Rostock sicher im Griff

Polizei, Innenministerium und Neonazis sind zufrieden: Der NPD-Aufmarsch in der Hansestadt fand ohne größere Störungen statt

"Es war von Anfang an unser Ziel, die beiden Ströme auseinanderzuhalten." Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Armin Jäger fiel es sichtlich schwer, seine Begeisterung über das aufgegangene Konzept seiner Beamten zu verbergen.

Während rund 3 000 Anhänger der Neonazi-Partei NPD durch das im Osten der Hansestadt gelegene Viertel Dierkow marschierten, beteiligten sich im restlichen Stadtgebiet etwa 10 000 Menschen an Aktionen des Bündnis gegen Rechts. Und was dem Innenminister ein erfolgreicher Polizeieinsatz ist, bezeichnen antifaschistische Gruppen als "polizeistaatliches Handeln". Auch das bis zur SPD reichende Bündnis spricht im nachhinein von einem "unverhältnismäßigen Vorgehen". Etwa 6 000 Polizisten waren angekarrt worden, 127 Menschen wurden vorläufig festgenommen.

Der Stadtteil Dierkow schien geradezu prädestiniert für das geplante Einsatzkonzept - war doch das Ziel, die NPD vor Gegendemonstranten zu schützen: Das durch einen Wasserarm vom Rest Rostocks getrennte Viertel ließ sich problemlos abriegeln. Daß die Rechtsradikalen wegen einer Entscheidung des Greifswalder Oberverwaltungsgerichts nicht wie geplant im Stadtteil Lichtenhagen marschieren konnten, dürfte sie nicht weiter gestört haben. Die erhoffte Medienaufmerksamkeit hatte die NPD alleine durch ihre Ankündigung erreicht, genau dort zu marschieren, wo 1992 das Pogrom gegen Vietnamesen und Vietnamesinnen stattfand.

Daß die Neonazis freie Bahn hatten, verdankten sie auch der PDS. Die nämlich hatte am Freitagnachmittag auf Druck des Bündnis gegen Rechts eine eigene Anmeldung zur Demonstration in Dierkow zurückgezogen, um dem Polizeikonzept des Auseinanderhaltens linker und rechter Demonstranten nicht in die Quere zu kommen. Bundestagskandidatin Angela Marquardt, die die Auftaktkundgebung der autonomen Antifas in der Innenstadt angemeldet hatte, erklärte gegenüber Jungle World, sie sei "stinksauer" und könne das Verhalten ihrer Partei "beim besten Willen nicht verstehen". Sie habe sich an diesem Tag für die PDS geschämt. Ihre Partei habe sich "an der bürgerlichen Ausgrenzung gegenüber den Autonomen beteiligt", anstatt alles zur Verhinderung des NPD-Aufmarsches zu unternehmen. Offenbar sorgte sich die PDS um ihr Image. In Rostock will sie eines der für den Einzug in den Bundestag wichtigen Direktmandate gewinnen.

Den Rest der Abwicklung erledigte dann die Polizei. Bereits in den Morgenstunden hatte sie rund um Rostock zwölf Kontrollstellen eingerichtet, um anreisende Antifas zu durchsuchen. Auch später ließen die Beamten keinen Zweifel: "Wir sind überall", wie der Leitende Polizeidirektor Knut Abramowski die Situation treffend beschrieb. Lediglich zweimal gelang es den Einsatzkräften nicht, Antifas und NPD-Anhänger auseinanderzuhalten.

Als sich am Morgen etwa 80 Neonazis mit der Straßenbahn auf den Weg zum Aufmarsch machten, sahen sie sich in der Innenstadt plötzlich einigen Gegendemonstranten gegenüber. Die Folge: Einige Scheiben der Bahn gingen zu Bruch, mehrere Neonazis wurden verletzt, bevor die Polizei eingreifen konnte. Nicht zur Stelle waren die Beamten, als NPD-Anhänger am antifaschistischen Infozelt am Stadthafen vorfuhren und die wenigen dort Verbliebenen mit Steinen angriffen.

Nur einige Minuten später raste ein Neonazi mit hoher Geschwindigkeit auf einen Antifaschisten zu. Der 28jährige konnte nicht mehr ausweichen, wurde von dem Wagen erfaßt und lebensgefährlich verletzt. Der junge Mann liegt mit schweren Schädelverletzungen auf der Intensivstation. Der Fahrer des Wagens stellte sich später der Polizei, die von einem "Verkehrsunfall" sprach. Nach seiner Vernehmung wurde er wieder freigelassen.

Samstag am Morgen: Nachdem die knapp 2 000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus dem autonomen Spektrum wegen des massiven Polizeiaufgebots nicht nach Dierkow gelaufen waren, griffen die Beamten immer wieder ein. Was als Demonstration begonnen hatte, endete in einem wandernden Polizeikessel: Bis zum Abschluß durfte niemand den Zug verlassen.

Samstag am frühen Nachmittag: Ganz anders sah es in Dierkow aus. Dort hielt sich die Polizei im Hintergrund. Das schwarz-weiß-rote Fahnenmeer war unübersehbar, die Trommeln der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) hallten zwischen den niedrigen Plattenbauten durch die Straßen; Jungmännerstimmen skandierten die üblichen Parolen: "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". Nach Bundesländern aufgeteilt und in ordentlichen Achterreihen liefen rund 3 000 jugendliche Neonazis, rechte Skinheads sowie altgediente NPD-Kader rund zwei Stunden durch den Neubaustadtteil.

Die Stimmung war aggressiv, die Botschaft klar: Die Neonazis fühlten sich als Herren der Straße. Die Polizei hielt sich bedeckt, die vier Wasserwerfer, die gegen potentielle Störungen von Antifaschisten und Antifaschistinnen zusammengezogen worden waren, blieben in weitem Abstand hinter den letzten Reihen des Aufmarsches.

Keiner der wichtigen Neonazis durfte hier fehlen: An der Spitze marschierte die NPD-Spitze mit Parteichef Udo Voigt und dem JN-Vorsitzenden Holger Apfel sowie Günther Eisenecker, dem NPD-Vorsitzenden Mecklenburg-Vorpommerns. Mit im Aufzug auch Terrorist und NPD-Direktkandidat Manfred Roeder, der zum NPD-Vorsitzenden in Sachsen-Anhalt avancierte Neonazikader Steffen Hupka aus Quedlinburg und die Hamburger Christian Worch und Thomas "Steiner" Wulff. Auch wenn Worch kein Rederecht auf den Kundgebungen erhalten hatte und sich darüber bitter beklagt: Die Zwistigkeiten zwischen den Anführern der "Freien Kameradschaften" und der NPD-Spitze interessieren die neonazistische Basis momentan kaum und werden für die Wahlkampfzeit hintangestellt.

Die NPD feiert den Tag als Erfolg: Anders als bei der rechtsradikalen 1.Mai-Demonstration in Leipzig war vom antifaschistischen Protest in Dierkow nichts zu sehen, und auch die imageschädigende Randale mit der Polizei blieb aus. Kurz vor den Wahlen bot die NPD das Bild einer geschlossenen Partei, die in der Lage ist, reibungslos Massenaufmärsche zu inszenieren und so den inneren Zusammenhalt der Naziszene zu stärken.

Die Reaktionen in Dierkow dagegen waren gemischt: Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner zogen sich auf ihre Balkons zurück und beobachteten den Aufzug aus sicherer Entfernung. Am Rande äußerten sich einige wenige zustimmend zu den Parolen der NPD.

Samstag mittag: Die Demonstration des Bündnis gegen Rechts setzte sich mit rund 8 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Evershagen nach Lichtenhagen in Bewegung. Auch wenn das Bündnis zuvor erklärt hatte, eine antifaschistische Demonstration nach Dierkow zu unterstützen, wurde doch an der ursprünglichen Route festgehalten. Hier waren vor allem Schüler, Schülerinnen, Gewerkschafter sowie Mitglieder von SPD, PDS und Bündnis 90/Die Grünen, aber auch Unorganisierte auf der Straße.

Beim anschließenden Fest vor der vietnamesischen Begegnungsstätte - mitsamt Konzert der Norddeutschen Philharmonie und Oberbürgermeister Arno Pörker - wurde kaum Bezug auf das Pogrom vor sechs Jahren genommen. Dabei liegt der Treff im sogenannten Sonnenblumenhaus, das der Mob 1992 angegriffen hatte. Die Redner und Rednerinnen waren jedoch bemüht, sich selbst und den Medien zu beweisen, daß inzwischen alles besser geworden sei.

Samstag am frühen Abend: Antifas warten besorgt auf Neuigkeiten über den Schwerverletzten und befürchten Angriffe auf Flüchtlinge und linke Projekte. Sektgläser klirren hingegen nicht nur bei der NPD, sondern auch bei den politisch Verantwortlichen der Stadt Rostock. Wie der Innenminister sprach auch die Polizei bei einer ersten Pressekonferenz von einem Erfolg und lobte ihr Einsatzkonzept.

Zufrieden zeigten sich auch einheimische Politiker, werden doch die Bilder transportiert, die der Investitionsstandort dringend braucht: Die Bündnisdemonstration und das Fest in Lichtenhagen haben das Image der Stadt gerade eben noch einmal gerettet. Daß die Stadt dafür in einen polizeilichen Belagerungszustand versetzt werden mußte, scheint nicht zu stören.

Nur die an diesem Tag in Rostock anwesenden Antifaschistinnen und Antifaschisten fühlen sich an die Polizeieinsätze während des Pogroms im Herbst 1992 erinnert: Auch damals konnten Rechte ungestört in der Hansestadt agieren.