Keine Eskapaden mit dem Stadtpiraten

Weil eine Regierungspartei keine Störer gebrauchen kann, feuerten die Darmstädter Grünen ein Fraktionsmitglied

"Ansichten und Methoden" des Stadtverordneten Bastian Ripper "sind mit den Aufgaben eines demokratisch gewählten und Gesetz und Recht in besonderem Maß verpflichteten Stadtverordneten und Kommunalpolitiker unvereinbar." Dieses Urteil des Darmstädter Amtsgerichtspräsidenten Heinrich Straschil war der vorläufige Höhepunkt einer Auseinandersetzung, bei der sich Politiker, Redakteure und Leserbriefschreiber wochenlang maßlos über den Kommunalpolitiker Ripper aufgeregt hatten.

Angefangen hatte die Geschichte im Frühjahr 1997. Damals kamen die Grünen, deren Wahlergebnisse in Darmstadt immer zwischen 20 und 25 Prozent liegen, auf die Idee, auch Parteilose auf ihre Kommunalwahlliste aufzunehmen. Bastian Ripper gehörte dazu. Mit dem 23jährigen Erzieher wollte man vor allem die außerparlamentarische Szene wieder stärker an die Partei anbinden. Ripper war aktiv in der BUND-Jugend, Mitbegründer der Anti-AKW-Gruppe "Stadtpiraten" und außerdem in der Darmstädter Arbeitsloseninitiative Galida aktiv.

Schon kurze Zeit später - in Darmstadt hatte inzwischen Rot-Grün die Wahl gewonnen - gab es erste Probleme: Im Herbst 1997 war Castor-Alarm, und die Stadtpiraten mobilisierten an Darmstadts Schulen. Sie öffneten die Klassentüren und riefen zur Teilnahme an Blockadeaktionen auf. In der Hektik wurde auch die Tür der Klasse 6d der Justus-Liebig-Schule aufgetan. Daß dadurch elfjährige Schüler zur Teilnahme an gefährlichen Sitzblockaden verleitet wurden, war ein gefundenes Fressen für Staatsschutz, Gerichte und die CDU. Auch Redakteure und Leser des Darmstädter Echos ereiferten sich. Ein Leserbriefschreiber warf Ripper vor, ein "Brandstifter in politischer Kultur" zu sein, "für die Anwendung von Gewalt" einzutreten und "Haß und Gewalt zu säen".

Während die Grünen zu diesem Zeitpunkt noch hinter ihrem Vorzeigepiraten standen, entwickelte dieser Aktivitäten, die beim Fraktionsvorstand den Verdacht aufkommen ließen, daß Ripper seine verfassungsmäßige Aufgabe als Stadtverordneter, nämlich die Arbeit des Magistrats zu kontrollieren, irgendwie zu ernst nahm. Sehr unangenehm schien ihnen jedenfalls, daß Ripper einen vom Fraktionsvorstand längst abgesegneten Deal zwischen der Hessischen Elektrizitäts AG (HEAG Darmstadt) und der RWE öffentlich machte, bei dem es um eine Vertragsverlängerung bezüglich der Stromversorgung ging. In der Folge entwickelte sich eine Diskussion mit dem Ergebnis, daß die grüne Fraktion entgegen der Empfehlung ihres Vorstands die Vertragsverlängerung ablehnte.

Geradezu peinlich war dem Fraktionsvorstand, daß Ripper den noch nicht veröffentlichten Text einer von Bürgermeister Horst Knechtel (SPD) geplanten "Gefahrenabwehrsatzung der Stadt Darmstadt" einem Radiosender zuspielte. Die in der Satzung enthaltenen Maßnahmen sollten dazu dienen, soziale Randgruppen aus der City zu vertreiben. So wollte man Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, Betteln, Durchsuchen von Müll und Sperrmüll und vieles andere unter Strafe stellen. Nach der unerwarteten Publizierung stieß das Vorhaben auf heftigen Widerstand in der Öffentlichkeit. Am Ende mußte der Entwurf komplett zurückgezogen werden.

Dumm auch, daß Ripper die Einstellung der Grünen zu städtischen Billiglöhnen überhaupt nicht nachvollziehen wollte. Öffentlich kritisierte er, daß die Stundenlöhne des städtischen Hofguts Gehaborn mit 10,09 Mark weit unter den Tarifen des Öffentlichen Dienstes liegen. Auch mit den Zuständen in Darmstadts Obdachlosenunterkünften - kaputte Scheiben, fehlende Türklinken, fehlendes Warmwasser, kein Licht - konnte er sich nicht anfreunden. Kurz: Rippers Art, unabhängig vom Koalitionsfrieden eine andere Sozialpolitik einzufordern und erfolgreich auf Öffentlichkeit zu setzen, wenn sich intern nichts mehr bewegen ließ, störte die Mauschelpolitik des rot-grünen Filzes erheblich.

Als Ripper dann im Mai einen Prozeß gegen einen Leserbriefschreiber verlor und Richter Heinrich Straschil jenes Urteil fällte, nach dem Ansichten und Methoden des Stadtverordneten mit Gesetz und Recht unvereinbar seien, war der Zeitpunkt für die Grünen gekommen. Da der Amtsgerichtspräsident sein Verhalten gar als "Entführung von Schülern" bezeichnete, hatte man den Vorwand, auf den man gewartet hatte. Fraktions- und Parteivorstand, die im Herbst 1997 noch kein Problem mit der jetzt angeprangerten Stadtpiratenaktion gehabt hatten, beantragten, Ripper aus der Fraktion auszuschließen. Schließlich, so Jochen Partsch vom Fraktionsvorstand, sei man in Darmstadt und Hessen Regierungspartei und stelle in Wiesbaden den Justizminister - da könne man sich solche Eskapaden nicht leisten.

Der Antrag wurde von der Fraktion zwar überraschend abgelehnt, kam jedoch einen Monat später - es war inzwischen Mitte Juni - durch. Vorwand war diesmal eine gegen Ripper verhängte gerichtliche Verwarnung wegen der "Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens". Der Grund: Die Stadtpiraten hatten in Biblis Gleissprengungen angekündigt - um die Gleise dann mit Wasser zu besprengen.

Ripper bleibt nun zwar als fraktionsloser Abgeordneter weiterhin ein Störfaktor im Stadtparlament, aber die Strafverfahren gegen ihn häufen sich. Aktuell steht ihm eine Verhandlung wegen zwei Castor-Blockaden bevor, im Herbst Prozesse wegen einer Demonstration gegen das AKW Biblis. Während die Verfahren gegen andere Beteiligte eingestellt wurden, wird gegen ihn alles durchgezogen. Rippers Einschätzung: "Ich soll durch die massiven Geldstrafen an die Existenzgrenze und damit an meine zukünftige Schweigegrenze gebracht werden."