PDS-MdB und EX-DDR-Radprofi Täve Schur gibt ein Interview

Volksgesundheit oder Degeneration

Ihr Parteichef hätte es gern gesehen, wenn Sie für Leipzig-Süd das Direktmandat geholt hätten. Ihre 26,1 Prozent reichten dafür nicht aus, das Mandat ging an die SPD. Enttäuscht?

Gysi ist ein absoluter Optimist. Aber da hat er ein bißchen zuviel von mir erhofft.

Kritiker werfen Ihnen vor, im Wahlkampf nur Autogramme geschrieben zu haben.

Der Werner Schulz von den Grünen hat das gesagt, und da hat er nicht ganz unrecht; ich mußte ständig welche schreiben, pro Tag 200, bei 100 Tagen Wahlkampf macht das 20 000. Ins Gespräch bin ich mit den Leuten aber auch gekommen.

In solchen Gesprächen sagen Sie manchmal, daß der Mauerbau gar nicht so schlecht war.

Ich habe nun mal meine persönlichen Ansichten, und die kann mir keiner nehmen. Da wird es meine Partei wohl mit mir nicht ganz einfach haben.

Gysi antwortete auf die Frage, warum er Sie im Bundestag sehen wolle, es gebe nicht nur eine gesetzgeberische, sondern auch eine repräsentative Funktion des Parlaments.

Hat er das gesagt? Der ist wohl verrückt! Na, wenn es nötig ist, würde ich da wohl mitgehen. Aber als Abgeordneter muß ich auch etwas schaffen.

Was wollen Sie denn schaffen?

Ich würde mich gern im Sportausschuß einbringen. Der Sport ist mein Ding. Gerade in Leipzig gibt es ja eine Menge zu tun. Die Radrennbahn muß dringend gemacht werden. Vielleicht kann man von Kohls versprochenen 100 Millionen für das Zentralstadion ein bißchen dafür abzwacken?

Sie fordern ein Grundrecht auf Sport. Wie ist das zu verstehen?

Im Grundgesetz ist Sport noch nicht verankert, der sollte da Eingang finden. Auf Landesebene müssen Sportförderungsgesetze her. Wir brauchen mehr Mittel für den Kinder-, Jugend-, Breiten- und Behindertensport. Wir müssen uns um die Volksgesundheit kümmern. Gegenwärtig sitzt ja fast jeder vor einem Computer! Wenn wir da nichts unternehmen, dann degenerieren wir.

Sie fühlen sich auch der Umwelt verplichtet, weil Sie die vom Fahrrad aus ganz gut kenngelernt haben. Nun sitzen die Grünen in der Regierung. Was ist an denen auszusetzen?

Die Grünen sind natürlich die Spezialisten. Man müßte sich hineinlesen, was sie alles angehen wollen. Das weiß ich jetzt nicht. Hoffentlich nicht noch mehr solcher unvernünftiger Dinge wie die fünf Mark für einen Liter Benzin.

Sie wollen auch das Zusammengehen von Ost und West fördern. Wie denn?

Das mache ich in bescheidenem Maße schon seit vier Jahren. Ich bin Cheftrainer in einem Radcamp in Italien. Dahin kommen 240 Leute mit Kindern, 60 Prozent aus den alten und 40 Prozent aus den neuen Bundesländern. Die verstehen sich. In körperlichen Auseinandersetzungen erkennt der Mensch sich sehr schnell. Wenn alle Politiker dieser Welt mal 100 Kilometer zusammen Rad fahren würden, dann würden sie zum Wohle der Menschheit ganz andere Entscheidungen treffen.

Also kollektiver Frühsport im Bundestag für ein harmonisches Miteinander und eine friedliche Politik?

(lacht) Vielleicht mit einigen Mitgliedern aus meiner Fraktion. Aber kein Fußball, das ist saugefährlich.

Kennen Sie schon die Höhe Ihrer Diäten?

Ich las was von 13 000 Mark pro Monat. Gysi hat schon gesagt, daß davon jeder aus der Fraktion grundsätzlich 3 000 Mark als Spende abführt. Das finde ich große Klasse.

Sie wollten doch sowieso alles, was über 5 000 bis 6 000 Mark geht, für gemeinnützige Zwecke spenden?

Das wird aber noch dauern. Ich bin nämlich etwas in Bedrängnis. Ich muß 9 400 Mark an Rente zurückzahlen, weil das falsch berechnet wurde.

Das Interview erschien zuerst in der Leipziger Stadtillustrierten Kreuzer, Nr. 11/98