Gemeinsam ratlos

Europas Sozialdemokraten haben kein Konzept für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik

Was sich mit dem Wahlsieg der Sozialisten in Frankreich andeutete, ist mit dem Regierungswechsel in Deutschland besiegelt: Der Euro wird kein neoliberales Projekt. Das zeigte auch Oskar Lafontaines Forderung an die Bundesbank, die Zinsen zu senken. Über den Umweg Bundesbank wollte der deutsche Finanzminister Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) ausüben, die ab dem 1. Januar 1999 die Geldpolitik im Euro-Raum bestimmen wird.

Auch wenn Lafontaines Vorstoß keinen Beifall hervorrief: In Bonn, Paris und London wird einhellig erklärt, man wolle die neuen Mehrheitsverhältnisse nutzen, um gemeinsam gegen Arbeitslosigkeit vorzugehen und die Weltfinanzmärkte stärker zu kontrollieren.

Mit seiner Forderung an die Bundesbank stellte Lafontaine in Frage, womit Kohl, Waigel und Tietmeyer die europäischen Partner genervt hatten. Nur ein harter Euro sei ein guter Euro, lautete ihr Credo. Vor allem die deutsche Regierung und ihre liebevoll "le Buba" genannte Hausbank waren es, die bei den Vertragsverhandlungen in Maastricht und Amsterdam auf "Stabilität" bestanden hatten und damit europaweite Inflationsbekämpfung als Hauptziel der künftigen Wirtschaftspolitik im gemeinsamen Währungsraum meinten. Zuletzt bei der Besetzung des Chefsessels der neuen Europäischen Zentralbank.

Damals hatte Kohl - als seine letzte europapolitische Handlung - den Niederländer Wim Duisenberg gegen den Franzosen Jean-Claude Trichet durchgesetzt. Die französische Regierung, die, wie jetzt Lafontaine, mehr politischen Einfluß auf die Zentralbank forderte, wurde mit der Ankündigung Duisenbergs beschwichtigt, er werde aus "gesundheitlichen Gründen" vor Ablauf seiner Amtszeit den Platz räumen. Designierter Nachfolger ist Trichet, für den eine öffentliche Diskussion über die Geldpolitik der Notenbank und die Frage, ob eine Zinssenkung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendig sei, sicher normaler wäre als für den "Tietmeyer II", Duisenberg.

Dennoch bekam Lafontaine aus Paris keine Unterstützung bei seinen Attacken gegen Bundesbank und EZB. Der französische Ministerpräsident Lionel Jospin erklärte, Politiker sollten sich nicht in die Belange der EZB einmischen. "Nur der Präsident der EZB und die mit ihm arbeitenden Gouverneure führen die Zentralbank", sagte er und verweigerte damit Lafontaine den Beistand. Offenbar stößt man sich an der Lautstärke und dem Zeitpunkt der deutschen Diskussion über gute und schlechte Notenbanken. Immerhin sind es nur noch knapp zwei Monate bis zum Start des Euro. Dann wird es nur noch einen einheitlichen von der EZB festgesetzen Zinssatz in "Euroland" geben - vermutlich auf deutschem Niveau.

Am elegantesten wäre der Übergang, wenn sich die nationalen Zinssätze der Mitgliedsstaaten bis dahin bereits angeglichen hätten. Im europäischen Vergleich sind die deutschen Leitzinsen mit 3,3 Prozent relativ niedrig - vor allem Irland, Portugal und Italien haben diese Marke noch nicht erreicht, sind aber auf dem Weg. Vergangene Woche senkten dann auch Schweden (auf 3,85 Prozent), Spanien (auf 3,5) und Dänemark (auf 4,0) ihre Zinsen.

Doch diese Zinssenkungen können die Anhänger eines "Eurokeynesianismus" nicht als Erfolg feiern. Sie bedeuten keine Rückkehr zu einer Politik des billigen Geldes, die durch günstige Kredite an Unternehmen und Privathaushalte für Nachfrage sorgen will, um so die Wirtschaft über höhere Löhne und mehr Konsum anzukurbeln.

Die Zinssenkungen in Europa in der vergangenen Wochen sind die Vorbereitung auf den Euro. Ganz im Einklang mit neoliberaler Logik sollen sie den sanften Übergang am 1. Januar 1999 möglich machen und den durch eine plötzliche Zinssenkung auf deutsches Niveau entstehenden Inflationsdruck in den Hochzinsländern abdämpfen.

An welche der beiden Varianten man glaubt - Zinssenkungen führen zu Inflation oder sind zur Rezessionsbekämpfung notwendig - ist zum großen Teil eine Glaubensfrage. Entweder man ist bekennender Neoliberaler vom Typ Guido Westerwelle oder wie Lafontaine "Eurokeynesianer". Entsprechend wird die Auseinandersetzung über die europäische Geldpolitik in den meisten Medien rezipiert: Als ideologischer Show-Down zwischen Neoliberalen und Neokeynesianern, den "Sklaven eines Verstorbenen", als die der Spiegel diese Woche Lafontaine und seine Berater outete.

In diesem Glaubenskampf möchte man sich in London und Paris eigentlich nicht auf eine Seite stellen. Vor allem Tony Blair hat wirtschaftpolitisch stark an seine Vorgängerin Magaret Thatcher angeknüpft. Wenn Oskar Lafontaines Vorstellungen für eine neue sozialdemokratische Wende in Europa darauf hinauslaufen, sich im ökonomischen Glaubenskrieg auf die Kohl, Tietmeyer und Waigel gegenüberstehende Seite zu stellen, dürfte es extrem schwierig werden, sich auf ein gemeinsames Programm zur Ablösung des neoliberalen Dogmas des schlanken Staates und der leeren Sozialkassen zu einigen.

Aber auf der Wunschliste der sozialdemokratischen Regierungen in Europa stehen genug Themen, die weniger symbolisch aufgeladen sind als der Umgang mit der Zentralbank. Die auch im SPD-Wahlkampf angekündigte Kehrtwende in der europäischen Wirtschaftspolitik soll nicht nur durch eine europäisch abgestimmte Geldpolitik erreicht werden. Es gehe um eine Zusammenarbeit in der Haushalts-, Steuer- und Tarifpolitik, erklärten Lafontaine und sein französischer Kollege Dominique Strauss-Kahn bei einem Treffen nach der Bundestagswahl.

Wie diese Zusammenarbeit aussehen wird, darüber scheinen sich die europäischen Sozis aber noch nicht einig. Am weitesten gediehen sind die Vorbereitungen für eine europäische Steuerpolitik - ein Hauptvorhaben der österreichischen Regierung während ihrer derzeitigen EU-Präsidentschaft. Eine einheitliche Besteuerung von Unternehmen und Zinserträgen aus Kapitalanlagen soll dem Wettbewerb der Nationalstaaten in Europa die Spitze nehmen und neue Vorhaben wie Ökosteuern vereinfachen.

Eine europaweite Tarifpolitik liegt dagegen noch in weiter Ferne. Zur Verhinderung von Niedriglohndumping müßte vor allem die Abstimmung unter den europäischen Gewerkschaften funktionieren. Entsprechende Versuche zwischen holländischen, belgischen und deutschen Metall-Gewerkschaften haben gezeigt, wie weit man voneinander entfernt ist. Hans de Vries von der holländischen FVN: "Wenn ich in den Niederlanden eine Forderung von sechs Prozent aufstelle und mit einem Ergebnis von weniger als drei Prozent nach Hause komme, müßte ich meinen Hut nehmen." Solche Unterschiede in den Verhandlungsgepflogenheiten sind noch die geringsten Schwierigkeiten. Ziele wie die Durchsetzung eines europäischen Mindeslohns bezeichnet der an der Drei-Länder-Zusammenarbeit beteiligte IG-Metall-Funktionär Harald Schartau deshalb als "Zukunftsmusik". Keine guten Voraussetzungen für das von Bundeskanzler Gerhard Schröder geforderte europäische Bündnis für Arbeit.

Auf Regierungebene gibt es hingegen seit 1997 einen Beschäftigungspakt analog zum Waigelschen Stabilitätspakt. Gegen den Widerstand der Kohlregierung hatte Paris auf dem Amsterdamer Gipfel im Juni 1997 dieses allerdings recht unverbindliches Beschäftigungskapitel im neuen Unionsvertrag durchgesetzt. Danach haben der Ministerrat "Beschäftigungsleitlinien" zu formulieren und die nationalen Regierungen dann "Nationale Aktionspläne" zu entwickeln. Die Ergebnisse sollen dann jährlich überprüft werden.

Doch auch die EU-Kommission rechnet nicht mit schnell vorzeigbaren Erfolgen. Zwar sei mit dem Wechsel der Bundesregierung "ein Bremsklotz aus dem Weg geräumt", so die deutsche Kommissarin Monika Wulf-Matthies. Realistisch sei aber nur die längerfristige Verpflichtung auf eine höhere Beschäftigungsquote und zügigere Fortschritte bei unterstützenden Steuerreformen. Schon eine verbindliche Vorgabe für die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Innovation werde aber schwierig.

Auf dem EU-Gipfel im Dezember sollen jetzt die vagen Versprechen des Amsterdamers Vertrages für eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik konkretisiert werden. Eine gemeinsame Haltung von Blairs "New Labour" und "der neuen Mitte" in Bonn zu diesem Thema existiert bisher noch nicht.

Mit dem Regierungswechsel in Deutschland ist die Vorherrschaft des marktradikaler Ideologien in Europa beendet. Was aber an dessen Stelle tritt, das ist nach den ersten zwei Wochen mit Oskar Lafontaine als dem großen Zampano deutscher Wirtschaftspolitik unklarer als je zuvor.