Ritt auf dem Tiger

Der Mystiker und Kulturphilosoph Julius Evola erlebt eine Renaissance in der deutschen Rechten

Die Beisetzung ihres Meisters erledigten die Jünger Julius Evolas standesgemäß: Wie von dem italienischen Kulturphilosophen und Esoteriker gewünscht, übergaben sie die Asche des "faschistischen Gurus" (Umberto Eco) am 26. August 1974 dem ewigen Eis des Gletschers Monte Rosa.

Vierundzwanzig Jahre später erlebt der von italienischen Rechtsextremen seit Jahren verehrte Neuheidnianer auch in Deutschland eine Renaissance. Am 19. Mai dieses Jahres wäre Evola hundert Jahre alt geworden. Das Jubiläum ist den Intellektuellen der extremen Rechten seit dem Frühjahr Anlaß, dem Klassiker der rechten Anti-Moderne die Ehre zu erweisen.

Doch nicht nur die rechten Blätter Critic-n, Nation und Europa und Junge Freiheit entdeckten Evola dieses Jahr neu. Mit einer dem Philosophen gewidmeten CD ist auch die Dark-Wave-Szene dabei, Evola zu huldigen. So legte der Herausgeber des neuheidnischen Fanzines Sigill und Musikverleger Stephan Pockrandt nun einen CD-Sampler vor, dessen Titel Evolas letzter große Veröffentlichung entliehen ist: "Cavalcare la Tigre" ("Den Tiger reiten"). Unter dem Pockrandt-Label "Licht und Eis" haben neben weiteren Dark-Wave-Bands die Gruppen Allerseelen, Waldteufel und Blood Axis zusammengestellt, was das Allerseelen-Mitglied Adam Kadmon schon vor zwei Jahren als einen "Ahnenstern über Julius Evola" angekündigt hatte.

Im Booklet der CD erläutert Martin Schwarz, unter anderem Autor des NPD-Blatts Deutsche Stimme, weshalb auch die Dark-Waver sich Evola zum Leitstern auserkoren haben: "Nicht eine bestimmte Meinung und nicht ein spezielles Wissen sind es, die Evolas Leben vor allem geprägt haben, sondern eine Haltung. Die Haltung des AUFRECHT BLEIBENS" trotz "des Rationalismus, der Seichtheit des Pöbels" der Moderne.

Schon im Juni hatte einer der führenden neurechten Theoretiker, Karlheinz Weißmann, in der Zeitschrift Gegengift ausgeführt, daß der in dadaistischen Zirkeln verkehrende Evola vor allem die "transzendenten Bindungen des Menschen" suchte, da er davon ausgegangen sei, daß diese bereits in der Vergangenheit, in den traditionellen Kulturen, vorhanden waren: In Europa jedoch, so Weißmann, sei diese Tradition "mit dem Beginn der Moderne" erloschen.

In der Frühjahrsausgabe des Critic-n verwies Weißmann darüber hinaus auf die Aspekte eines "Anarchismus von rechts", die sich in Evolas Texten wiederfinden ließen. So besitze der Italiener wie kein anderer das "Wissen um die Wiederkehr des Ewiggleichen" und die "gelungenste Geste", die alles und jeden verachtet - für Weißmann ebenso wie Schwarz die "Essenz des Anarchismus".

In seinem "Heidnischen Imperialismus" hatte Evola 1928 verkündet: "Wir rufen auf zu einer entschlossenen bedingungslosen integralen Rückkehr zur nordisch-heidnischen Tradition. Wir machen Schluß mit jedem Kompromiß, mit jeder Schwäche, jeder Nachsicht gegenüber allem, was von der semitisch-christlichen Wurzel" herkommt: "Anti-Europa, Anti-Semitismus, Anti-Christianismus - das ist unsere Losung."

So wenig diese Feindbestimmung Evolas und sein Kampfauftrag bei Weißmann und Schwarz erwähnt werden, so sehr betonen sie, daß Evola den Übergang von der traditionellen zur modernen Welt aus der Sicht des "Traditionalismus" - als Verlust der transzendentalen Dimension - beschrieb.

Evola freilich ging über das Beschreiben weit hinaus. Unter Mussolini veröffentlichte er in der regimetreuen Il Regime Fascista und beteiligte sich am Aufbau der Kaderschule "Socula Mistica del Fascismo". In "Revolte gegen die Moderne" (1934) rief er zum Aufstand gegen die "neuen Werte" auf: "Die Vorstellung, daß der Staat seinen Ursprung im Demos hätte (...), ist eine ideologische Perversion". Deshalb sei ein sakral legitimiertes Kastenwesen und Königtum notwendig: "Die Aufteilung der einzelnen Menschen auf Kasten (...) findet sich mit feststehenden Grundzügen in jeder höheren Form traditioneller Kultur."

Neben der "Revolte gegen die Moderne" beziehen sich die Evolianer immer wieder auf sein "Menschen inmitten von Ruinen" (1953), in dem er schrieb: "So ist jede Demokratie in ihrem eigenen Prinzip eine Schule der Immoralität, eine Beleidigung der Würde und der inneren Haltung."

Der in "Den Tiger reiten" gelieferten Aufforderung "Handle so, daß dasjenige, dem Du nichts anhaben kannst, auch Dir nichts anhaben kann" bedienen sich nicht nur die neurechten Theoretiker, auch Dark-Wave-Bands wie Forthcoming Fire und Weissglut greifen diese Maxime in ihren Texten auf: Der Tiger müsse vorsichtig geritten werden, nur wer sich dabei auf dem Rücken hält, kann seinen Zähnen entgehen.

Die deutsche Übersetzung des Werks erschien erst 1997 im Esoterik-Verlag Arun des ehemaligen Junge Freiheit-Mitarbeiters Stefan Ulbrich. Seine Verbindungen in die Esoterik-Szene reichen weiter: Bevor er Arun gründete, leitete er mit dem Ansata-Verlag einen der Branchenführer des Esoterik-Buchhandels, der außerdem die Zeitschrift Revolte herausibt. Inzwischen hat der Ansata-Verlag auch Evolas "Grundlegung der Initiation" in sein Programm aufgenommen.

"Wer es sich leicht machen will, qualifiziert ihn als 'Faschist'", brachte Weißmann die Verharmlosung Evolas durch die neue Rechte in Critic-n auf den Punkt. Die Renaissance Evolas geht einher mit der Relativierung seines mystischen Faschismus.