Ein Kampf ums Volk

Rechte Stimmen im Neuen Deutschland: Eine Premiere mit Vorgeschichte.

"Vor jedem nationalsozialistischen Arbeiter, Angestellten und Kleingewerbetreibenden steht die Frage: Mit den Kommunisten gegen die Kapitalshyänen, gegen die deutschen Sklavenhalter des internationalen Finanzkapitals, gegen die Wucherer und Schieber, oder mit den Kapitalisten und mit den nationalsozialistischen Führern gegen die revolutionären Arbeiter." Walter Ulbricht am 22. Januar 1931 (zitiert nach Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen. Bd.I, Berlin / DDR, 1955, S. 530) Für mich ist die Grenze des Zumutbaren erreicht, ich habe mein Abonnement des Neuen Deutschland gekündigt. Der Grund: Am vergangenen Freitag hat das ND erstmals einen Artikel eines bekannten Faschisten abgedruckt. Roland Wehl, Redakteur des nationalrevolutionären Blattes wir selbst und Mitarbeiter der rechtsradikalen Wochenzeitung Junge Freiheit, durfte sich auf einer halben Seite zum Thema "Wie national muß die Linke sein?" verbreiten.

Wehl knüpft in seinem ND-Beitrag geschickt an die nationalistisch-völkische Ostalgie an, die auch in Teilen der PDS-Basis grassiert. "Vieles von dem, was in der DDR 'links' war, gilt im vereinten Deutschland als 'rechts'. Das betrifft nicht nur die Haltung zur Armee, Polizei und 'Recht und Ordnung'. Es betrifft auch das gemeinschaftliche Denken, das in der DDR so stark entwickelt war. Es betrifft die Fürsorge gegenüber dem Nächsten und die Liebe zum eigenen Land. In den Haßgesängen eines Teils dieser Jugendlichen drückt sich auch die Wut über diesen Verlust aus. Darin zeigt sich die Sehnsucht nach etwas ganz anderem: nach Liebe und einer heilen Welt, die in der Erinnerung der DDR ähnelt.

Auf diese Sehnsucht muß die Linke eine Antwort haben. Die Antwort kann nicht aus einem Aufguß alter westlinker Stereotypen bestehen. Die PDS darf nicht die Fehler einer alten West-Linken wiederholen, für die das 'Volk' immer nur eine reaktionäre Größe war." Ich war bereits vor dessen Erscheinen von der ND-Redaktion über Wehls Beitrag in Kenntnis gesetzt und gebeten worden, auf derselben Seite eine Entgegnung zu schreiben. Das habe ich abgelehnt, denn mit ausgewiesenen Nazis diskutiere ich nicht. Vergeblich habe ich auch versucht, die Redaktion zu überzeugen, den Wehl-Artikel nicht abzudrucken. Der vom ND gewählte Titel der Debatten-Seite "Wie national muß die Linke sein?" legte überdies zwei fatale Auslegungen nahe: Entweder, daß Wehl selbst unter "die Linke" gerechnet wird, oder daß wir Linke uns in der sogenannten nationalen Frage gefälligst die "Argumente" der Nazis anzuhören hätten. Nach meiner Absage suchte die ND-Redaktion wochenlang nach einem anderen Sparringspartner für Wehl. Schließlich war es bezeichnenderweise eine prominente Genossin der "Kommunistischen Plattform" der PDS, die über ihren antifaschistischen Schatten sprang: Ellen Brombacher. Ihr Beitrag zeigt bei allem Geschimpfe - die Junge Freiheit wird mit Gerhard Zwerenz als "feines Kotzbrockenblatt" bezeichnet - die inhaltliche Überlappung zwischen faschistischen und kommunistischen Nationalisten. Gegen die rechte Masche, das "Scheißsystem" wegen eines vermeintlichen Zuviel an Ausländern zu attackieren, setzt die KPF-Frau die linke "Sisyphusarbeit", mit "transparenten antikapitalistischen Positionen und kämpferischer Interessensvertretung" Einfluß zu gewinnen. Bei ihrem Versuch, diese Leerformeln konkret zu füllen, landet sie bei derselben Paranoia, die auch die Nationalrevolutionäre von rechts schüren: dem Verschwinden der Nation. Ellen Brombacher beklagt die "faktisch schon existierende globale Herrschaft der Monopole und Banken", die jede "Souveränität" in Frage stelle, "nur nicht die der Multis". Das Motto, unter dem der Kampf gegen die Multis zu führen sei, hatte Brombacher schon zu Beginn ihres Artikels vorgegeben. Zustimmend zitiert sie Lenin mit den Worten: "Das Vaterland (Ö), d.h. das gegebene politische, kulturelle und soziale Milieu, ist der stärkste Faktor im Klassenkampf". Der positive Bezug auf das Nationalgefühl des Volkes durchzieht ihren ganzen Artikel.

Mit solchen und ähnlichen Klassikerzitaten hatte die Weimarer KPD Bündnisse und Diskussionsveranstaltungen mit der NSDAP gerechtfertigt - am bekanntesten wurden der gemeinsam durchgeführte Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben 1932 und die Diskussion zwischen Joseph Goebbels und Walter Ulbricht am 22. Januar 1931. Der Ansatz, auf diese Weise die Nazi-Klientel nach links zu ziehen, mag damals einen Versuch wert gewesen sein. Nach seinem vollständigen Scheitern, nach Weltkrieg und Holocaust heutzutage ein Remake zu proben, ist kriminell. Das Zitat, nach dem die Brombacher vermutlich mühevoll bei Lenin gefahndet hat, hätte sie problemlos in den aktuellen Schriften der NPD-Jugend finden können.

Doch der schlimmere Skandal ist nicht der peinliche Beitrag von Ellen Brombacher - dazu sind sie und ihre Kommunistische Plattform zu bedeutungslos -, sondern das Agieren der ND-Redaktion, die diese rot-braune Debatte in ihrer "Sozialistischen Zeitung" möglich gemacht hat. Dieser Skandal ist umso größer, weil er eine Vorgeschichte hat: Am 25. Mai 1996 war der JF-Schreiber Wehl bei einer Veranstaltung "ND im Club" aufgetaucht. Ich als Podiumsteilnehmerin hatte vom Veranstalter verlangt, den bekennenden Faschisten nicht im Publikum zu tolerieren. Als die ND-Verantwortlichen dieses Ansinnen ablehnten, das anwesende Parteipublikum mit Unverständnis und Unmut reagierte und es schließlich gar zu Rangeleien mit einem ND-Angestellten kam, weil Junge GenossInnen Wehl mit physischem Nachdruck zum Verlassen des Saales aufforderten, verließ ich unter Protest die Veranstaltung. Ein Jahr später, auf dem PDS-Parteitag in Schwerin, bestand hingegen Einigkeit. Ohne große Diskussion wurde der erneut anwesende Wehl des Saales verwiesen. PDS-Pressesprecher Hanno Harnisch setzte den Neurechten höchstpersönlich vor die Halle. Daß das Neue Deutschland jetzt unter dem Deckmantel des Pluralismus Wehl nicht nur duldet (wie 1996), sondern gar hofiert, weckt einen bösen Verdacht: Daß die Chefredaktion die (eigentlich begrüßenswerte) Unabhängigkeit der Zeitung von der Partei gezielt dazu nutzt, um an der PDS vorbei die Hemmschwellen zwischen Sozialisten und Faschisten abzubauen. Bereits nach der Wahl in Sachsen-Anhalt gab es dafür ein Indiz: Das ND hatte einen Kommentar zum Wahlausgang von der sächsischen PDS-Spitzenpolitikerin Christine Ostrowski abgedruckt. "Warum gelang es der PDS nicht, viele von denen, die jetzt DVU gewählt haben, für sich zu gewinnen?" fragte sich Ostrowski. Ihre Antwort: "Jeder dritte Bauarbeiter im Osten ist arbeitslos. Gleichzeitig arbeiten nicht wenige ausländische Beschäftigte auf dem Bau. Kann man es einem hiesigen Bauarbeiter verdenken, daß er die Wut kriegt, wenn er nicht zuletzt deswegen seine Arbeit verliert? Daß die ausländischen Kollegen z.T. weit unter dem Mindestlohn, häufig unter menschenunwürdigen Bedingungen, auch illegal, arbeiten, für den Profit von Großunternehmen ausgebeutet werden, geht unter. Und doch: Der Bauarbeiter ist kein Nazi und kein Rassist. Man gewinnt ihn nicht, wenn man ihn in eine fremdenfeindliche Ecke stellt. Er fühlt sich ungerecht behandelt, zu Recht. Die Richtung allerdings, in die er Schuld suchend schielt, zeigt nicht die wirklich Verantwortlichen, sondern die noch Schwächeren. Doch was er verlangt, ist legitim, daß Parteien und Politiker seine Lage begreifen, sein Gefühl verstehen. Also, seien wir die Stimme seines Protestes und denken wir darüber nach, warum wir es nicht sind, jedenfalls nicht genug." Ist der ND-Redaktion nicht bewußt, daß sich diese Art Einfühlung in deutsch-nationale Bauarbeiter gewöhnlich in der National-Zeitung findet? Das wäre schon unangenehm genug. Das Umgekehrte wäre aber noch erschreckender: Wenn das ND den Ostrowski-Beitrag gerade wegen seiner Brisanz abgedruckt und jetzt Wehl genau aus diesem Grund eingeladen hätte, Ostrowskis suggestive Frage, wie die PDS zur "Stimme des Protestes" faschistoider Bauarbeiter werden könnte, zu beantworten. Wie dem auch sei: Auf Ostrowski hat unsere Parteispitze nicht reagiert, vielleicht mit dem Kalkül, daß man ihren gefährlichen Unsinn durch eine Stellungnahme erst richtig bekanntmachen und aufwerten würde. Doch das ND hat mit dem Abdruck des Artikels von Wehl deutlich gemacht, daß es den Weg nach rechts weitergehen will. Jetzt muß der Parteivorstand reagieren, soll nicht das antifaschistische Profil der PDS dauerhaft beschädigt werden. Erst kürzlich verabschiedete er eine eindeutige Erklärung zum antirassistischen Verständnis der Partei, nach der Rechtsextremisten kein Forum geboten werden dürfe. Das gilt! Kein Fußbreit den Faschisten! Angela Marquardt ist Bundessprecherin der AG Junge GenossInnen in und bei der PDS. Sie kandidiert in Mecklenburg-Vorpommern für den Bundestag. Von 1995 bis 1997 war sie stellvertretende Parteivorsitzende.