sich nicht verbieten!" demonstriert werden.

Obwohl fast alle Beteiligten jene, die den rechten Konsens auszeichnen, im konkreten Fall Saalfeld analysierten, wollten etliche Bündnispartner die Sache allerdings nicht beim Namen nennen. Besonders ging es um die Rolle der Bevölkerung, die neben den Nazis selbst und der behördlichen Ignoranz die dritte und wesentlichste Stütze für den rechten Konsens ist. "Man kann doch nicht gegen die Bevölkerung demonstrieren", "zu gewaltverherrlichend" - so die Kritik von seiten unserer Bündnispartner. Daß die Demo schließlich unter dem Kompromiß "Gegen jeden rechten Konsens" stattfand, lag an unserer Schwäche, daran, daß wir auf Bündnisse angewiesen sind, um auf der Straße präsent sein zu können. Schließlich hatten alle noch das Verbot vom 11. Oktober und die Massenfestnahmen im Hinterkopf.

Was folgt nun aus dieser Situation? Die Bündnisstrategen wollen die Stützen der Nazigruppen - Stadtväter und Bevölkerung, die nicht in ihrer Ruhe gestört werden will und ihren Nazis wohlgesonnen ist, da diese genauso perspektivlos wie sie selbst seien, für sich gewinnen. Hier wird trotz anderer Realität eine traditionelle Affinität zur Masse aufrechterhalten. Wenn eine solche Kompromißbereitschaft, die Wirklichkeiten verschleiert, das Ergebnis antifaschistischer Politik ist, so stellt sich die Frage, ob damit jemandem geholfen ist? Da es gilt, die gesellschaftlichen Zustände beim Namen zu nennen, bedeutet der kritische Bezug zur Masse nicht das Ende jeder antifaschistischen Politik, sondern den notwendigen Beginn einer neuen, die gesellschaftliche Realitäten erkennt und sich einen entsprechenden Umgang damit aneignet. Denn bei der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner können schnell andere Interessen als die Entlarvung der TäterInnen Priorität gewinnen.

Wer in die Gesellschaft hineinwirken will, der muß dieser ihre eigene Verstrickung in die systemischen Mißstände verdeutlichen. JedeR hat die Möglichkeit, seine eigene Situation zu reflektieren und sein Handeln selbst zu bestimmen. Von dieser Verantwortung kann man keineN freisprechen. Es kann jedenfalls nicht das Anliegen antifaschistischer Politik sein, dem rassistischen Mob aufgrund ökonomischer Mißstände Verständnis entgegenzubringen.

Genau das ist aber Diskussionslage bei einigen unserer potentiellen BündnispartnerInnen - erinnert sei hier nur an die Gollwitzdebatte oder an die Dresdener PDS-Spitzenkandidatin Christine Ostrowski. Diese Toleranz führt dazu, daß sich die Nazibanden als Anwalt der Interessen der Volksgemeinschaft fühlen, deren Willen sie Ausdruck verleihen, weil sie die Gedanken der Bevölkerung in die Tat umsetzen. Max Weber, Theoretiker der bürgerlichen Demokratie, wies in seiner Schrift "Politik als Beruf" darauf hin, daß jeder Revolutionär seinen Mitstreitern zukünftige Prämien in Aussicht stellen muß, damit diese bei der Sache bleiben. Sobald die Massen jedoch ein "lukrativeres Angebot" erhalten, werden sie sich abwenden. Genau das scheint das Dilemma unserer "Überzeugungsarbeit" zu sein: Wir müssen die Masse der Bevölkerung von der Notwendigkeit von Freiwilligkeit, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung überzeugen, sonst stehen wir am Ende wieder alleine da.

Das scheint der Abschied von jeglichem revolutionären Anspruch zu sein. Auch wenn dies nicht angenehm ist, ist es die gegenwärtige Realität. Es gilt, neue Strategien und Praktiken für unsere Arbeit zu entwickeln, die von falscher Kompromißbereitschaft Abstand nehmen muß. Zumindest bleiben wir damit unseren Grundsätzen treu, langfristig eine herrschaftsfreie Welt anzustreben und auf dem Weg dahin die kapitalistischen Verhältnisse und die Nazis nebst ihren Unterstützern konsequent anzugreifen. Eine Gesellschaft, die offen empfänglich für völkische Theoreme ist, kann man in ihrer Rechtsentwicklung nicht aufhalten. Man muß ihr konsequent entgegentreten, anstatt an traditionellen Theoremen festzuhalten.

Abschließend sei erwähnt, daß ich hier nicht explizit gegen Bündnisse polemisieren will. So ist auch in Saalfeld allein wegen der verschiedenen Veranstaltungen die Existenz des dortigen Bündnisses mehr als berechtigt. Nötig sind allerdings entsprechende Kriterien, um eine Diskussion zu gewährleisten, die Autonome als politische Akteure ernst nimmt. Gemeinsamkeiten in der Problemdeutung ist dafür eine wichtige Voraussetzung.

Der Autor ist in der Antifa Saalfeld aktiv.

Beiträge zur Debatte um Antifapolitik erschienen in den Jungle World-Ausgaben Nr. 17, 20, 21 und 22/98.