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Flüchtlinge und Migranten bereisen Deutschland
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Gerhard Schröder war not amused: Sein Wahlkampfauftritt auf dem Marktplatz zu Rostock hatte verheißungsvoll angefangen, doch dann verdarb ihm eine Gruppe von AusländerInnen die Show. Mit lauten Sprechchören unterbrachen sie die Rede des SPD-Kandidaten und lenkten für einen Moment die Aufmerksamkeit darauf, wer ihrer Meinung nach die Leidtragenden von Schröders Modernisierungspolitik sein werden.

Entsetzt lehnten die GenossInnen die Forderung der Störenfriede ab, Rederecht am Mikrofon zu bekommen. Ihr Motto "Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme" hatten die Demonstrierenden trotzdem umgesetzt. Sie gehörten zur "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen", einer fünfwöchigen Daueraktion gegen die unerträglichen Lebensbedingungen von AusländerInnen und gegen die rassistische Wahlkampfhetze (Jungle World, Nr. 25/98). Der von einem Bündnis aus über 200 MigrantInnenorganisationen, Flüchtlingskomitees und antirassistischen Gruppen organisierte Protestmarathon soll einen ersten Schritt zu einer handlungsfähigen antirassistischen Bewegung darstellen.

Seit dem Start am 14. August in Bremen zieht die Karawane von Stadt zu Stadt, wo örtliche Gruppen jeweils Protestaktionen vorbereitet haben. Eine Kerngruppe, die aus Flüchtlingen, MigrantInnen und wenigen Deutschen besteht, reist im Reisebus die gesamte Strecke mit; von Station zu Station schließt sich ein loser Autokonvoi an. In mindestens 44 Städten soll haltgemacht werden, mehr als 25 000 Plakate und 70 000 Flugblätter in verschiedenen Sprachen mobilisieren für das Projekt.

Ob in Bremen und Lübeck oder in ostdeutschen Städten wie Leipzig und Dresden - bei den meisten Demonstrationen fiel die starke Beteiligung Nichtdeutscher auf. In Lübeck erstellten Flüchtlinge und Karawane-Teilnehmer einen Forderungskatalog, den sie in Kiel der rot-grünen Landesregierung übergaben. Unmut gab es allerdings über das insgesamt geringe Interesse, auf das die Karawane während ihres dreitägigen Aufenthaltes in Berlin stieß.

Über Verbesserungsvorschläge weit hinaus sind dagegen die BewohnerInnen des Flüchtlingslagers in Tambach-Dietharz/Thüringen. Afrikanische AsylbewerberInnen schilderten die Lebensbedingungen im Lager: 500 Menschen leben völlig isoliert mitten im Wald, durch Doppelstacheldraht, elektronische Tore und Wächter mit scharfen Hunden von der Außenwelt abgeschnitten. Dazu kommen rassistische Anfeindungen, schlechtes Essen und eine medizinische Betreuung, die hauptsächlich aus dem routinemäßigem Verabreichen des Schmerzmittels Paracetamol besteht. Die Konsequenz: "Das Lager muß weg!"

Anläßlich des Besuchs der Karawane hatte Thüringens Innenminister Richard Dewes (SPD) eigens ein Besuchsverbot für das Lager Tambach-Dietharz erlassen. Schon Hamburgs Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) hatte verboten, die Lagerschiffe am Neumühler Kai zu betreten.

Einen Schritt weiter gehen die Kollegen in Bayern: In Regensburg, wo die Karawane am 2. September protestieren will, verbot die Ausländerbehörde den Flüchtlingen, die außerhalb der Stadt in einem anderen Landkreis untergebracht sind, zu den Demonstrationen zu fahren. Bayerns Innenministerium hatte Weisung gegeben, daß für eine politische Demonstration keine Ausnahme von der Residenzpflicht zu gewähren sei. Begründung: Paragraph 37 des Ausländergesetzes schränke die politische Betätigung von Ausländern ein, wenn diese dem außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland widerspreche.