Nebenwiderspruch Welt

Mit der "Die Truman Show" kommt eine weitere Narziß-Figur ins Kino

In jüngster Zeit sind Filme häufig, in denen sich Ichs eine nervende Sonderbehandlung gönnen. Die Hervorhebung einer einzelnen Hauptfigur ist da von Narzißmus schwer zu unterscheiden. Damals in "Good Will Hunting" (Regie: Gus Van Sant) haben sich Matt Damon und Ben Affleck als Genies imaginiert, Lacan mit fünf, das Rätsel des Lebens mit zehn abgehakt, den Psychotherapeuten mit 20 ausgetrickst und immer mal wieder, im Hauptfach Mathematik, eine neue Weltformel entwickelt.

Wo ist das Problem? Diese Frage hat schon Jodie Foster als Regisseurin von "Little Man Tate" irgendwie so beantwortet, daß es nicht gerade einfach sei, ein Genie zu sein, dann aber doch nur die Mutter des sonderbegabten Kindes gespielt. (Warum sich ausgerechnet Schauspieler in der Rolle des Mißverstandenen imaginieren.)

Wenn Schauspieler die Seiten wechseln und Spielfilme um sich selbst herum drehen, dann glaubt man ungefähr zu wissen, was einen erwartet. Vincent Gallo, den man aus größeren Nebenrollen und der "Levi's"-Kampagne kennt, ist in "Buffalo '66" gleich als Regisseur, Schauspieler und Komponist hervorgetreten. Er entläßt sich aus dem Gefängnis, sucht dringend eine Toilette und findet sie in einer Tanzschule. Dort wartet schon eine dickliche Erscheinung auf ihn, himmelt ihn an und folgt ihm devot.

Gallo braucht Christina Ricci, denn er will seinen nicht weniger egozentrischen Eltern eine gutsituierte Existenz vorspielen. Das heißt, daß selbst die wenigen witzigen oder erschreckenden Stellen (etwa das Drama des Alterns, das Jon Vincent und Mickey Rourke ziemlich erbarmungslos verkörpern) von einer penetranten Neomisogynie und der Ambition zunichte gemacht werden, Welles, Ozu oder noch weit mehr zu werden.

Weniger offensichtlich als in Filmen ambitionierter Schauspieler hat der narzißtische Bann die Filme "Gattaca" oder "Die Truman Show" (Kinostart: 29. Oktober) im Griff, die beide auf Büchern von Andrew Niccols basieren. Hier wurde erst einmal typisch modernistische Paranoia zu einer pessimistischen Utopie ausgebaut. Neue Techniken errichten neue Mauern; die Medien - sie verändern alles, und die Wissenschaften vom Leben lassen kein Gen auf dem anderen. Diese Sichtweise ist geläufig, weil man schnell selbst in düsteren Totalisierungen denkt, in einem Film setzt sie aber Hauptfiguren von übertrieben oppositionellem Format voraus.

In "Gattaca" ist die genetische Verbesserung von Menschen eine soziale Tatsache mit faschistoiden Effekten. Einer jedoch erhebt sich aus der Putzkolonne durch seinen Willen zum raketenhaften Aufstieg. Auch in der "Truman Show" wird ein einzelner stark herausgehoben. In der Kleinstadt dreht sich der Tanz von Arbeit, Konsum und Reproduktion gutgelaunt vor sich hin. Jim Carrey lacht sein verrenktes Lachen, dann aber fallen Gegenstände vom Himmel: Die Brüche häufen sich. Die Bedeutung enthüllt sich erst allmählich. Dies alles ist eine detailgetreue Nachbildung, fürs Fernsehen produziert.

Trumans harmlose Fluchtbewegungen werden von schicksalhaften Bränden, Stürmen und Polizeieinsätzen blockiert. Dann wird klar: Dieser Tanz hat sich immer nur um Truman gedreht. Der ist seit seiner Geburt, seit dreißig Jahren, Star einer Fernsehserie, weiß es aber nicht. Schlagartig macht das all seine Mitmenschen zu Kollaborateuren einer Verschwörung. Truman muß nun hingehen, sich als invertierter Jesus selbst das Heil erweisen, indem er die richtige Welt hinter der falschen sucht. So lückenlos der platonische Totalitarismus hier ist, so einfach bleiben die Antworten. "Gattaca" verteidigt Geist und Erfindungsgabe gegen die Gentechnik, in der "Truman Show" wird Idealismus narzißtisch: "Die Welt ist da, weil ich sie denke; du bist doch nicht mehr als irgendeine Figur in meiner Geschichte."

Die eigene Person für besonders exemplarisch zu halten und um diese Annahme herum Stories zu bauen, sind zwei verschiedene Dinge. Auch die Dramatisierung dieses Herausgehobenseins und der plumpen Wunscherfüllung ist darauf angewiesen, sich brav mit den dramatischen Standards der Haupt- und Nebenkonflikte zu kaschieren. Zweitausend Jahre Christentum und sechzig Jahre kreative Drehbuchseminare konnten also nicht verhindern, daß das Prinzip Liebe und alle anderen dialektischen Modelle entwertet sind und Verlaß nur noch auf das eigene Ich zu sein scheint.

Folglich spielen in diesen Filmen love interests als treibende Kraft längst keine Rolle mehr. Das andere köchelt höchstens als Zutat bei der Realisierung dramatischer Floskeln mit. Frauenfiguren haben daher weder viel zu tun noch zu sagen. Wie dabei die auratischsten Jungdarstellerinnen unserer Zeit verschlissen werden, Uma Thurman, Minnie Driver, Christina Ricci, das zu sehen ist ziemlich traurig.

(Auf eigenartige Weise scheint sogar Steven Spielberg, dem man diese Muster nun wirklich nicht nachsagen kann, diesen Trend erkannt und mitverwertet zu haben. In "Der Soldat James Ryan" wird, quer zu den Szenen des Massensterbens, absurderweise nach einem einzelnen Menschen gesucht, der noch dazu von Matt Damon gespielt wird.)

Das literarische Genre der Subjektwerdung war der Bildungsroman mit seinen formierenden Begegnungen und Widrigkeiten. Noch jeder Hitchcock-Film folgt diesem Modell: Aus einer Null wird eine Eins. In einer narzißistisch fundierten Story ist es genau umgekehrt. Das Subjekt ist bereits im Besitz aller Eigenschaften und Fähigkeiten, aber lebt unter einem bedrückenden monotheistischen, dialoglosen und totalitären Regime. Das ist es, wogegen man antreten muß, will man seine Vorstellungen und guten Einfälle ans glückliche Ende retten.

Daß uns das Konzept vom Subjekt, das fiktiv oder nichts ist, außerhalb seiner wechselnden Konstellationen, theoretisch zwar geläufig, praktisch aber doch eher fremd ist, wird in Filmen wie "The Truman Show" bestätigt - und das gleich so monströs und schlüpfrig, daß es auch als Angebot zur Identifikation nicht mehr annehmbar ist. Andererseits zeigen die Filme von Quentin Tarantino, daß kompliziertere Figurationen selbst im Wachstumsmarkt der Singles auf einen aufnahmebereiten Boden fallen können, obwohl hier so gezielt mit der totalen Erniedrigung selbst tragender Rollen, bis hin zu deren plötzlicher Auslöschung gearbeitet wird.

Die Politique des auteurs war selbst in ihren Anfängen nicht die Lizenz zur Selbstdarstellung. So wurde etwa die körperliche Anwesenheit im eigenen Film als Signatur der Autorenschaft - bis hin zur Spätfolge Wim Wenders - vielmehr durch die Begeisterung für Hitchcock-Filme angefeuert. In den siebziger Jahren, mit der zunehmenden Verwendung von Fotografie und Video im Kunstbereich, wurden Selbstdarstellungen auf einmal häufiger. Cindy Sherman aktualisierte durch den Einsatz des eigenen Körpers bekannte Medien-Images, in Friederike Petzolds formalistischen oder Katharina Sieverdings narzißtischen Körperexplorationen hatte der Körper sein Risikothema geschlechtlicher Differenz und sexueller Definition gefunden. Was einmal eine eher periphere Aktivität war, ist längst auch in den Bereich einer, wenn man so will, heterosexuellen Bedeutungsproduktion eingedrungen, wie man an Matthew Barney, der Schlingensief-Rezeption, den täglichen Entblößungen der Talkshows sehen kann - schließlich auch an den Filmen von Nanni Moretti.

In "Aprile" (Kinostart: 5. November) ist Moretti wieder einmal in der Doppelfunktion von Regisseur und Hauptfigur tätig. In harten Zeiten wie diesen (1996, die Wahl von Berlusconi zum Regierungschef ist Realität) sind die Forderungen, die an linksorientierte Regisseure gerichtet werden, größer als sonst. Allerdings muß auch dieser nicht unbedingt souveräner reagieren als andere Menschen. In "Aprile" geht es um Morettis Selbstdarstellung als zweifelnder Künstler. Was wäre jetzt besser: ein Bäcker-Musical als beschwingte Metapher mit nostalgischer Prägung? Oder doch lieber die beflissene Faktographie sich überschlagender Ereignisse?

Beide Optionen haben etwas für sich, bloß sind sie für Moretti immer zur jeweils falschen Zeit attraktiv. Seinem lustigen Bekenntnis- und Selbstdarstellungskino mag der Wunsch zugrundeliegen, lieber zuerst sich selbst als andere dem Medium auszuliefern, aber daß er sich hier weder auf ein Genre noch ein Thema konzentrieren kann und dann sowieso der eigenen Reproduktion via Baby den Vorzug gibt, ist das nun eine Metapher oder reine Beschreibung? Beides ist einigermaßen verwirrend, allerdings noch mal ein anderes Thema.