Life According to Beta

Gefährliche Orte XXXVII: Die Kongreßhalle am Alex. Am kommenden Wochenende findet dort BerlinBeta statt, damit die Hauptstadt ihre eigene Popkomm hat

Kann ein Handy "bimmeln"? Das von Marc Wohlrabe anscheinend schon, jedenfalls, wenn wir der B.Z. glauben dürfen, die seinen Schreibtisch in der gleichnamigen Serie zu den "mächtigsten Schreibtischen der Stadt" zählt. Es "bimmelt" den ganzen Tag, weil nämlich: "Berlin wartet. Auf neue Ideen des quirligsten, originellsten Unternehmers der Hauptstadt." So ist das also. Aber stimmt das denn überhaupt? Und wer in achtzig Tagen um die Welt ist Marc Wohlrabe?

Marc Wohlrabe, um mal damit zu beginnen, ist unter anderem Gründer und Herausgeber des kleinformatigen Techno-Gratismagazins Flyer, das auf den ersten Blick wie eine der erfolgreichsten Neugründungen auf dem Printsektor der letzten Jahre aussieht. So erfolgreich, daß jetzt sogar eine Dependance in New York eröffnet wurde, zu welchem Zweck auch immer.

Auf den zweiten Blick wäre der Flyer längst schon ein paarmal pleite gewesen, wenn Marc Wohlrabe eben nicht Marc Wohlrabe wäre, das heißt: der Sohn von Jürgen Wohlrabe, Gründer des Jugendfilm-Verleihs und zu Lebzeiten CDU-Bundestagsabgeordneter, dessen Namen Herbert Wehner einmal mit "Übelkrähe" übersetzte. Seit der Vater tot ist, ist Marc auch Inhaber des Jugendfilm-Verleihs, der uns im letzten Jahr Kleinodien des Schwachsinns wie etwa "Härtetest" präsentierte, und verfügt dementsprechend über liquide Mittel.

In der einschlägigen Literatur, zuletzt in einer Econy-Titelstory, wird der Jung-Entrepreneur unisono als Maniac beschrieben, dessen einzige Droge neben Nutella-Broten das Anschieben neuer Projekte ist. Logisch, daß es so einem über kurz oder lang nicht reicht, das Geld, das sein Filmverleih abwirft, mit seinem Stadtheft wieder in den Sand zu setzen. Das neueste Projekt heißt BerlinBeta, ist eine amalgamierte Amöbe aus Existenzgründermesse, Filmfestival und Popkomm und wird am kommenden Wochenende in der Kongreßhalle am Alexanderplatz stattfinden.

Im heimeligen Ambiente des DDR-Schrebergarten-Futurismus sollen dort also, wenn alles glatt läuft, "junge Kreative", die es a) in Medienberufe und b) in die Selbständigkeit drängt, auf Leute treffen, die ihnen dazu Ratschläge geben und - viel wichtiger - ihnen "Venture Capital" zur Verfügung stellen. "Venture Capital", für die Laien in der Hipness-Branche, ist Geld, das man in der Regel nicht wiedersieht, außer in raren Ausnahmefällen, wo es sich dann aber um das X-fache rentiert hat.

Kein Wunder, daß der Markt für "Venture Capital" im Kreativsektor hierzulande, weniger noch als in den USA, so gut wie überhaupt nicht existiert. Hauptproblem vieler Labelgründer, Fanzine- und Filmemacher ist deshalb nach wie vor, an Geld zu kommen.

Früher hat man das zwar auch so irgendwie hinbekommen, aber entsprechend verschlungen sind deshalb oft die Biographien derjenigen, die es den widrigen Umständen zum Trotz mehr oder weniger "geschafft" haben. Etwa die von Ralf Plaschke, der als Abgesandter der Kölner Popkomm die BerlinBeta mitveranstaltet. Plaschke mußte früher, was kaum mehr einer weiß, jahrelang in Münsteraner Punkbands wie RAFgier spielen, bevor er über den Umweg des Rockbüros NRW zum stellvertretenden Geschäftsführer der Musik Komm GmbH Köln wurde.

Um jungen Menschen, die nicht zufällig einen Filmverleih erben, derlei Irrungen und Wirrungen zu ersparen, damit der Nachwuchs es also einmal besser hat, soll die BerlinBeta hier als Transmissionsriemen funktionieren und die Leute im Schnelldurchlauf von links unten nach rechts oben katapultieren. So nützlich das im Einzelfall sein kann, so klar ist auch, daß derartiges heute in Berlin nicht mehr ohne unschöne lokalpatriotische Untertöne abgeht; daß das "vernetzte Agieren" bislang getrennter Projekte den Medien-Standort Berlin aus der Verfolgerposition gegenüber Köln und Hamburg an die Spitze bringen soll. Warum sonst sollte die Stadt Berlin sich bemüßigt fühlen, ein derartiges Projekt finanziell zu sponsern?

Der Name Beta leitet sich übrigens laut Programmheft ab von "Beta, das: Beta-Versionen bezeichnen Programme kurz vor der Marktreife, die Nutzern zum Testen zur Verfügung gestellt werden. Die 'Freigabe' und Nutzung von Beta-Versionen ist Teil sozialökonomischer Entwicklung in Richtung 'Prosumenten'-Beziehungen. Beta-Versionen werden mit den Hoffnungen auf neue Werk- und Spielzeuge und der Angst von Fehlern wahrgenommen (Pandora & Paranoia)." - Sic!!? Man darf gespannt sein, was das neue Werk- und Spielzeug BerlinBeta in puncto Verbesserung der Prosumenten-Beziehungen zu leisten im Stande sein wird, oder ob einem angesichts dieser geballten Aufbruchsstimmung - Stichwort: Pandora & Paranoia - nicht eher angst und bange wird, rein sozialökonomisch, versteht sich.

Die anderen beiden "Säulen" von BerlinBeta, so war von den Veranstaltern zu erfahren, haben mit der Konferenz außer der losen thematischen Überlappung nur insofern zu tun, wie sie sich der Synergieeffekte halber des Labels bedienen.

Das Independent-Filmfest ist ein seit längerem gehegtes Projekt von Andreas Döhler und zeigt vom 26. August bis 2. September in mehreren Berliner Kinos Schräges und Abseitiges aus deutscher und internationaler Produktionen der letzten Jahren, Filme, die sonst wohl kaum auf die Leinwand kämen. Die Hauptsektionen "Independent Images" und "Female Trouble" wie auch die Sektionen "Future Park & Documents of Sex & Conspiracy" und "Was ist schlecht an Musik?" versprechen durch ihren Off-Approach einen interessanten Blick auf Dinge wie Verschwörungstheorien, Elektronik, Geschlechterverhältnisse, Musik und Exzeß, kurz: Alles, was das Hollywood-Kino ehedem interessant machte und durch die immergleiche Art der Präsentation irgendwann uninteressant werden ließ. Vielleicht kehrt sich das ja mal wieder um.

Die "Jugendfestspiele" schließlich sind eine Neuauflage jener bereits in den letzten Jahren erfolgreich in der Volksbühne etablierten Veranstaltung, die auf dem Feld der Clubkultur eine Symbiose aus Theorie und Praxis anstrebt und zu diesem Behufe DJs, Performer, Pop-Theoretiker und diesmal verstärkt -Theoretikerinnen zusammenbringt.

In der Praxis sah das letztes Jahr - ziemlich d'accord mit der Theorie - so aus, daß man drei Tage lang beschwingt durch die verwinkelten und verwunschenen Räume und Lounges der Volksbühne driftete und frei nach dem Lustprinzip überall dort andockte, wo gerade der intellektuelle oder vegetative Stimulationsfaktor am höchsten war.

Daß das in der neuen Location ebensogut funktioniert, erscheint derzeit noch einigermaßen unvorstellbar. Obwohl Veranstalterin Heike Blümner findet, das sei gerade das Spannende, "daß wir mit 150 Leuten in die Kongreßhalle gehen, die absolut nichts mit Clubkultur zu tun hat, und da zwei Tage lang Party machen".

Klingt an und für sich gar nicht schlecht; bleibt nur zu hoffen, daß die Jungmanager bis dahin das Gelände geräumt haben werden. Aber halt, Kommando zurück! Das sind ja wir selbst.