»Wolle mer se reinlasse?«

Autorenaustausch mit der Fascho-Presse. Wie das Neue Deutschland den rot-braunen Dialog inszeniert

Nach Angela Marquardt haben sich weitere PDS-PolitikerInnen gegen den Abdruck des Artikels eines rechtsextremen Autors in der parteieigenen Tageszeitung Neues Deutschland gewandt. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke äußerte in einem Offenen Brief an die Redaktion des ND ihr "Befremden" über die Veröffentlichung eines Beitrags des rechtsextremen Roland Wehl zur Frage "Wie national muß die Linke sein?" Tanju Tügel, Mitarbeiter beim Bundesvorstand für migrantInnenpolitische Fragen, erklärte in einem Schreiben, das ND habe mit der Veröffentlichung "die Schmerzgrenze überschritten".

Während sein Beitrag am vergangen Freitag auf der Debatten-Seite abgedruckt wurde, hat das ND die Stellungnahme von Ulla Jelpke bisher ignoriert, ebenso wie den Jungle World-Beitrag (Nr. 32/98) der ehemaligen PDS-Vize-Chefin Angela Marquardt, in dem sie unter anderem erklärt hatte, ihr ND-Abo zu kündigen. Einzige Reaktion bisher: Marquardt bekam eine Bestätigung ihrer Abo-Kündigung.

Jelpke, die im Bundestag zum Themenbereich Rechtsextremismus arbeitet, weist in ihrem Offenen Brief nach, daß es sich bei der Zeitung wir selbst (Untertitel: "Zeitschrift für nationale Identität"), deren Redakteur der rechte ND-Autor Roland Wehl ist, um ein ausgemachtes Nazi-Blatt handelt. Zugleich bezeichnet es Jelpke als "Merkwürdigkeit", daß dem wir selbst-Gastbeitrag im ND ein Gastbeitrag des ND-Redakteurs Marcel Braumann in eben jener Nazi-Zeitung vorausgegegangen sei. Der in Magdeburg "stationierte" (ND) Korrespondent Braumann habe im letzten Januar in wir selbst und vorher und auch nachher in der nationalrevolutionären Zeitschrift Mut Artikel veröffentlicht.

In einem Leserbrief an die rechtsextreme Junge Freiheit (auch hier publiziert Roland Wehl) habe er sich zudem "einen intellektuell ernstzunehmenden konservativen Beitrag zur regionalen Identitätssuche (...), der sich vom Euro- und Globalisierungswahn abhebt", gewünscht.

Es liegt nahe, daß der Wehl-Beitrag im ND die Antwort auf diese Aufforderung Braumanns darstellt und der direkte Kontakt zu Wehl über Braumanns wir selbst-Connection zustande kam. Dies scheint auch Jelpke zu unterstellen, wenn sie fragt: "Alles nur Zufälle?"

Braumann sucht das Gespräch mit der extremen Rechte nicht erst seit letztem Jahr. Schon kurz nach seiner Einstellung beim ND als erster westdeutscher Reporter Anfang der Neunziger interviewte er den damaligen Republikaner-Chef und heutigen DVU-Kandidaten Franz Schönhuber. Das ND druckte das Gespräch ab.

Auch in der letzten Freitagsausgabe des ND darf Braumann im Rahmen der Debatte ein Plädoyer für Familie und Nation halten. "Eine Gesellschaft kann sich auch zu Tode emanzipieren", beschreibt Braumann seine Angst vor der Heimatlosigkeit. "Die demokratische Nation" sei "der organisierte Versuch, Verständigung über das gute Leben von morgen herzustellen." Die EU müsse ein "kooperatives Europa der Vaterländer" werden.

Neben Braumann und Tügel druckte das ND auch weitere Beiträge von Lesern ab, in denen, neben zwei kritischen Beiträgen, Wehl gelobt und der Rückgriff auf die deutsche Nation als "Notbremse im rasenden Zug des Kapitalismus", als Mittel gegen die "volksfeindliche Politik des transnationalen Kapitals" und der "Weltherrschaft der anglo-amerikanischen Milliardärsgruppen" gepriesen wird.

Daß das ND die rot-braune Diskussion um die "nationale Frage" auf jeden Fall und auch gegen alle Widerstände führen will, zeigte sich bereits zehn Tage vor der Veröffentlichung des Wehl-Textes: In einem Beitrag des Chefredakteurs Reiner Oschmann, der sich nur in ganz besonderen Fällen direkt an seine LeserInnen zu wenden pflegt, wird auf der Leserbriefseite die Kundschaft diskret auf den Nazi-Artikel vorbereitet.

Unter der Überschrift "Wolle mer se reinlasse?" plädiert Oschmann dafür, "Vertretern unterschiedlicher Weltanschauung" Platz im ND einzuräumen. Wenn jemand bestimmten Positionen das Wort verbieten wolle, so habe das mit "Verbitterung, gesellschaftlicher Ausgrenzung und aus der DDR fortwirkendem Bedürfnis nach 'ideologischer Reinheit', auch mit der trügerischen Hoffnung auf überschaubare Wahrheiten zu tun". So werden potentielle KritikerInnen schon mal präventiv diskreditiert. Für das ND sei, so Oschmann weiter, nur wichtig, "was jemand sagt", nicht "wer etwas sagt". Das sei ein wesentlicher Unterschied zwischen einer Partei und einer politischen Zeitung.

In dem Statement Oschmanns wird nicht etwa Wehls Beitrag offen angekündigt, sondern auf eine Diskussion um einen Text von Vera Lengsfeld Bezug genommen. Der Türöffner-Beitrag Oschmanns erschien jedoch sicher nicht zufällig, kurz nachdem Angela Marquardt dem ND mitgeteilt hatte, für Rechte wie Wehl nicht als Diskussionspartnerin zur Verfügung zu stehen und statt dessen einen Beitrag über die Politik des ND ankündigte. Marquardt verwies darauf, daß das ND keine zwei Wochen vorher eine Erklärung von PDS-Bundesvorstand und Parteirat abgedruckt habe, in der "jede Zusammenarbeit mit fremdenfeindlichen und rassistischen Kräften" und "jede - auch indirekte - Duldung" strikt verurteilt wird.

Daß sich das Neue Deutschland bewußt und auch in Erwartung parteiinterner Kritik dieser Linie verweigert, zeigt, wie wichtig ihm diese Diskussion ist. Sie ist ja auch wirklich dringend notwendig. Doch daß nicht etwa eine kritische historische Analyse der nationalistischen und rassistischen SED-Politik, sondern ausgerechnet ein Dialog mit der extremen Rechten Ausgangspunkt ist, beweist, daß es nicht um Aufarbeitung der eigenen geschichtlich begründeten Verstrickung in rechte Gedankenwelten geht, sondern darum, die Nation für die Linke (wieder) salonfähig zu machen.