Nazis akzeptiert

In Potsdam wird seit April nicht nur unter SozialarbeiterInnen über den Umgang mit rechten Jugendlichen diskutiert

"Wir müssen die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit dem Verfassungs- und Staatsschutz intensivieren." Dies ist nach Ansicht des Potsdamer Jugenddezernenten Jann Jakobs die Konsquenz aus der Affäre "Proissenheads", die im April in Potsdam Anlaß für eine bis heute andauernde Debatte über integrative und akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen war.

Ein neugegründetes Antifa-Bündnis konfrontierte damals die Öffentlichkeit mit der Tatsache, daß eine in den Verfassungsschutzberichten der letzten beiden Jahren aufgeführte Naziband seit 1995 allwöchentlich ihre Proben in einem städtischen Jugendklub unter den Augen und Ohren der dort angestellten SozialarbeiterInnen abhalten konnte.

Die Empörung nach dieser Enthüllung war groß. Niemand mochte die Verantwortung übernehmen für die jahrelange Unterstützung einer Band, die in einem Skinheadfanzine bereits im Dezember vorletzten Jahres erklärte: "Wir singen nicht über White Power - wir sind White Power!", und deren Konzerte schon mehrfach von der Polizei verhindert oder aufgelöst wurden - im sächsichen Leisnig ebenso wie im US-amerikanischen Buffalo.

Vier Tage nach dem Outing durch die Potsdamer Antifas kündigte man der Nazi-Band den Proberaum. Die verschiedenen Institutionen vom Jugendamt über Polizei bis zum Verfassungsschutz erklärten, in Zukunft besser zusammenarbeiten zu wollen. Vom Ansatz der integrativen und akzeptierenden Jugendsozialarbeit will die Brandenburger Landeshauptstadt auch künftig nicht lassen.

"Es bringt nichts, gefährdete Jugendliche auszugrenzen, da sie sonst zwangsläufig ins Extreme abgleiten", meint Jakobs. Schließlich habe dieses Konzept in Potsdam auch Wirkung gezeigt. So sei in den letzten zwei Jahren ein Rückgang der Gewalt in und um Jugendklubs zu verzeichnen. Ebenfalls zu verzeichnen ist jedoch, daß vor allem in den Potsdamer Außenbezirken Nazis das öffentliche Bild prägen, sei es nun auf Sportplätzen, an Imbißbuden oder in Clubs.

Ein Beispiel für den vermeintlichen Erfolg des akzptierenden Ansatzes ist für den Jugenddezernenten der Club Lindenpark, wo es gelungen sei, "Jugendliche nach einer rechten Phase in andere Gruppen zu integrieren". Dieser Club hatte sich 1993 nach einem Naziüberfall für akzeptierende Jugendarbeit entschieden. Wie ein Mitglied des Potsdamer Antifa-Bündnisses erklärte, sei die Folge gewesen, daß die Ordnungstruppe des Clubs zunehmend aus jungen Männern bestanden habe, die als Nazis bekannt sind. Und während jene dort bis heute für Ruhe sorgen, zogen sich alternative Jugendliche immer mehr zurück.

Mit der Begründung, selbst akzeptierende Jugendarbeit zu machen und die eigene Klientel nicht verprellen zu wollen, erteilte der Lindenpark konsequenterweise einer Anfrage des Antifa-Bündnisses eine Abfuhr, die Räumlichkeiten für eine antifaschistische Podiumsdiskussion über "national befreite Zonen" und akzeptierende Jugendarbeit mit Rechten zu nutzen.

Ebenfalls zum Thema Sozialarbeit mit Jugendlichen tagten Anfang Juni WissenschaftlerInnen, SozialarbeiterInnen sowie Regierungs- und PolizeivertreterInnen unter Ausschluß der Öffentlichkeit in Potsdam. Titel der Veranstaltung: "Möglichkeiten und Grenzen akzeptierender Jugendarbeit". Bei dem eintägigen Seminar wurden Forderungen wie die von Jakobs nach einer besseren Zusammenarbeit mit den Staatsschutzorganen abgelehnt. Im Gegenteil forderten die Anwesenden vor allem ein eingeschränktes Schweigerecht für SozialarbeiterInnen.

Der Bremer Professor Franz-Josef Krafeld wies jedoch auch auf die Grenzen akzeptierender Jugendarbeit hin. Die seien dort, wo Multiplikatoren unterstützt, rassistische Hetze verbreitet und andere Menschen bedroht werden. Doch solche Grenzen werden in der Praxis nicht immer eingehalten. Das wird nicht zuletzt durch Aussagen Igor Glöckners bezeugt - dem Leiter des Jugendclubs "Stern", wo die Proissenheads bis April ungestört ihre rassistischen Kampflieder üben durften.

Er hält das Auftrittsverbot gegen die Proissenheads für ungerechtfertigt, "solange sie sich an Gesetze halten und nicht zu einer verbotenen Gruppe gehören", und fragt - nicht ohne stolz: "Wer hat den Proissenheads eine Chance gegeben und hat sie selbst etwas sagen lassen?" Und was Glöckner unter akzeptierender Jugendarbeit versteht, erklärt er auch: "Wir müssen akzeptieren, daß ein Teil der Bevölkerung rechte Ansichten hat. Damit muß man in einer pluralistischen Gesellschaft leben können."