Demokratisch für Kay Diesner

Der Berliner NPD/JN-Aufmarsch für ihren Vorständler Frank Schwerdt wurde zum Flop für die Neonazi-Szene

Vollmundig hatten NPD und JN einen Aufmarsch von rund 1 000 Neonazis für den inhaftierten NPD-Bundesvorstandsbeisitzer Frank Schwerdt in Berlin-Tegel angekündigt. Gekommen waren am Samstag vergangener Woche jedoch nur etwa 400 Rechtsradikale, angereist aus den nördlichen Bundesländern und dem Osten, unter ihnen viele führende Kader des militanten Neonazispektrums wie der Hamburger Thorsten de Vries, Jörg Hähnel aus Frankfurt/Oder und Christian Worch. Auch mit der geplanten Route durch ein Wohngebiet klappte es nicht wie vorgesehen: Aus Angst vor Gegendemonstranten verlegten NPD und JN in Absprache mit der Polizei die Aufmarschroute und verkürzten sie erheblich.

Ein ungewöhnliches Bild: Keine Spur von einem einheitlichen Marsch, wie man ihn von den glatzköpfigen Jungmännern und -mädels sowie den alten Kadern der NPD gewohnt ist. Schon von Anfang an gab es Streit, der im Verlauf der Aktion eskalierte. Freie Nationalisten aus Norddeutschland, deren Norddeutsches Aktionsplenum unter Führung von Christian Worch und Thomas Wulff zu den Erstaufrufern des Aufmarsches gehört hatte, entrollten ein überdimensionales Transparent mit der Aufschrift "Freiheit für Kay Diesner".

Mit dieser Huldigung an den wegen Polizistenmordes und versuchten Mordes an einem PDS-Buchhändler verurteilten Neonazi zogen sich Worch und Wulff den Ärger der versammelten NPD- und JN-Führungsspitze zu. Insbesondere Nazianwalt Hans-Günther Eisenecker, Vorsitzender der NPD Mecklenburg-Vorpommern und Bundesvorstandsmitglied der Partei, wollte das Transparent um jeden Preis entfernt wissen. Er forderte sogar die Polizei auf einzugreifen. Die aber weigerte sich. Statt dessen rief der JN-Vorsitzende Holger Apfel über den Lautsprecherwagen zu einer Abstimmung über den weiteren Verbleib des Transparents auf und erlitt eine peinliche Niederlage: Gerade einmal 50 der 400 Neonazis wollten das Spruchband nicht im Aufmarsch haben.

Damit zeigte sich erneut der immer stärker werdende Einfluß der Freien Nationalisten und ihrer militanten Strategie. Und es wurde Christian Worchs Bedeutung für die Basis der NPD deutlich: Der Neonazi hatte zuvor - ebenfalls über Lautsprecherwagen - die Partei heftig wegen ihrer angepaßten Linie kritisiert und Solidarität mit Kay Diesner gefordert.

Schon im Vorfeld der Aktion hatte es Zoff bei der NPD gegeben. Der Berliner NPD-Landesverband unter Führungskader Andreas Storr hatte seine Unterstützung verweigert. So blieb, wegen seiner engen Bindung zu Worch, Anti-Antifa-Aktivist Oliver Schweigert einer der wenigen Führungskader aus Berlin, die den Aufmarsch unterstützten und daran - ebenso wie einige junge Neonazis aus dem Spektrum der Unabhängigen Kameradschaften - teilnahmen.

Berlin bleibt auch nach dem vergangenen Samstag ein schwieriges Pflaster für Neonaziaufmärsche - trotz tatkräftiger Unterstützung von seiten der Innenverwaltung und der Polizei. Sei es in Berlin-Hellersdorf Anfang 1997 oder am 20. Juni dieses Jahres - ohne massiven Polizeischutz und umgelegte Routen wären die Nazis nie besonders weit gekommen.

Auch vergangene Woche gab sich die Polizei alle Mühe, um AntifaschistInnen zu behindern. Zunächst wurden zwei Kundgebungen verboten, die von einem PDS-Abgeordneten und dem stellvertretenden PDS-Bürgermeister von Prenzlauer Berg angemeldet worden waren. Während den Antifa-Aktionen kesselte die Polizei TeilnehmerInnen einer der Kundgebungen über einen geraumen Zeitraum ein und nahm elf Beteiligte fest. Zwei Anmelderinnen von Bündnis 90/Die Grünen stellten schließlich Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt, weil die Polizei sich weigerte einzuschreiten, als nationalsozialistische Parolen gerufen wurden.

Das Berliner Bündnis gegen Rechts, das zu den Aktionen aufgerufen hatte, wertete die TeilnehmerInnenzahl - rund 800 AntifaschistInnen hatten den Weg nach Tegel gefunden - und auch die Tatsache, daß die Neonazis ihren Aufmarsch nicht wie geplant durchführen konnten, als einen Teilerfolg, auch wenn das Ziel, den Naziaufmarsch effektiv zu verhindern, nicht erreicht werden konnte.