On-U-Sound-Kick

Es gab ja mittlerweile schon Aufrufe, doch bitteschön die Ernsthaftigkeit des sportlichen vor dem unterhaltenden Aspekt zu betonen. Beim Fußball. Bei der Mannschaft der Jamaikaner. Fuck that. Wozu? Das Beste an dieser WM ist doch gerade die Peinlichkeitsparade und das Offensichtlichmachen, wie konstruiert diese authentischen Nationalmannschaften sind und wie gut diese Stadien-Verbrüderungsinitiationen die Wir-Gruppe herstellen. Musik scheint dabei eine marginale Rolle zu spielen, außer, wie zum Beispiel in D., wo die Wir-Gruppe durch das gemeinsame Singen der waschenden Spielermütter zusammengeschweißt wird, oder, wie in Jamaika, wo es den mythenbildenden Lifestyle-Soundtrack zur Mannschaft gibt. "A Tribute to the Reggae Boyz" ist eine Compilation, die den direkten Reisebegleiter "unserer Jungs" darstellt - auch wenn sie noch nie oder nur im Urlaub auf dieser Insel waren. Mengenweise Verehrung und Respektbezeugung, Jah, die Fahne, der Fußball, die Spieler, von Jimmy Cliff zu Tony Rebel, von Dancehall-Star Yellowman zu Bob Marley.

Ganz anders, weniger gezielt und mehr an den Ausuferungen denn an den Eingrenzungen interessiert ist eine andere Bewegung, die aus Jamaika kommt und jetzt nahezu vollständig wiederaufgelegt wurde: die Dub-Produktionen von On-U-Sound. Adrian Sherwood steht auf einmal wieder mitten im Zimmer und mixt und alchimiert diese kraß poppigen Anfang-Achtziger-Jah-Wobble-Keyboards mit den rootenden Dub-Plates, den Toasting- und Percussion Experten. Prince Far I kommt mit seiner In Group vorbei, die Tablas von Talvin Singh, die Bim Sherman-Klassiker, The Mad Professor, Ravi Shankar, Bonjo I und Crocodile sind dabei, auf den schönen neuen Re-Releases von On-U. Die Welt von African Head Charge, Dub Syndicate, Keith LeBlanc - dieses ausgedehnte Netzwerk von Leuten, die in den Achtzigern irgendwie irgendwas mit den Aufnahmen von On-U-Sound zu tun hatten, den Lee Perry-Kanälen um Congo Ashanti Roy und Mikey Dread. Die Offenbarung vor dem Armaggedon, King Tubby, der Mann, der die Zeit anhielt und Reggae zur Unterwassermusik machte.

Nicht nur die Verkettung der Musiker, die Wortspiele, die Titel, Band- und Musikernamen und die Musik in ihrer relaxten Dubbigkeit, das Endlos-auf-einem-Take-Stehenbleiben, das Zeiterweitern und die enorme Umtriebigkeit und Unterschiedlichkeit der Einflüsse, sind verdammt umwerfend. African Head Charge mit ihren Landart-Titeln wie "Drastic Season, Environmental Studies" oder Creation Rebel, die mit dem unmißverständlichen "Starship Africa" die letzte Verbindung zwischen den Sun-Ra-Alien-Welten und Gibsons Dub-Science Fiction herstellen.

Das, was von Punk-sozialisierten Menschen, die bei Reggae nur an Bob Marley denken, als nervend empfunden wird, das Organische, Repetitive, das Einfach-so-stehen-Bleiben, potenziert sich bei den On-U-Sound-Veröffentlichungen noch durch die Elektronik. Dub ist eben nicht nur Ambient, sondern wird auch, wie auf der Apollo Choco Remixed von Audio Active zu hören ist, zu Punk. Jedenfalls wenn Atari Teenage Riot-Mann Alec Empire seine Digital-hardcore-Finger in die Dubmachine bringt.

On-U-Sound Platten sind high-tech verarbeitete Sammlungen von Rhythmen und Geräuschen, die von überall kommen. Es sind Anleitungen zu Außer-Körper-Reisen, psychedelisches mapping, Land-Art-Skizzen und Verhaltensanweisungen für Ufo-Entführungen. Oder eben einfach nur der Soundtrack zu "Angst vor dem grünen Planet".

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