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Wahlkampf 1998: Berliner Schulen laden Rechtsextreme zur Diskussion ein

SchülerInnen kennen sich aus mit Popstars, Filmen und Partys - nur nicht mit Politik. Mit Vorurteilen wie diesen behaftet, befürchten PädagogInnen bei jeder anstehenden Bundestagswahl ein nur bescheidenes Interesse ihrer jugendlichen Schützlinge.

Gerne werden in Wahlkampfphasen daher ParteisprecherInnen in die Schulen eingeladen, um den politischen Horizont der Kids zu erweitern. Das ist natürlich ziemlich ätzend, man kennt die öden Parteien schließlich alle aus der Daily-Bundestags-Soap. In Berlin muß man den Kids mehr Thrill bieten. Hier werden neuerdings auch rechtsextreme Parteien zur Debatte mit JungwählerInnen gebeten: DirektorInnen und LehrerInnen von sieben Berliner Schulen luden DVU und Republikaner zur Diskussion ein.

ElternvertreterInnen und der Türkische Bund kritisieren diese Veranstaltungen, sie bezweifeln, daß die SchülerInnen von den Lehrkräften ausreichend auf die Konfrontation mit den rechten Argumenten vorbereitet werden. Trotzdem wird die neue Praxis von den zuständigen Behörden toleriert: Schulstadtrat Thomas Härtel (SPD) sieht keine Notwendigkeit, die Verwaltungsvorschrift, nach der "alle zur Wahl zugelassenen Parteien" für Diskussionsrunden in Schulen in Frage kommen, zu ändern. "Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ist für die Schüler ein wichtiges Erlebnis", so Härtel.

Und so ist aus der Behörde der Berliner Schulsenatorin Ingrid Stahmer auch nicht mehr zu vernehmen als ein Verweis auf die 1985 erlassenen Ausführungsvorschriften über Vorträge in Schulen, in denen ausdrücklich auf die Verantwortung der einzelnen LehrerInnen hingewiesen wird. Sie sollen unter anderem durch ausreichende Vor- und Nachbereitung einseitige Beeinflussungsversuche verhindern. Außerdem sei es die Aufgabe der Schulen, sicherzustellen, daß die ReferentInnen die freiheitlich demokratische Grundordnung vertreten. Generell werden Vorträge von PolitikerInnen für ein probates Mittel gehalten, "den Schülern ein lebendiges Bild unserer Demokratie zu vermitteln". Ob die SchülerInnen sich das auch antun wollen, bleibt ihnen selbst überlassen - die Teilnahme ist freiwillig.

Ungeachtet dessen bezeichnet Marian Krüger, innenpolitischer Sprecher der PDS-Fraktion, die Reaktion der etablierten Parteien auf die angekündigte Teilnahme rechter Parteien an den Schuldiskussionen als "unglaublichen Opportunismus". Deshalb fordert er insbesondere die Berliner SPD und deren Schulsenatorin Stahmer auf, ihre Position zu korrigieren und sich klar gegen die Beteiligung von RechtsextremistInnen auszusprechen, da, so Krüger, "hier Parteien der Ausschwitz-Leugnung und der Pogromhetze ein Podium geboten wird".

Die Schulen seien nicht zur politischen Neutralität verpflichtet, sondern hätten den Erziehungsauftrag, Persönlichkeiten heranzubilden, die für eine fortschrittliche Gesellschaft eintreten und Widerstand gegen jede Form von Rechtsextremismus leisten können. Das Berliner Schulgesetz verpflichte LehrerInnen zur politischen Parteinahme für universelle Menschenrechte und nicht zur "unpolitischen Moderation" zwischen braunen AgitatorInnen und SchülerInnen. Zur Aufklärung über RechtsextremistInnen bedürfe es nicht deren Einladung. Man solle sich generell nicht mit PolitikerInnen neonazistischer Parteien an einen Tisch setzen.

Protest meldet auch die Berliner LandesschülerInnenvertretung (LSV) an. LSV-Pressereferent Peter Harting vermutet, daß LehrerInnen rechte Parteien mit dem Argument an ihre Schule einladen, daß ja auch die PDS ihr Podium bekomme: "Wir halten diese Gleichsetzung für fatal, denn was die Rechten machen, ist Demagogie."

Seit etwa zwei Jahren beobachte die LSV, wie Neonazis durch Briefwurfsendungen verstärkt bei SchülerInnen werben und sich in den oft an Schulen angegliederten Jugendclubs vor allem im Ostteil Berlins breitmachen. Die LSV will nun dazu aufrufen, die Diskussionsrunden mit VertreterInnen rechter Parteien zu stören.