Alternative Lebensformen

Katzen-Vokü in Friedrichshain

In Neukölln ist der Sozialcharakter des goldkettchentragenden Hundebesitzers aktenkundig, der am hellichten Tag seinen Köter vor den Eingang der nächsten Apotheke oder vor McDonald's führt. Anders im Ostberliner Bezirk Friedrichshain, der eher für seine arbeiterbewegte Tradition bekannt ist. (Selbst Lenin soll hier einmal, in der Frankfurter Allee, schräg gegenüber dem Ringcenter, bei Kaffee und Kuchen eingekehrt sein, wie eine Gedenktafel ausweist). Ungewöhnlich ist heute freilich eher die erstaunliche Liebe der Friedrichshainer zu den Katzen.

Hauchdünn wie Zartbitterschokoladentäfelchen, gehen sie durch jeden Kellertürfalz und lassen sich von niemandem kontrollieren. Auch bei uns im Hinterhof gibt es einige davon.

Die jüngste, ein getigerter Kater, war uns im Frühjahr wegen des ungewöhnlichen Halsbandes aufgefallen. Es bestand aus dem Schraubrand eines Gurkenglases. In der Öffnung, wohindurch einmal mit Gabel oder Löffel die Gurken gefischt wurden, stak jetzt der Hals des Tieres. Wir stellten uns vor, wie die Katze auf der Suche nach Eßbarem den Kopf in die Öffnung gesteckt hatte und, als sie sich zurückziehen wollte, das ganze Glas mitging.

Jedenfalls, das Gurkenglas ging wohl irgendwann kaputt, das Glashalsband blieb, und seitdem wird der Kater vom Haus durchgefüttert. Vor allem von den Frauen aus der Bäckerei unten, die jeden Tag Milch, Schinken und Käsehäppchen ausgeben. Da sich die Sache schnell herumsprach, standen plötzlich drei, vier Katzen Schlange.

Das ging so bis zum Spätsommer, als es unserem westdeutschen Hausbesitzer - der vornehinaus wohnt und für die Sozis im Bezirksparlament hockt - einfallen wollte, den Mietern die Fütterung zu untersagen. Für einige Tage blieb die Küche kalt. Nicht gerechnet hatte der Mann mit der List der Bäckersfrauen und mit der früh einbrechenden Dunkelheit. Seit Herbst findet die konspirative Essensausgabe ab 17 Uhr statt.

So wie in unserer Straße ließen sich leicht weitere Beispiele für die wunderbare Liebe zu den Katzen nennen. Etwa die rollstuhlfahrende Helga, die allnächtlich im östlichen Friedrichshain mit Einweggeschirr, Riesendosen und Familienpackungen Trockenfutter, Megaperls genannt, unterwegs ist. Die Dosen werden aus Spenden finanziert. Eine Art Volksküche auf Rädern. Und am nächsten Morgen sind die Hofeingänge mit schneeweißen Plastetellern übersät. Der Schrecken aller sozialdemokratischen Hausbesitzer.

P.S. Das Glashalsband ist inzwischen ab. Es wurde an einer Seite brüchig und zerfiel in zwei Teile, die immer noch im Hof liegen. Dem Kater geht es gut.