SPD-grüner Ausstieg aus dem Ausstieg?

Weder alles noch nichts

Wenn Ende Oktober ein grüner Atomminister auf den Bonner Regierungsbänken Platz nimmt, dann kann er sicher sein, von jenem Teil seiner Wählerschaft, der einst die Keimzelle der grünen Partei darstellte, mit gemischten Gefühlen beobachtet zu werden: So sehr die Anti-Atom-Bewegung den Regierungswechsel herbeisehnte, so unsicher ist man sich über dessen Auswirkungen.

Was kann eine Sechs-Komma-nochwas-Prozent-Partei, wenn sie erst an der Regierung ist, in der Atompolitik herausholen? Ein Ausstiegsgesetz ? Gegen Schröder und ohne die Gewerkschaften? Jeder weitreichende Beschluß wäre überraschend. Restlaufzeiten? Schon eher, weil dann die Verhandlungsmasse nicht "Ausstieg", sondern "Preise" beinhalten würde - wie in Frankreich, wo die Grünen den symbol- und gefahrenreichen Brutreaktor "Superphénix" abschalten dürfen: Peanuts, die die Atom-Shareholder schlucken müssen, deren mediale Wirkung aber - siehe Brutreaktorruine in Kalkar - den Anti-Atom-Initiativen zugutekommt.

Größere Aussicht hat die grüne Koalitionspolitik, wenn sie trotz eines absehbaren Deals mit Schröder an den atomeigenen Unzulänglichkeiten ansetzt: Kosten für mögliche Atomunfälle müssen von den Produzenten und Betreibern der Nuklearanlagen voll getragen werden; einen Nachweis über bei einem Unfall sofort und jederzeit verfügbare Milliarden-Summen könnten die Grünen schon in der anstehenden Legislaturperiode verbindlich einfordern; in Österreich bringen derzeit Diskussionen über solche "Atomversicherungen" die Nuklearlobbyisten zum Schwitzen.

Ebenso groß ist der Handlungsspielraum der Grünen beim Atommüll: Betreiber müssen nachweisen, daß endgelagerter Strahlenschrott - auch über einige zehntausend Jahre - niemals mit Grundwasser in Berührung kommen kann. Ein Nachweis also, der auch in jüngsten Dokumenten der Atombranche als völlig unerbringlich beschrieben wird.

Nicht zuletzt ist die Frage verhandelbar, was eigentlich eine "beerdigte" Tonne Atommüll über die Jahre kostet. Die Atomwirtschaft rechnet nur mit den Kosten, um den Strahlenmüll unter die Erde zu fahren. Die Grünen könnten Berechnungen fordern. Hier liegen ihre zukünftigen Handlungsspielräume, seit sie die "Alles-oder-Nichts-Strategie" in der Atomfrage aufgegeben haben. "Alles", das hieß, aus den sicheren Reihen der Oppositionsbank heraus im Bundestag die Forderung nach dem "Sofortausstieg" vorzubringen. "Nichts" die Ablehnung einer Regierungsbeteiligung, ebenfalls aus der Opposition heraus vorgebracht.

Jetzt kommt dagegen das große rot-grüne Geben und Nehmen, nicht nur beim Thema Atompolitik. Zwangsläufig kommt auch der Abschied von der "Bewegung", den Anti-Atom-Initiativen. Vier Jahre Zeit für die Grünen, Posten zu sichern, Geld umzuschichten, Gesetze zu beeinflussen. Vier Jahre Zeit für die Anti-Atom-Initiativen, grüne Politik neu zu bewerten.