Schnappen nach der Wurst

Henrik Ghanaat hat den neuen Wolfgang Pohrt gelesen

Was drinsteht in der aktuellen Ausgabe von "Pohrt antwortet", konkret, Nr. 8/98: Erstens: Flüchtlinge werden benutzt.

Wenn ich einen Interventionsgrund haben will, gebe ich Personen aus bestimmten Herkunftsländern den Status von Vertriebenen und Verfolgten. Je mehr ich reinlasse, je mehr Wirtschaftsflüchtlinge ich als politische Flüchtlinge anerkenne, als desto grausiger stellt sich das Regime im Herkunftsland der Zuzügler für die hiesige Öffentlichkeit dar. Und irgendwann kann der Verteidigungsminister unter dem Beifall der Presse sagen, dergleichen sei in Europa "nicht hinnehmbar".

Zweitens: Flüchtlinge sind nicht die besseren Menschen.

Wir ahnen vielleicht, daß das Häufchen Elend, das an der Grenze um Einlaß wimmert, nur die halbe Wahrheit ist. Es steckt mehr Energie darin, als unsereiner sich vorstellen könnte, daß er sie jemals aufbringen wird. Nichts als bloß armer Teufel ist keiner, der es über alle geographischen Entfernungen und administrativen Hürden bis zur deutschen Grenze schafft (...). Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Kosovo können uns Kapitalismus pur beibringen. Sie haben das Survival of the fittest im tiefsten Elend gelernt. Es sind die Fittesten, die sich durchgeschlagen haben bis hierher.

Das ist beides richtig. Nicht ganz falsch ist auch Pohrts Schlußfolgerung: So ist der Kapitalismus nun mal, alle schnappen nach der Wurst, und wer am höchsten springt, der frißt sie auch. Warum soll unsereiner diesen Prozeß mit rührseligen Kommentaren begleiten?

Schon deshalb nicht, weil man nie rührselig sein sollte, und unsereiner, also die deutsche Linke, schon gar nicht. Sie ist es immer gewesen, ob sie den Weltfrieden retten wollte oder den deutschen Wald. Sie sollte inzwischen klüger sein, ob aus Erfahrung oder durch Lektüre der Bücher von Wolfgang Pohrt

Wann man aber rührselig ist und wann nicht, darüber kann unsereiner verschiedener Meinung sein. Ich bin zum Beispiel nicht der Meinung von Wolfgang Pohrt, daß rührselig schon ist, wer angesichts der Situation von Flüchtlingen für Menschenrechte eintritt

Internationalismus nannte sich das mal, und das war, sagt Wolfgang Pohrt, eine gute Sache. Doch nicht erst heute dürfen wir miterleben, wie ein Abkömmling unseres Internationalismus, nämlich die sogenannte Menschenrechtspolitik, dazu dient, genau jene Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse zu festigen, die wir hatten brechen wollen.

Schlimm für uns, gut für die Herrschaftsverhältnisse. Aber die werden durch die propagandistische Ausschlachtung der Menschenrechte sowenig menschlich wie die Menschenrechte ein bloßes Herrschaftsinstrument. Und heute ebensowenig wie zu Zeiten des Internationalismus, als die USA unter Berufung auf Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Vietnam einmarschierten.

Was Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind, war auch damals niemandem so ganz klar. Klar war aber, und zwar einer ganzen Menge von Leuten, daß Freiheit, Demokratie und Menschenrechte etwas anderes bedeuten müssen als Napalm, Phosphor und Agent Orange. Vielleicht nicht gerade wahrscheinlich, aber möglich ist es schon, daß auch demnächst die Idee sich verbreiten könnte, daß "Humanität", "Verantwortung" und "Menschenwürde" etwas anderes bedeuten müssen als Auslandseinsätze der Bundeswehr. Spätestens dann, wenn die Bundeswehr die erste serbische Stadt in Schutt und Asche gelegt haben wird.

Flüchtlinge werden benutzt. Nicht auszuschließen, daß das einmal gegen die Benutzer verwendet werden kann. Flüchtlinge sind nicht die besseren Menschen. Doch wer behauptet das schon? Friedrich Schorlemmer vielleicht oder Eugen Drewermann, ich weiß es nicht. Vielleicht sind Flüchtlinge sogar die schlechteren Menschen, potentielle Agenten, Kollaborateure, Geschäftspartner, Stoßtrupp, Brückenkopf, skrupellose Typen also, die auch hierzulande Karriere machen werden. Mag sein.

Doch darum geht es nicht. Worum es geht, ist die schlichte Feststellung, daß niemand ein guter Mensch sein muß, um Anspruch darauf zu haben, wie ein Mensch behandelt zu werden. Die Tatsache, daß Flüchtlinge in Deutschland nicht wie Menschen, sondern eher wie Ungeziefer behandelt werden. Die Forderung, daß sich das ändere. Und die Frage, wie das zu erreichen ist.

Dazu steht nichts in konkret, Nr. 8/98. Vielleicht ist das alles eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht setzt Pohrt das alles voraus. Das Fatale ist bloß, daß man solche Selbstverständlichkeiten nicht voraussetzen kann. Fast niemand hält sie nämlich noch für welche. Auch deshalb steht in dieser Zeitung Woche für Woche die Kolumne "Deutsches Haus", die Fallsammlung zum Thema.

Eine andere Frage: Wenn der Kapitalismus nun mal so ist, wie er ist, und die einen haben halt Pech und müssen sich unter unvorstellbaren Strapazen und Entbehrungen bis in den Westen durchschlagen, und die anderen haben halt Glück und dürfen sich's im Westen einfach wohl sein lassen - ist das nicht eine schwer zu ertragende Ungerechtigkeit? Mir kommt es jedenfalls so vor, wann immer es mich in eine wohlhabende westliche Stadt verschlägt, nach Hamburg zum Beispiel oder nach Stuttgart. Das wäre doch gerecht, sage ich mir dann manchmal, wenn die Bevölkerung von Stuttgart nicht auf ewig diese schöne Stadt bewohnen dürfte. Wenn es nach vierzig, fünfzig glücklichen Jahren im Ländle hieße: Stuttgarter raus! Ab in das Kosovo! In die frei gewordenen Wohnungen dürften dann die Kosovo-Albaner einziehen.

Um die in Stuttgart ansässige Automobil-Industrie bräuchte man sich keine Sorgen zu machen. Schließlich hat die Elite der Kosovo-Albaner in ihrem Kampf ums Dasein ein Überlebenstraining durchlaufen, wie es bei manchen Firmen heute zum Selektionsverfahren für Führungskräfte zählt. Glaubt man Wolfgang Pohrt, dann sollte das reichen, um bis an die Spitze von Daimler-Benz zu kommen.