Der Charme der Macht

Bayern bleibt rechts, die CSU bleibt Staatspartei

Der Theater- und Filmemacher Herbert Achternbusch hat es einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht: "60 Prozent der Bayern sind Anarchisten - und die wählen alle CSU." Inzwischen ist der Schwarze Block in Bayern nicht mehr ganz so groß. Seit 1974, als die Christsozialen - damals noch unter der Regie von Franz-Josef Strauß - 62,1 Prozent der Stimmen einheimsten, hat die Partei kontinuierlich verloren. Der Trend ist aufgehalten: Der CSU gelang es bei den Landtagswahlen am vergangenen Sonntag zum achten Mal in Folge, mehr als die Hälfte der Stimmen einzufahren. Mit 52,9 Prozent schaffte es die Partei sogar, ihr Ergebnis von vor vier Jahren leicht zu verbessern.

Als Ministerpräsident Edmund Stoiber am Sonntag abend um viertel vor sieben zum ersten Mal vor die Fernsehkameras trat, war ihm die Zufriedenheit über die Ergebnisse der ersten Hochrechnungen denn auch deutlich anzumerken. Mit breitem Grinsen und heiserer Stimme feierte er sich und seine Partei und beschwor den Stimmungsumschwung für die Bundestagswahlen am 27. September. Als sich die Prognosen in den ersten Hochrechnungen bestätigten, gab es für die CSU kein Halten mehr: In voller Lautstärke dröhnte der Queen-Klassiker "We are the Champions" über den Hof des Landtagsgebäudes.

Das Interesse von Presse, Funk und Fernsehen an den bayerischen Landtagswahlen sprengte alle Rekorde: Über 1 000 Medienvertreter stiegen sich am Sonntag im Maximilianeum gegenseitig auf die Füße. Der altehrwürdige Landtag war zuvor wochenlang in ein riesiges TV-Studio umgebaut worden. Angesichts der anstehenden Bundestagswahlen drängten sich nicht nur Journalisten aus Bayern und dem Rest der Republik in den Gängen rund um den Plenarsaal - Kamerateams aus aller Welt wollten sich den letzten Test vor den Bundestagswahlen nicht entgehen lassen. Sogar zwei japanische Fernsehsender meinten, bei den Wahlen für das bayerische Provinzparlament dabei sein zu müssen.

Dabei gab es nichts Überraschendes zu sehen: In München blieb am Ende wieder alles beim alten. Die drei Parteien, die vorher schon im Landtag vertreten waren, sind auch nach der Wahl wieder drin. Und auch die Sitzverteilung hat sich nur minimal geändert: Die Bündnisgrünen behalten ihre Sitze, die CSU gewinnt drei dazu - auf Kosten der SPD.

Die Strategie der Christsozialen ist damit voll aufgegangen: Aus Angst davor, in den Negativtrend der Bonner Koalition zu geraten, hatte die Staatsregierung den Termin für die Landtagswahlen extra zwei Wochen vor die Bundestagswahl gelegt. So konnte die Partei ihr altbewährtes Doppelspiel hervorragend umsetzen: In Bonn zwar mitregieren, aber sich bei unangenehmen Fragen lieber von der Regierungspolitik im Bund abgrenzen. Ihren Bonner Finanzminister, CSU-Chef Theo Waigel, konnte die Partei zwar schwer verheimlichen. Dafür mühte sie sich, den Kanzler möglichst vor den Türen Bayerns zu halten: Auf Wahlkampfauftritte von Kohl wurde weitgehend verzichtet.

Wie nicht anders zu erwarten, versuchte Stoiber am Wahlabend dennoch den dialektischen Sprung und stellte den CSU-Sieg ganz in den Dienst der Schwesterpartei: "Das Ergebnis ist eine enorme Steilvorlage für die Bundestagswahl. Das wird die Stimmung verändern. Das wird eine Trendwende herbeiführen."

Das Kalkül der Sozialdemokraten, die bayerischen Wahlen zum Auftakt für den Wechsel in Bonn zu machen, ist hingegen gründlich danebengegangen. Da halfen auch die an Hochzeitsfotos erinnernden Wahlplakate mit Gerhard Schröder und Bayerns SPD-Chefin Renate Schmidt nichts, ebenso wenig wie die SPD-Wahlkampf-Parole "CSU = Kohl". Während Stoiber sein Wahlziel 50 plus X locker erreichte, scheiterten die Sozialdemokraten kläglich. 30 plus XXL hatten sie sich vorgenommen, fuhren am Ende aber sogar einen Verlust von über einem Prozent ein und landeten bei 28,7 Prozent. Renate Schmidt zeigte sich am Sonntag abend sichtlich frustriert. Da tröstete es die SPD-Chefin wenig, daß sie ihr eigenes Direktmandat im Nürnberger Norden erneut gegen Bayerns CSU-Innenminister und Scharfmacher Nummer eins, Günter Beckstein, verteidigte.

"Für dieses Wahlergebnis bin ich verantwortlich", erklärte Schmidt schon am Wahlabend immer wieder und versuchte so wenigstens, den Schaden für die Bundes-SPD etwas einzudämmen. Auch einen Rücktritt wollte Renate Schmidt nicht ausschließen: "Sollte die Schuld bei mir liegen, bin ich die letzte, die an ihren Ämtern klebt.".

Ruth Paulig, Vorsitzende der bayerischen Bündnisgrünen, kann im Gegensatz zu Renate Schmidt mit dem Wahlergebnis zufrieden sein. Ihre Partei hat zwar 0,4 Prozent verloren, aber mit 5,7 Prozent den Einzug in den Landtag wieder geschafft. Die von den Grünen gefürchtete rechts-ökologische ÖDP konnte mit 1,8 Prozent nur knapp ihr Ergebnis von vor vier Jahren halten.

Zu Problemen mit ihrer rechten Konkurrenz konnte es für die CSU gar nicht erst kommen. Zu Recht protzten Stoiber und CSU-Generalsekretär Bernd Protzner am Wahlabend, ihre Strategie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus sei aufgegangen. Mit rassistischen Parolen und Law-and-Order-Sprüchen ließ sich in Bayern angesichts der realexistierenden CSU-Politik jenseits der Staatspartei jedenfalls nicht auspunkten. So haben die Republikaner auch diesmal den Einzug in den Landtag nicht geschafft: Noch vor acht Jahren waren Parteifunktionäre der damaligen Schönhuber-Truppe nach den ersten Hochrechnungen, die sie über fünf Prozent zeigten, triumphierend ins Landtagsgebäude eingezogen. Es blieb bei dem Fernsehauftritt - die Reps mußte schließlich wieder aus dem Maximilianeum abziehen.

Auch die hochgesteckten Erwartungen der Freien Wähler, die ebenfalls politisch auf dem Feld der CSU grasen, wurden enttäuscht: Sieben bis acht Prozent hatten sie sich vorgenommen, erreichten aber schließlich nur magere 3,7 Prozent.

Bayern bleibt rechts. Nimmt man zum CSU-Ergebnis die Stimmen für Freie Wähler, NPD, Republikaner und den Bund Freier Bürger dazu, dann hat das rechte Lager sogar noch gut vier Prozent zugelegt.

Und die CSU bleibt das Synonym für Bayern. Der Charme ihrer Macht scheint ungebrochen. Sie kann auf den Lokalpatriotismus und Wohlstandschauvinismus des Wahlvolks bauen, das sich die relative bayerische Idylle weder von Ausländern noch von unnötigem Austausch des Regierungspersonals stören lassen will.

Und wer vergessen haben sollte, wie gut die CSU Bayern umsorgt, dem half der Wahlkampf der Staatspartei auf die Sprünge: Über 4 000 Spatenstiche, Einweihungen und Eröffnungen absolvierten die CSU-Kandidatinnen und -Kandidaten in den Wochen vor der Wahl: Vom neuen Fahrradweg bis zum Garchinger Forschungsreaktor. Die Erlöse aus der Privatisierung zahlreicher Staatsbetriebe - zum Beispiel des Energieversorgungsunternehmens Bayernwerk - verteilte die Staatsregierung nach Gutsherrenart an die diversen Interessengruppen und ließ sich dafür kräftig lobpreisen.

Da jedem Bayern klar ist, daß er im Freistaat nur dann etwas werden kann, wenn er zur CSU geht, braucht sich die Partei auch keine Nachwuchssorgen zu machen. Auch beim Bayerischen Fernsehen kann man bekanntlich nur mit Parteibuch Karriere machen.

Der BR steigerte sich in den letzten Tagen vor der Wahl denn auch brav zur Rundfunk-Außenstelle des Bayernkurier: Keine Nachrichtensendung, in der nicht das hohe Lied auf den Standort Bayern gesungen oder die lang erwartete Ankunft des Aufschwunges gepriesen wurde. Frei nach dem Motto: "Zur Mafia gehört die Camorra / zu den Banditen gehörn die Räuber / Sat.1 gehört dem Leo Kirch / der BR dem Edmund Stoiber." (Biermösl Blosn)

Daß das Ergebnis in Bayern eine Vorentscheidung für die Bundestagswahlen darstellt, kann indes bezweifelt werden: Wer Stoiber wählt, dürfte grundsätzlich auch keine Probleme damit haben, Schröder zu wählen. Wie heißt es so schön: "Die Blattlaus ghörn auf d'Rosen / d'Salmonellen in Tiramisu / und der Gerhard Schröder / gehört in d'CSU."