Fischer und die Nato-Kernwaffen

Minister-Mobbing

Läßt einer seinen Kollegen beim Chef ins offene Messer laufen, dann nennt man das im Berufsleben Mobbing. Praktizieren Politiker solche Methoden, will die Welt an niedrige Beweggründe nicht glauben. Dabei liegen die Fakten im Fall Fischer gegen Scharping seit über einer Woche auf dem Tisch. Der Bundesaußenminister hatte die Nato in einem Spiegel-Interview zur Reform ihrer Nuklearstrategie aufgefordert, die noch immer einen Erstschlag mit Kernwaffen erlaubt. Mittlerweile, so Fischer, sei Deutschland aber von Freunden umgeben, es stünden "nicht mehr Panzerdivisionen an der innerdeutschen Grenze, die innerhalb von 48 Stunden bis zum Kanal durchbrechen können".

Die Botschaft von der Attacke eines der stärksten Verbündeten auf die heilige Nuklearstrategie war bereits um den Erdball, als der Verteidigungsminister in Washington zum Antrittsbesuch aus einer Bundeswehrmaschine stieg. Aus war es mit der gemütlichen Routine-Reise, bei der verteidigungspolitische Kontinuität demonstriert werden sollte. Statt die Herzen zu erobern, mußte sich Scharping in Selbstverteidigung üben.

Das Pentagon gab in kühlem Ton Nachilfeunterricht für unsichere Kantonisten. Der Erstschlag mit Atomwaffen "ist integraler Bestandteil unseres strategischen Konzepts, und wir denken, es sollte genauso bleiben, wie es ist", dozierte Scharpings Amtskollege William Cohen. Gerade die "Zweideutigkeit" in der Frage des Einsatzes von Atomwaffen trage zur Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten bei. Mögliche Feinde mit biologischen oder chemischen Waffen würden bewußt "im unklaren" darüber gehalten, "was unsere Antwort sein könnte".

Was blieb Musterschüler Scharping übrig - er übte sich in Schadensbegrenzung. Die "Federführung" in Fragen der Nato-Strategie, betonte er, liege innnerhalb der Bundesregierung noch immer in seinen Händen. Und was den deutschen Part bei der nuklearen Abschreckung betreffe, würden die für Atomschläge einsetzbaren Tornado-Geschwader der Bundesluftwaffe nicht aufgelöst. 500 Atombomben lagern für derartige Aktionen noch in Europa.

Schon bei Fischers Antrittsbesuch in den USA hätte die rot-grüne Koalitionsvereinbarung zwischen ihm und US-Außenministerin Madeleine Albright stehen können oder müssen. Festgelegt wurde hier, daß sich die Bundesregierung zur "Umsetzung der Verpflichtung der atomaren Abrüstung aus dem Atomwaffensperrvertrag" für die "Absenkung des Alarmstatus der Atomwaffen sowie für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen" einsetzen wird. Doch als von ganz Washington beäugtes politisches Unikum schienen Fischer derartige Ausfallschritte offensichtlich wenig ratsam. Und die US-Amerikaner selbst nahmen zu diesem Zeitpunkt den deutschen Papierkram wohl nicht so ernst. Erst Fischers Versuch, tatsächlich in die Nato-Strategie hineinzureden, die im April verabschiedet werden soll, ließ das Pentagon undiplomatisch derb reagieren.

Der schnelle Rückzug des Außenministers deutet darauf hin, daß er sich ohnehin keine Erfolgschance ausgerechnet hatte. Unter Nato-Außenministern war ihm bereits signalisiert worden, daß die drei Atommächte den Ersteinsatz von Atomwaffen in der neuen Strategie stillschweigend fortschreiben wollen. So wandte Fischer sich nun plötzlich dagegen, die Diskussion über eine neue Nuklearstrategie "so hoch zu hängen". Bei einem "deutschen Sonderweg" in dieser Frage "wäre ich energisch dagegen", meinte er in Interviews. Abschreckung und politische Wirkung von Nuklearwaffen träten "mehr und mehr in den Hintergrund", tönte es nur noch leise. Schließlich einigten sich Fischer und der aus den USA zurückgekehrte Scharping letzte Woche, an einer gemeinsamen Position zu basteln, mit der man in die Verhandlungen zur Neubestimmung der Nato-Strategie gehen kann.

War das ganze also nur eine spektakuläre Turnübung für die grüne Basis, die demonstrieren sollte, daß da im Designer-Anzug wirklich noch ein Grüner steckt? Planungen der Nato, weltweite gemeinsame Interessen künftig auch ohne Uno-Mandat gemeinsam militärisch zu schützen, bleiben dabei außerhalb des grünen Zorns. Albright sieht die Allianz bereits als "Kraft für den Frieden vom Nahen Osten bis Zentralafrika". Hier deutet sich ein gemeinsamer Nenner mit Fischer an: Für ihn ist das Ja zum Kosovo-Einsatz ohne UN-Mandat akzeptabel, da man mangels aktueller Beschlüsse auf der Grundlage alter Sicherheitsratsbeschlüsse entschieden habe. Das aber sei ein Einzelfall. Einer, den der Chef des Nato-Militärausschusses, General Klaus Naumann, fast wie Fischer begründet: Da Rußland und China den Sicherheitsrat blockiert hätten, wurde eben "im Geiste der Charta der Vereinten Nationen" gehandelt.