Udo Steinbach

»Die militärische Option ist nicht sinnvoll«

Die Begründungen für die US-amerikanischen und britischen Militärangriffe auf den Irak in der vergangenen Woche waren einfach: "Es geht um die Zerstörung der Fähigkeit des Irak, Massenvernichtungsmittel herzustellen" (US-Präsident Bill Clinton); "Die Raketen und Bomben der 'Operation Wüstenfuchs' zielten allein auf militärische Objekte" (US-Verteidigungsminister William Cohen). Eines kommt jedoch nicht vor: Das noch während der letzten Irak-Krise vor vier Wochen von britischen und US-Politikern formulierte Ziel, Saddam Husseins Regime müsse endlich gestürzt werden. Udo Steinbach ist seit 1976 Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Er ist Autor und Mitherausgeber der Handbücher "Der Nahe und Mittlere Osten" sowie "Der Islam in der Gegenwart".

Welchen politischen und militärischen Nutzen versprechen sich Briten und US-Amerikaner von den Bombardements der irakischen Militäreinrichtungen? Ist es überhaupt realistisch, sämtliche irakischen Rüstungsbetriebe und Giftküchen mit einem Schlag beseitigen zu wollen?

Die militärische Option ist natürlich nicht sinnvoll. Und sie hat zunächst wegen der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates auch ein legitimatorisches Problem. Bei der Zerstörung von irakischen Armee-Einrichtungen sollte man unterscheiden: Einerseits gibt es militärische Potentiale, die man gewiß nicht flächendeckend zerstören kann. Das andere sind die "Waffenküchen", die aber keine großen Anlagen darstellen. Die Raketen und die nuklearen Waffen sind zwar mit Sicherheit zerstört. Worum es jedoch vor allem geht, sind die Laboratorien, in denen chemische und biologische Kampfstoffe produziert werden.

Und wenn die schon von den UN-Inspektoren - bei all ihren Bemühungen - nicht gefunden werden konnten, wie sollte man sie dann militärisch treffen?

Geht es denn darum überhaupt?

Ich glaube nicht. Es ist vielmehr das militärische Ziel, alle Einrichtungen zu zerschlagen, die irgendwie mit der Legitimation des Regimes in Verbindung gebracht werden: Wenn die Bevölkerung keinen elektrischen Strom mehr hat, wenn die Leute nicht mehr telefonieren können, kurzum: wenn nichts mehr funktioniert, dann hat das Regime nichts mehr zu bieten. Politisch hat es ja ohnehin nichts anzubieten. Wenn nun aber auch noch die materielle Komponente hinzukäme, könnte das Emotionen hervorrufen, die sich schließlich gegen das Regime wenden. Ich denke, daß die Überlegungen der Amerikaner in diese Richtung gehen.

Der "Nationale Irakische Kongreß" unter seinem Präsidenten Ahmed Chalabi mit Sitz in London wird bereits als potentieller Nachfolger der Baath-Partei und des irakischen Diktators gehandelt. Welches politische Gewicht kommt in der gegenwärtigen Situation der exil-irakischen Opposition zu?

Diese Leute sind seit Jahren außer Landes und haben keinerlei Verbindungen mehr zum Irak. Sie werden auch nicht diejenigen sein, die den Machtwechsel herbeiführen. Ich kann mir da nur politische Kräfte innerhalb des Irak vorstellen, vielleicht Teile der Armee, die diesen Machtwechsel vollziehen könnten. Man muß bedenken, daß der "Nationale Irakische Kongreß" ein Sammelbecken unterschiedlichster ideologischer Strömungen repräsentiert. Er besteht aus Kurden und Arabern, Islamisten und Kommunisten, abtrünnigen Baath-Anhängern und anderen. Die USA wollen diese Opposition mit rund 97 Millionen Dollar fördern. Aber auch eine massive amerikanische Unterstützung wird die Erfolgsaussichten dieser Opposition nicht verbessern.

Kann denn Saddam Hussein im Falle weiterer Luftangriffe und verschärfter Wirtschaftssanktionen gegen den Irak noch auf die Loyalität seiner Streitkräfte zählen?

Die Masse der Armeeangehörigen oder besser: Die republikanische Garde steht klar hinter dem Diktator. Vielleicht nicht die Sicherheitsagenten, die man in Bagdad unter jeder Brücke sieht und die in lausigen Quartieren wohnen. Aber sehr wohl die gut bezahlten Söldner der republikanischen Garden, die extra zum Schutz des Regimes abgestellt worden sind. Mittlerweile wird in Berichten jedoch bestätigt, daß es in den vergangenen Jahren gelegentlich zu Säuberungen und Erschießungen gekommen ist - wahrscheinlich als Reaktion auf Putschgerüchte oder -absichten. Ich könnte mir daher folgendes Szenario vorstellen: Wenn das irakische Regime durch anhaltende amerikanische Bombardements hinreichend destabilisiert ist, könnten politische Kräfte ihren Spielraum dahingehend erweitern, Saddam Hussein tatsächlich auszuschalten. Vielleicht haben sie dabei sogar im Blick, daß sie in die Fußstapfen Husseins treten würden.

Was könnte die Führung in Bagdad nach den Luftangriffen der Briten und Amerikaner noch zu einer Kooperation mit den Vereinten Nationen bewegen? Befindet sich die UN-Mission nach dem Militärschlag gegen Bagdad nicht in einer Sackgasse?

Sackgasse würde ich das nicht nennen. Wir haben den Generalsekretär der Vereinten Nationen nach der Militäraktion sagen hören, daß dieser Angriff ein Unglück für die Uno und für die gesamte Welt darstellt. Und Kofi Annan weiß, wovon er redet. Denn er hatte bereits im vergangenen Februar Erfolg gehabt, als die Konstellation mit der aktuellen vergleichbar war. Damals war er in letzter Minute nach Bagdad gereist und hatte eine alternative Option mitgebracht: daß man auf der strikten Einhaltung der Resolution bestehen würde, was die Abrüstung betrifft.

Zugleich machte er aber deutlich, daß bei einer Kooperationsbereitschaft des Irak eine Aufhebung der Sanktionen definitiv und bindend in Aussicht gestellt werde. Wenn diese Anregung aufgegriffen worden wäre, stünden wir heute ganz anders da. Dann gäbe es auch für Saddam Hussein keinen Anlaß mehr, sich derart halsstarrig zu verhalten, wie wir ihn erlebt haben. Aber dies ist von der amerikanischen Politik nicht aufgegriffen worden - im Gegenteil: Man hat Annan immer als einen Störenfried von US-Interessen angesehen. Wie anders hätte sich der Mann verhalten sollen, wenn ihm die Amerikaner immer wieder sagen: "O.k., Abrüstung ist die eine Seite, aber die Abschaffung des Regimes ist die andere."

Angesichts der Tatsache, daß auch in anderen Krisenregionen an der Herstellung chemischer, biologischer und atomarer Kampfstoffe gearbeitet wird, stellt sich die Frage, warum ausgerechnet beim Irak so vorgegangen wird.

Nun, natürlich ist der Irak ein recht gefährlicher Staat in der Region. Zweimal hat Saddam Hussein einen Krieg vom Zaun gebrochen: 1980 gegen den Iran und zehn Jahre später gegen Kuwait. Iran ist gewiß ein Fall für sich, denn die dortige Führung zieht ja, was das Atomprogramm angeht, mittlerweile auch die Aufmerksamkeit der USA auf sich. Aber da ist man noch nicht soweit, daß eine akute Gefahr zu bekämpfen wäre. Diese akute Gefahr besteht aber, was den Irak betrifft. Insofern verwundert es nicht, daß hier besonders aufmerksam auf bestimmte Entwicklungen geachtet wird.

Wie interpretieren Sie die bisherigen Reaktionen der arabischen Staaten auf den Militärschlag gegen Bagdad?

Obwohl das von Land zu Land verschieden ist, lassen sich generell zwei Grundhaltungen feststellen: Einerseits wird die gesamte Krise Saddam Hussein zugeschrieben, um die Amerikaner zu entlasten. Andererseits herrscht natürlich tiefe Besorgnis darüber vor, daß eine neue Instabilität in ihren Ländern entstehen könnte. Beispiele hierfür sind sowohl König Hussein von Jordanien als auch Ägyptens Präsident Hosni Mubarak. Beide befürchten, daß es dem irakischen Diktator - wie schon während des Zweiten Golfkrieges - gelingen könnte, die Massen zu mobilisieren und für Unruhe in ihren Ländern zu sorgen.