Rostocker Allerlei

Diskussion um die NPD-Demo: Die Antifa ließ sich von Bündnispartnern instrumentalisieren

Die Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch vom 19. September in Rostock werfen erneut die Frage nach grundlegenden Positionen antifaschistischer Politik und deren Konsequenzen für die Bündnispolitik auf. Der Rostocker Aufruf erweckt den Eindruck, daß allein die Nazis die Bedrohung sind und unterschlägt deren Unterstützung durch die gesellschaftliche Mitte, der die Antifa die Möglichkeit gibt, Antifaschismus zu heucheln und sich von der Mitschuld am Pogrom 1992 reinzuwaschen. Die Argumentationen der Rostocker Antifa sind unkritisch dem bürgerlichen Mainstream entnommen. Rechtsradikalismus ist kein Jugendproblem, und Orientierungslosigkeit ist nicht Ursache für rechte Positionen bei vielen Jugendlichen, wie behauptet wird.

In einem Vorabrundschreiben der Rostocker Antifa an verschiedene Antifagruppen wird davon ausgegangen, "daß viele in der Bevölkerung die Nazis ablehnen oder sich distanziert gegenüber den Glatzen mit den Springerstiefeln verhalten. Wenn etliche für deren Parolen dennoch offene Ohren haben, wird es nichts nützen, sie dafür pauschal zu beschimpfen. Im Gegenteil, wir sollten uns lieber die Mühe machen, unsere eigenen argumentatorischen Defizite zu überarbeiten." Doch wie viele der RostockerInnen auf der Bündnisdemonstration waren nicht nur gegen Nazis, sondern auch gegen Ausländer? Wie viele von denen, die sich 1992 aktiv an den Pogromen beteiligt hatten, sei es als Steinewerfer oder als Beifallspender, haben sich in diese Demo eingereiht?

Es ist absurd zu denken, die Rechtsentwicklung sei auf argumentative Defizite zurückzuführen. Die "Überarbeitung" bestand für die Rostocker Antifa offenbar darin, sich unauffällig unter den schwammigen Demonstrantenbrei zu mischen und inhaltliche Provokationen zu unterlassen! Den RostockerInnen ging es mehr um den Ruf ihrer Stadt, und der örtlichen Antifa kam es darauf an, ihre guten Beziehungen in Rostock nicht zu gefährden.

Eine formale Ablehnung von Nazis reicht nicht aus, vielmehr muß jeder rassistisch-nationalistische Ansatz angegriffen werden, da er die Welle ist, auf der Naziparteien schwimmen und die für alle MigrantInnen eine lebensbedrohliche Gefahr bedeutet. Mensch kann keine Bündnisse eingehen, in dem so viele Leute wie möglich vereint werden sollen, um dann alles zu vermeiden, was dieses Bündnis strapaziert. So eine Einstellung kann der Rechtsentwicklung nur Vorschub leisten. Um aber das breite Bündnis nicht zu gefährden, wurde eigens und ausschließlich für die unabhängigen Antifas ein spezielles Konzept gebastelt, das alle bisherigen in den Schatten stellte: Das konspirative Konzept war so konspirativ, daß es faktisch alle nicht Eingeweihten von der Teilnahme ausschloß.

Anstatt sich auf eine indifferente Masse zu berufen, muß eine inhaltliche Auseindersetzung mit potentiellen BündnispartnerInnen geführt werden, die sie zu einer politischen Positionierung zwingt. Weil Antifa-Aktionen auch politischen Charakter haben, muß es Konzepte zur Verhinderung von Naziaufmärschen geben, an denen sich alle beteiligen können, die die inhaltlichen Positionen mittragen.

Rostock hat gezeigt, wie sich fehlerhafte politische Einschätzungen in Handlungskonzepten niederschlagen und begründet die Notwendigkeit inhaltlicher Auseinandersetzungen innerhalb der unabhängigen Antifa. Die Aktionsantifa läuft immer wieder Gefahr, sich instrumentalisieren zu lassen. Um so kritischer ist auch die teilweise Unterstützung auswärtiger Antifagruppen gegenüber Rostock zu sehen. Und warum sind so wenige Antifas nach Rostock gekommen? Immerhin war die NPD Demonstration einer der Höhepunkte der Nazi-Aktivitäten in diesem Jahr.

Konsequenterweise hat sich die Rostocker Antifa als am Bündnis Beteiligte von den autonomen Antifa-Aktionen an diesem Tag distanziert und sich somit selbst in Frage gestellt.