Schlepper, Schleuser, Kriminelle

Nach dem tödlichen Unfall von sieben Kosovo-Albanern an der deutschen Grenze nimmt die Stigmatisierung von Fluchthilfe-Organisationen zu

Das Urteil des Berliner Kammergerichts ließ keine Zweifel gelten: "Der Fluchthilfevertrag kann auch unter Berücksichtigung seines Gesamtcharakters nicht als verwerflich betrachtet werden." Wer Flüchtende dabei unterstütze, "das ihnen zustehende Recht auf Freizügigkeit zu verwirklichen, kann sich auf billigenswerte Motive berufen und handelt sittlich nicht anstößig".

Der Bundesgerichtshof entschied im selben Fall, der Preis von 15 000 Mark pro Person, die verdeckt in die Bundesrepublik gebracht werde, sei durchaus angemessen. Geklagt hatte eine in die Bundesrepublik geflüchtete Familie. Die illegalen Grenzgänger waren davon ausgegangen, mit ihren Fluchthelfern sei ein Pauschalbetrag von 45 000 Mark ausgemacht worden, der noch den Übertritt einer weiteren Familie einschließe.

Eine typischer Fall skrupellosen Menschenhandels also: Ganze Familienclans werden bei Nacht und Nebel mit Hilfe gut organisierte Strukturen vor Ort nach Deutschland gebracht. Schleuseropfer? Und das auch noch mit höchstrichterlicher Absolution? Natürlich nicht. Die Familie Staudemeyer hatte rübergemacht, war verbotenerweise aus der DDR ausgewandert. Damals, 1977, als noch die Mauer die beiden deutschen Staaten trennte und der Grenzübertritt ohne organisierte Fluchthelfer nicht zu machen war.

Wer heute illegal über Oder und Neiße, Ostsee und Bayrischen Wald nach Deutschland einreisen will, hat es kaum leichter. Ohne gut eingearbeitete "Reiseunternehmen", wie die illegalen Dienstleister von ihren Kunden oft genannt werden, kann man sich angesichts von Nachtsichtgeräten, Bewegungsmeldern, Hubschraubern und Schnellbooten des Bundesgrenzschutzes (BGS) nur noch schwer durchschlagen.

Seit Ende Juli sieben Kosovo-Albaner auf der Flucht vor Bundesgrenzschützern im sächsischen Freiberg ums Leben kamen, sind sie nun wieder in aller Munde: Schleuser, Schlepper, Menschenhändler. Nicht Drittstaatenregelung oder etwa die geplante Einführung der Asylcard - Maßnahmen, die das Geschäft erst möglich und notwendig machen - bestimmen die Schlagzeilen. Im Zentrum des Diskurses steht der Kampf gegen Fluchthilfeunternehmen. Am Montag vergangener Woche hat nun Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel neue Schritte gefordert. Um Schleusern das Handwerk zu legen, sagte der Sozialdemokrat, sollte die europäische Polizeibehörde (Europol), die am 1. Oktober ihre Arbeit aufnehmen wird, schnell hoheitliche Befugnisse in den EU-Staaten erhalten. Und weil "alles andere nicht verkraftbar" wäre, ließ der Innen-Staatssekretär Kurt Schelter am selben Tag wissen, eine "Einwanderungswelle" durch die Osterweiterung der EU müsse dringend verhindert werden.

Allzuviele Sorgen müssen sich die Politiker nicht machen. Die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen Fluchthelfer funktioniert. Bereits 1995 wurde Europol die Zuständigkeit für die Bekämpfung von "Schleuserkriminalität" übertragen, im Mai 1997 haben die Bundesrepublik, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen, Rußland und Schweden sowie Norwegen als Beobachter eine gemeinsame "Schleuser-Bekämpfungs-Aktion" auf der Ostsee durchgeführt.

Als Ergebnis einer Ministerkonferenz "zur Bekämpfung illegaler Migration" im Oktober 1997 in Prag empfahlen die Teilnehmer aus 32 Staaten, strafrechtliche Vorgaben gegen "Ausländerschleusung" zu verschärfen bzw. erst einzuführen. Schließlich erfordere "die Lösung des Migrationsproblemes", so ließ der deutsche Vertreter, Manfred Kanthers Staatssekretär Schelter, wissen, "vor allem eine effiziente Bekämpfung der Schleuserkriminalität".

Die angereisten Sicherheitspolitiker konnten auf umfangreiche deutsche Erfahrungen zurückgreifen: Hier wurden schon 1981 die ersten Sanktionen gegen Schlepper strafrechtlich vorgeschrieben. Nach der Novellierung des Ausländergesetzes 1994 wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wer "gewerbsmäßig" oder als "Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat". Auch die Hilfeleistung aus humanitären oder politischen Gründen kann also teuer zu stehen kommen. Weitere Verschärfungen folgten mit dem neuen, am 1. November 1997 in Kraft getretenen Ausländergesetz.

Die "Umdefinition" ist also gelungen, wie Claudia Roth, Fraktionssprecherin der Grünen im Europaparlament, schon nach der dem Prager Treffen vorausgegangenen Budapester Konferenz im März 1993 konstatierte: "Aus Fluchthilfeorganisationen, die so benannt worden sind, als es noch die Mauer oder den sogenannten Eisernen Vorhang gab" seien "per Definition Schlepperbanden" und "Schwerkriminelle" geworden. So will das freilich Ivo Priebe, Sprecher des Grenzpräsidiums Ost des BGS, nicht sehen. Einen Fall, in dem nicht die finanziellen Vorteile im Vordergrund stünden, kenne er ohnehin nicht. Allein im ersten Halbjahr 1998 seien an den Grenzlinien Brandenburgs und Sachsens, für die seine Behörde zuständig ist, "588 Schlepper bei 465 Schleusungen" festgenommen worden.

Von 37 Fluchthilfe-Fällen, bei denen 46 Helfer dingfest gemacht wurden, spricht Volker Schlorke vom Rostocker BGS. Wie er der Jungle World berichtete, arbeitet seine Behörde nach einen neuen Abkommen des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit dem Bund seit einigen Monaten sehr eng mit Zollverwaltung und Polizei zusammen, um speziell "zielgerichteter gegen Schleuser und Menschenhändler" vorzugehen.

Schlorkes Dienststelle ist für die nur 120 Kilometer lange Ostgrenze Mecklenburg-Vorpommerns zuständig. Dort wurden im gleichen Zeitraum 837 Flüchtlinge aufgegriffen, an Brandenburgs und Sachsens Grenzen waren es dagegen schon 8 600. Rund 20 Prozent von ihnen, so sagte Priebe, seien mit Helfern gekommen. 1996 waren es, schenkt man BGS-Angaben Glauben, noch 16 Prozent. Insgesamt sollen nach Aussagen des Bonner Innenministeriums in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 1 7321 Menschen bei 1 026 Schleusungen festgenommen worden sein. Die Tendenz der Fluchthilfe gehe dabei zu größeren Gruppen von 15 bis 50 Menschen, die auf einmal über die Grenze gebracht würden, erklärt BGS-Mann Priebe. "Damit der Profit maximiert wird."

Zweifellos wird in dem illegalen Geschäft so mancher Dollar auf Kosten der Migranten und Migrantinnen gemacht: Da werden Flüchtlinge aus dem Maghreb auf rotten Schiffen im Mittelmeer ihrem Schicksal überlassen und Asylsuchende im überfüllten Kleintransporter durchs gefährliche BGS-kontrollierte deutsche Grenzgebiet gefahren.

Mit dem Szenario, wie es Sicherheitspolitiker entwerfen, hat die Wirklichkeit jedoch wenig zu tun. Es soll vor allem Ängste wecken: Untergrundorganisationen, die zwischen Kiew, Istanbul, Berlin und Budapest operierten, brachten demnach 1997 für bis zu 20 000 Mark pro Person rund 50 000 Flüchtlinge nach Deutschland, beschwört etwa Hans-Georg Dusch, Präsident des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. "Damit kassieren die Banden insgesamt dreistellige Millionenbeträge. Kaum ein Asylbewerber ist in

der Lage, das Geld aufzubringen." Die angebliche Konsequenz: Zahlreiche Flüchtlinge würden nach ihren Ankunft zu Prostitution, Drogen- und Waffengeschäften oder sogenannten Sozialhilfe-Betrug gezwungen, um den "Schlepperkredit" zurückzuzahlen. Ein "eigenständiger Kriminalitätsbereich" sei entstanden, der zu einer "Gefahr für die Gesellschaft" werde, wie Europol-Koordinator Jürgen Storbeck meint.

Solche Schilderungen decken sich nur selten mit den Erfahrungsberichten Geflüchteter. Für viele verlief die illegale Dienstleistung wie jedes andere Geschäft: Der Kunde zahlt und darf entsprechend eine mehr oder weniger gute Behandlung erwarten. Wie in jeder anderen Branche in marktwirtschaftlichen Verhältnissen gibt es "Billig- und Luxusschleusungen". Nicht zuletzt zwingt die Konkurrenz zu entsprechenden Angeboten. Grenzschützer beklagen beispielsweise, daß häufig mit Ankunfts-Garantien gearbeitet wird. Wer also beim ersten Mal nicht über die Grenze kommt, kann sich wieder bei seinen Geschäftspartnern melden.

Und jene 6 000 bis 8 000 Mark, die Flüchtlinge nach Angaben des Bundeskriminalamtes durchschnittlich bezahlen müssen, sind keinesfalls Wucherpreise. Denn eine Flucht ist teuer: Pässe müssen beschafft und gefälscht, Bestechungsgelder gezahlt, aufwendige Reiserouten organisiert sowie Kontakte zu Ortskundigen aufgebaut werden. Die Gewinnspanne, mit der Fluchthelfer gewöhnlich arbeiten, dürfte die eines mittelständischen Betriebes also kaum übersteigen, vom Risiko der Angestellten ganz abgesehen. Und ohne ein gut organisiertes "internationales Netz" ist eine Flucht, bei der oft sechs und mehr Grenzen überwunden werden müssen, kaum möglich.

Unüberwindlichkeit der Grenzen ist das, was deutsche Sicherheitspolitiker wollen. Was liegt also für einen Mitarbeiter in Kanthers Behörde wie den Innenstaatssekretär Eduard Lintner näher, als "die kriminelle Energie der Schlepper" zum "gefährlichen Phänomen im Sicherheitsgefüge Deutschlands" zu erklären. Mit jenen DDR-Fluchthelfern von damals will er sie freilich nicht verglichen wissen. Denn diese Flucht "war ja gerechtfertigt dadurch, daß sich's bei den DDR-Deutschen auch um deutsche Staatsangehörige in unserem Sinn gehandelt hat". Um Volksdeutsche eben.