Pack mir die Tüte, Kleiner!

Auch die neue Regierung will Billigjobs mit Kombilohn hoffähig machen.

Nehmen wir an, Sie stehen gegen 23 Uhr an der Kasse eines Supermarktes. Irgendwo zwischen Atlanta und New Orleans. Zum Beispiel in Montgomery, Alabama, der Stadt, in der sich vor gut vierzig Jahren die schwarze Rosa Parks weigerte, ihren Sitzplatz im Bus zugunsten eines Weißen zu räumen, und dafür vor Gericht gestellt wurde. Nun, gegen elf Uhr nachts interessiert Sie als deutscher Tourist die ganze Bürgerrechtlerei herzlich wenig, Sie wollen nur schnell mit Ihrem Einkauf ins nächste Motelzimmer. Da trifft es sich gut, daß sich bereits an der Kasse ein freundlicher junger Mann, mit einem Grinsen so breit wie sein Südstaatenakzent, an ihren Sachen zu schaffen macht und diese wohlsortiert in einzelne Plastiktüten verpackt.

Hier die Milchprodukte, dort Cornflakes und Toastbrot, dazu Gemüse, Würstchen und ein T-Bone-Steaks. Nur das Fläschchen kalifornischer Billigwein bleibt auf dem Band. A moment please, lächelt der Junge und verschwindet. Nach fünf langen Minuten kommt er wieder, offensichtlich in Begleitung der Store-Managerin. Und während Sie, lieber Tourist, noch darüber nachsinnen, ob Sie den ganzen Kram nicht hätten schneller in einen Karton packen können, hat die nette Dame längst das gute Tröpfchen in eine Extra-Tüte verstaut und sich wortlos entfernt.

Das ganze kann Ihnen hier in Deutschland natürlich nicht passieren, denn erstens ist es einem Unter-Einundzwanzigjährigen nicht verboten, eine Flasche Alkohol zu berühren, und zweitens haben die Herren vom Bündnis für Arbeit noch keine Sektkorken knallen lassen. Dann nämlich werden nicht nur neue Jobs als Tütenpacker bei Aldi, sondern noch viele andere in der Servicewüste Deutschland entstehen.

Vom Staat subventioniert, denn Arbeit zu finanzieren sei allemal besser als Arbeitslosigkeit, hören wir die alten wie die neuen Herren in Bonn tönen. Und da diszipliniert, wer subventioniert, werden Schröder und Lafontaine für ihren Beitrag zum Bündnis für Arbeit, das - koste es, was es wolle - ein Erfolg werden muß, einiges springen lassen. Zum Beispiel für staatliche Zuschüsse zum Niedriglohn, genannt Kombilohn. Eine Lieblingsforderung der Unternehmer, die sich davon die Etablierung eines breiten Niedriglohnsektors erhoffen. Das Prinzip ist einfach: Wenn ein Supermarkt beispielsweise nicht bereit ist, für den Tütenpacker mehr als 800 Mark brutto zu zahlen, stockt der Staat zeitweise das Salär so auf, daß es einigermaßen zum Leben reicht. Langfristig rechnete sich das auch für den Staat, da die Sozialkassen geschont würden.

Übrig bleiben die Kombi-Löhner. Sollten sie es nicht schaffen, eine besser bezahlte Stelle zu bekommen, werden sie sich mit dem Niedriglohn begnügen müssen, wenn der Staat den Geldhahn zudreht. Oder zurück in die Arbeitslosigkeit gehen, das heißt zum Sozialamt, da das Arbeitslosengeld sich nach dem Niedriglohn berechnen würde. Schon die alte Bundesregierung hat ein derartiges Kombilohn-Modell vorgelegt, mit dem nun auch Schröder und Lafontaine liebäugeln.

Wollte der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm die Löhne der Kombi-Beschäftigten noch so aufbessern, daß sie etwa ein Drittel über der ihnen zustehenden Arbeitslosenhilfe lägen, verfolgt die SPD-Spitze laut Spiegel ein leicht verändertes Konzept: Statt der Löhne möchten sie nur die Sozialbeiträge subventionieren.

Der Staat übernähme also die Zahlungen an die Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Vorteil: Die Staatsknete ginge nicht direkt an die Unternehmer, sondern flösse in die angeschlagenen Sozialkassen. Mit diesem Schachzug hofft die SPD-Spitze, die Kritiker in den eigenen Reihen und vor allem in den Gewerkschaften zu besänftigen. Schließlich sei, so der neue SPD-Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner, "ein staatlich geförderter Beschäftigungstopf für Geringqualifizierte in der Partei immer noch umstritten".

Dieses Konzept möchte Schreiner im Saarland zunächst einmal in einem Großversuch ausprobieren. Immerhin könnten ja die Unternehmer auf die naheliegende Idee kommen, ihre bisherigen Beschäftigten rauszuschmeißen und sie anschließend wieder staatlich subventioniert reinzuholen. Um solchen Mitnahmeeffekten zu begegnen, hat Schreiner vorsichtshalber Kontakt mit der Handelskammer, Gewerkschaften und politisch Verantwortlichen aufgenommen, die bereits vorsichtig ihre freundliche Mithilfe signalisiert haben sollen.

Auch in Bonn reagierte man auf den Spiegel-Bericht freundlich. In Regierungskreisen, so das Handelsblatt, heiße es dazu, die neue Regelung für die 620-Mark-Jobs sei gewissermaßen "nichts anderes als eine Vorstufe zum Kombilohn". Da bei diesen Beschäftigungsverhältnissen künftig auf die zwanzigprozentige Pauschalsteuer verzichtet werde - dafür sollen die Unternehmer statt dessen 22 Prozent vom Bruttolohn in die Sozialkassen abführen - handele es sich ja bereits um eine staatliche Subvention. Dieses Modell könne man ausweiten.

Zwar kritisieren die Gewerkschaften noch die Neuregelung zu den 620-Mark-Jobs als "unsinnig, ungerecht und unsozial", so HBV-Chefin Magret Mönig-Raane, oder als "wenig glücklich", so ÖTV-Chef Herbert Mai, da sie "ein Einfallstor für Arbeitgeber" schaffe, die Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse auszuweiten. Dennoch könnte das Bündnis für Arbeit so aussehen: Die Unternehmer bekommen den Kombilohn von der Regierung und Lohnzugeständnisse von den Gewerkschaften, die Gewerkschaften ein paar Ausbildungs- und Arbeitsplatzzusagen von den Unternehmern und der Regierung, und Schröder und Lafontaine profilieren sich als gütige Modernisierer. Nach dem Motto: Wenn es schon den meisten schlechter gehen wird, soll es wenigstens gerecht zugehen.

Ein Beispiel für ein Bündnis für Arbeit hat Herbert Mai schon im Öffentlichen Dienst ausgemacht, den Schröder wegen der "besonderen Sparzwänge" lieber außen vor lassen würde. Positiv sei, so Mai, daß im Verteidigungsminsterium die Zahl der Lehrstellen im kommenden Jahr erhöht werde: Immerhin von 1 300 auf 1 900.

Wenn die Bundeswehr noch etwas nachlegt, ist das Problem gelöst. Amerika hin, Bosnien her - so bleibt doch alles beim alten: Die Mama ganz allein packt wieder ihre Tüten ein.