Doppelte Ausnahme

"Genug diskutiert", meinte die Bundesärztekammer und hat am 11. September die seit anderthalb Jahren heftig umkämpften Richtlinien zur Sterbebegleitung verabschiedet. Umstritten war vor allem die Frage, ob die künstliche Ernährung abgebrochen und damit der Tod von Patienten gezielt herbeigeführt werden darf. Die jetzt verabschiedete Fassung der "Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung" versucht dem Problem durch eine verklausulierte Formulierung mit doppelter Ausnahme zu entgehen: Lediglich das "Stillen von Hunger und Durst" wird zur unverzichtbaren Basisbetreuung gezählt. "Wohlwissend, daß es sich bei Hunger und Durst um subjektive Empfindungen handelt, deren allmähliches Nachlassen bekannt ist, verzichtet man an dieser Stelle bewußt auf den Begriff Ernährung", erläutert eine Pressemitteilung und behauptet apodiktisch: "Die Verpflichtung zur 'Ernährung' in jedem Fall würde bedeuten, daß niemand mehr zu Hause, sondern nur noch auf der Intensivstation sterben könnte."

Allerdings soll bei Wachkoma-Patienten "lebenserhaltende Therapie einschließlich ggf. künstlicher Ernährung geboten" sein, weil sie eben keine Sterbenden sind, was die Frage aufwirft, warum ihre Behandlung überhaupt Gegenstand der Grundsätze zur Sterbebegleitung ist. Möglicherweise, weil diese Pflicht zur Behandlung auch eine Ausnahme kennt: "Bei fortgeschrittenerer Krankheit kann aber auch bei diesen Patienten eine Änderung des Therapieziels", Tod statt Leben, "in Betracht kommen." Daß der Chef der Hamburger Ärztekammer, der an der Verabschiedung der Richtlinien beteiligt war, unmittelbar danach behauptete, "kein Mensch, wie krank er auch ist, darf verhungern oder verdursten. Die künstliche Ernährung gehört nicht zu den lebenserhaltenden Maßnahmen, die beendet werden dürfen", hat die, wohl nicht ganz unbeabsichtigten, Unklarheiten nur in einer Hinsicht beseitigt: Die Debatte über ärztliche Sterbebegleitung ist mit der Verabschiedung der Richtlinien nicht am Ende.