"Fighting for Feilcke"

Gefährliche Orte XXXIX: Wahlkampf in Kreuzberg. Der Kandidat Feilcke kämpft um seinen Arbeitsplatz

Es ist kalt, fahl und regnet seit Stunden. Wen an diesem beschissenen Samstagmorgen noch Wochenendeinkäufe vor die Tür zwingen, der bewegt sich mit schnellem Schritt und verdrießlicher Miene. Einer jedoch scheint in seinem Element zu sein. Mit strahlendem Lächeln marschiert er auf jeden zu, der vorbeikommt, keiner ist vor einem warmen Händedruck und einem Taschenkalender sicher. Passanten, die sich der Kontaktfreudigkeit des eleganten Mittfünfzigers entziehen möchten, müssen entweder flink sein oder so brachial wie der junge Mann, der sich mit dem Ruf "2 000 Jahre Christentum sind genug!" die Bahn freiräumt.

Jochen Feilcke hat allen Grund, niemanden zu übergehen: Damit er den Platz, den er seit fünfzehn Jahren auf den hinteren Rängen des Bundestages besetzt, nicht räumen muß, ist er auf jeden in Kreuzberg und Schöneberg angewiesen, der in der Lage ist, ein Kreuz auf einem Wahlzettel zu machen. Denn möglicherweise werden einige hundert Wählerstimmen den Ausschlag geben, auf wessen Konto die 11 269,04 Mark brutto, mit denen der Job entlohnt wird, künftig landen werden.

Der Sozialdemokrat Eckhardt Barthel, der mit dem Etikett "Sozialarbeiter" für sich wirbt und Christian Ströbele, dessen Ziel das erste Direktmandat bündnisgrüner Geschichte ist, gelten als nicht minder aussichtsreiche Anwärter. Vor vier Jahren kamen die Kandidaten der drei großen Parteien alle auf etwa dreißig Prozent der Stimmen. Zwar machte damals Kurt Neumann, der kurz nach der Wahl wegen verschiedener Vergehen aus der SPD ausgeschlossen wurde, das Rennen, aber Feilcke war über die Landesliste abgesichert.

Das ist diesmal anders: Die Berliner CDU mochte ihm keinen Listenplatz zugestehen. Feilcke warf daraufhin seinen Job als Wahlkampfleiter der Landespartei hin, um sich unter der Parole "Nicht mit Diepgen, nicht mit Kohl, in Kreuzberg und Schöneberg kämpfen wir mit den Berlinern für Berlin!" in seine persönliche Wahlschlacht zu werfen, bei der die CDU allenfalls am Rande vorkommt. Mag es nun, wie vielfach unterstellt wird, verletzte Eitelkeit gewesen sein, die ihn zu dieser Strategie trieb, irrational ist sie nicht.

"Herr Barthel profitiert möglicherweise von dem Schröderbonus; ich profitiere möglicherweise nicht so sehr von dem Kanzlerbonus", glaubt Feilcke. So läßt sich seine Zugehörigkeit zur Kanzlerpartei Plakaten und Werbematerial zum Teil gar nicht, zum Teil nur auf den dritten Blick entnehmen. In den Slogans taucht statt dessen nicht der Name Jochen Feilcke auf, sondern ein Begriff, der Vertrautheit suggeriert: "Erststimme ist Feilcke-Stimme", "Fighting for Feilcke" oder - Ahoi-Brause trifft Politikverdrossenheit - "Auch wer Parteien gar nicht mag, wählt Feilcke in den Bundestag". Von wem die Kampagne stammt, ist nicht schwer zu erraten. "Das ist alles von mir. Al-les. Da ist nichts von anderen. Alle Ideen, alle Realisierungen, alle Geldmittel kommen von Feilcke", sagt Feilcke.

Und nicht nur das. Weil in Feilckes Wahlkampf Parteipolitik und inhaltliche Aussagen weitgehend außen vor bleiben, geht es um die vielen Dinge, die von Feilcke kommen: Arbeitsplätze, Hilfe in der Not und Politik zum Anfassen. "Als das Rathaus Schöneberg nach einem Brand geschlossen war, habe ich eine Woche in einem Container davor gesessen und den Leuten gesagt, wie man zur Einbürgerungsstelle oder zum Wohnungsamt kommt", erzählt Feilcke.

Doch nicht nur als Pförtner ist er für die Menschen da: "Einmal kam eine Arbeiterin aus der Bundesdruckerei zu mir und erzählte, daß dort 150 Arbeitsplätze in Gefahr sind. Da habe ich in Bonn antichambriert, und eines Tages konnte ich die frohe Botschaft mitbringen, daß der EU-Führerschein in der Bundesdruckerei in Berlin gedruckt wird." So redet Feilcke tatsächlich. Die Behauptung, daß er "noch und nöcher Beispiele aufzählen könnte", wie vielen jungen Menschen er Arbeitsplätze verschafft habe, läßt man gern ungeprüft durchgehen, zumal ein Beweis für die Wohltätigkeit im "Feilcke Info-Mobil" zu besichtigen ist, mit dem er seit Wochen für sich wirbt. Dort läuft das "Gewinnspiel 'Feilcke sucht Talente'", bei dem als Gewinn vier Ausbildungsplätze winken.

Trotz aller Bemühungen, seine Rolle als Evita von Kreuzberg in den Vordergrund zu rücken, muß Feilcke immer wieder feststellen, "daß die Menschen nicht zwischen Person und Partei unterscheiden". Bei Podiumsdiskussionen bekommt er vom Publikum regelmäßig die Regierungspolitik um die Ohren gehauen, während seinen beiden Hauptkonkurrenten nur die Veranstaltung der Berliner Morgenpost in unangenehmer Erinnerung geblieben ist. Wird Feilcke auf die Politik seiner Partei angesprochen, versucht er, wie er es nennt, "die Menschen auf das Individuum Jochen Feilcke zu lenken". Oder auf andere, wesentlichere Themen.

In einem Jugendzentrum mit den Arbeitslosenzahlen konfrontiert, behauptet er kurz, daß gleichzeitig auch die Zahl der Arbeitsplätze gestiegen sei, verweist darauf, daß nur ein Drittel der Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Job bleibe, um schließlich eine Lanze für die industrielle Reservearmee zu brechen: "Herr Ströbele sagt immer, wer arbeitslos ist, wird kriminell. Das ist eine Diffamierung von Menschen in einer sozialen Notlage, die ich nicht durchgehen lasse." Der so Gescholtene hält nicht einmal die Bemerkung für nötig, daß er es nicht für nötig hält, darauf zu antworten.

Während sein Parteifreund Dankward Buwitt im benachbarten Neukölln Plakate kleben läßt, auf denen er sich als Beschützer vor kriminellen Ausländern präsentiert, wirbt Feilcke damit für sich, daß er "keine Minderheiten ausgrenzt". Harald Grieger, Mitglied des Abgeordnetenhauses und als Wahlkampfhelfer für Feilcke aktiv, erklärt den Unterschied damit, daß es in Neukölln wesentlich weniger "wahlberechtigte Ausländer" als in Feilckes Wahlkreis gebe. "Von denen braucht er 2 500 Erststimmen, da kann er die nicht verprellen", sagt Grieger. Und so redet Feilcke seine Zuhörer von der Türkischen Gemeinde mit "liebe Landsleute" an und differenziert: "Ich glaube, wir müssen zwischen den Einwanderergruppen unterscheiden. Da gibt es die, die auf Dauer hier leben, und die, die nicht auf Dauer hier leben."

So verbreitet er sich einerseits über Integration, um andererseits für eine Verschärfung der Asylgesetze einzutreten. Damit bedient Feilcke eine unter den alteingesessenen Immigranten durchaus vorhandene Stimmung, vermutet Christian Ströbele. Feilckes Umgarnen der Einwanderer findet jedoch dort Grenzen, wo es um Gesetzesänderungen geht. In Podiumsdiskussionen umschifft er Themen wie die doppelte Staatsbürgerschaft mit bewundernswerter Wendigkeit.

Für Feilcke, und davon scheint er wirklich überzeugt zu sein, ist Politik weniger eine Frage von Standpunkten als vielmehr von Idealismus und guten Taten. Auch wenn ihm die Inhalte immer wieder in die Quere kommen, glaubt er doch daran, daß alle seinen Einsatz anerkennen müssen - auch seine Gegner.

Jene, die ihn "mit ihren Zufallsmehrheiten" um seinen Listenplatz brachten, stünden lediglich auf dem Standpunkt: "Feilcke macht tolle Arbeit, aber er gehört nicht zu uns. Punkt." Schwule und Lesben sollten ihn wählen, weil er ein Mann sei, "der leben will und leben läßt", gab derselbe Feilcke der Zeitschrift Sergej zu Protokoll, der bei der Provinzposse um eine Regenbogenfahne vor dem Schöneberger Rathaus den Begriff "pervers" in die Diskussion geworfen hatte.

"Der wahre Grünen-Wähler ist bei Feilcke besser aufgehoben", sagt Feilcke, denn Ströbele sei ja "in Wirklichkeit ein Knallroter". Daß der wahre Freidemokrat ebenfalls für Feilcke stimmt, mochte die FDP-Kandidatin Carola von Braun jedoch nicht einsehen. Feilckes Bitte, potentielle FDP-Wähler aufzurufen, ihr Kreuz nicht bei ihr, sondern bei Feilcke zu machen, schlug von Braun glatt ab. Dafür hat Feilcke nur eine Erklärung: "Eitelkeit."