»Juchu, Juchu, wähl auch du«

Gefährliche Orte XXXVI: Das Weite Theater in Hellersdorf. Die Berliner SPD wählte ihren Wahlkampfhit

Hellersdorf, Samstagabend. Der Weg vom U-Bahnhof Louis-Lewin-Straße zum Kulturzentrum Weites Theater ist menschenleer und sauber gefegt. Eine neugebaute Piazza zwischen den Plattenbauriegeln steht in merkwürdigem Kontrast zu einer leerstehenden Ruine mit schwarzen Fensterlöchern neben dem Theater.

Vor der kleinen Halle mischen sich Jusos mit dem örtlichen SPD-Ortsverein und einigen Kids aus der Gegend. Drinnen läuft Südstaatenrock. Hier soll sie also stattfinden, die Endausscheidung für den Wahlkampfhit der Berliner SPD. Warum hier, ist weniger schwer zu erraten als warum überhaupt - hier ist tiefstes Feindesland, hier ist der Wahlkreis von Gregor Gysi und alles fest in PDS-Hand. Hier kann man nur gewinnen. Aber warum überhaupt?

Gerhard Schröder kann noch so plakativ mit Udo Lindenberg essen gehen und die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles sich noch so häufig im Star Trek-Hemd fotografieren lassen - die SPD ist eine Partei ohne Pop-Appeal. Jedem einigermaßen stilbewußten Jugendlichen wird da übel. Jeder, der einmal Zeuge eines Jusokongresses war, weiß, welch unheilige Allianz hier Bob Marley, The Doors, Blues Brothers, Che Guevara-Kaffeetassen und Kohl-muß-weg-T-Shirts eingehen.

Egal: 2 000 Mark gibt es hier zu holen und über deren Vergabe entscheiden, neben einigen anderen, der stellveretende SPD-Landesvorsitzende Klaus-Uwe Benneter, Ralf Hillenberg, Direktkandidat des Nachbarwahlkreises Pankow / Weißensee / Hohenschönhausen und Ingrid Hotzhüter, Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Tempelhof und trotz ihres vorgerückten Alters als Jurorin qualifiziert, weil mit einem dreißigjährigen Sohn gesegnet, der in einer "Band aus dem Punkrockbereich" spielt.

Das Publikum setzt sich vor der Bühne auf den Boden, und auf geht's mit dem Johnny Prophet-Duo, einem Gitarren-Schrammel-Team aus Forst in der Nähe von Cottbus. Schrammel, Schrammel - "Die SPD, die ist gut / die gibt uns wieder neuen Mut! / Wir haben wieder alle Arbeit, / dafür weniger Freizeit. / Doch das ist nicht schlimm, / denn das Leben hat wieder Sinn." - Schrammel, Schrammel - "Arschlöcher haben's schwär, / denn unser Kanzler wird Gerhard Schrödär. / Juchu, juchu, / wähl auch du!"

Dann kommt die Band Wehrheim. "Schneewittchen, wach auf!" heißt der Titel, der Moderator des Abends bringt es treffend auf den Punkt: "Damit ist die Nation gemeint, oder?" Genau, damit ist die Nation gemeint, und der Text geht so: "Wir werden handeln, das Land verwandeln, / und es kann wieder richtig aufwärts gehen. / Dem Spuk ein Ende, die große Wende, / und es kann wieder richtig aufwärts gehen." Wehrheim sind extra aus Frankfurt am Main angereist, auf eigene Kosten, und das ohne SPD-Mitglied zu sein - nur um im Weiten Theater in Hellersdorf aufzutreten.

Die nächsten: die Technotrash-Combo Marph. Bekennende SPD-Mitglieder und bekannt von ihrem Auftritt beim SPD-Reformkongreß im Cinemaxx Colosseum vor einigen Wochen. "Schröder hat extra die Presse warten lassen, um uns die Hand zu schütteln", sagt Marph-Mastermind Martin Liedtke. "We Are the New Generation" heißt ihr Smasher, den sie auch schon auf eben jener Parteiveranstaltung vorgetragen hatten. Was das denn sei, New Generation, weiß Martin allerdings auch nicht so genau: "Naja, Innovation, und daß wir jung sind, bei den anderen Parteien ist das doch nur verlogen." Von einem SPD-Wahlsieg erhofft er sich aber trotzdem "großartige Veränderung". Nun ja, so hörte sich das dann auch an. Synthi-Fanfare, dann singt eine weibliche Stimme: "Come on follow the new innovation / we are the new generation." Dann rappt eine männliche Stimme: "Boys and girls get ready to vote / to make an X on the position you really want."

Marcel, 20 Jahre alt, Kumpel vom Freund einer der Marph-Tänzerinnen, noch Polizeischüler aus Eberswalde und bald Verkehrspolizist, ist das mit der Politik aber sowieso egal. Neue Generation? Politik? "Man muß sich halt mit der Partei arrangieren." In Brandenburg sei die SPD an der Regierung, und große Unterschiede gebe es da sowieso nicht. "Wenn keene Arbeit da is, is ebent keene da."

Das mit der Politik sehen die Kids aus den umliegenden Plattenbauten auch so ähnlich. Der eine ist wegen der Musik gekommen, ohne zu wissen, daß die SPD an diesem Abend die Miete für die Räume zahlt, und ist froh, daß was abgeht. Der andere ist sich sicher, auf gar keinen Fall SPD wählen zu wollen: "Bei den Texten, nee, voll hohl."

Sieger bei der SPD-Miniplayback-Show wird am Ende die Band Ja! mit ihrer Version des Jusoklassikers "Soul Man" aus dem Jusokultfilm "Blues Brothers": "Ich bin Sozi!" - Und das, als Vorgeschmack auf die neue Nähe von Geist und Macht, hört sich so an: "Die Spitze ist bei uns zu zehnt: / der Schröder und der Lafontaine: / Schröder sagt dies, Oskar das, / ergänzt sich gut, für jeden was. / Denn ich bin Sozi, ganz einfach Sozi, / ich denk sozial, Mann, / einfach sozial, Mann".

"Schiebung!" moniert das Publikum, "det spenden die garantiert zurück inne Parteikasse!" Und wirklich: Auf Nachfrage erläutert einer der beiden Ja!-Sänger - kein Genosse, wohlgemerkt, nur SPD-Erstwähler - "das wird natürlich demokratisch entschieden, aber einen Großteil spenden wir natürlich zurück!" Und darauf erstmal einen Schluck Sekt mit rotem "Rotkäppchen statt Oggersheimer Spätlese"-Etikett.

Nichts wie weg und dem eigentlichen Höhepunkt des Abends im U-Bahnhof Louis-Lewin-Straße entgegen. Kaum auf dem Bahnsteig angekommen, stimmt eine Gruppe Jusos nichtsahnend und gutwillig ein Lied an, in dem die Worte "fröhlich" und "friedlich" vorkommen. Doch plötzlich tönt es von dreißig Metern weiter rechts zurück, "deutsch" und "schwarz-weiß-rote Fahne". Eine Gruppe Naziskins versucht die Jusos niederzusingen, die wiederum mit verstärkten Anstrengungen antworten. Und keine Jury weit und breit, die den Sängerwettstreit hätte entscheiden können.