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Spitzendecken auf massivem Eichenimitat, rustikale Sessel, braune Schränke, ein braune Schränke, ein Schreibtisch im Format einer Barrikade. Und dahinter: der Notar. So muß es hier schon 1935 ausgesehen haben, denken die Jungle Worldler, bevor sie bis zum Hals in dem Sofapolster versinken. "Papiere, Satzung, Ausweis - allet schön abjejem?" Die Frage läßt der Delegation das Blut gefrieren. Eingeschüchtert versinkt sie noch tiefer in ihren Sitzen, bis der Geschäftsführer tapfer das Wort ergreift: "Alles ordnungsgemäß erledigt. Jetzt fehlt nur noch die Bestätigung." Gutmütig lehnt sich der Notar zurück. "Sie ham ja nochmal Jlück jehabt. Ein paar Minuten später, und det wär richtig teuer jeworden. Sie wissen ja: Ab 18 Uhr jibt's 60 Mack Nachtzuschlag."

Dankbar nicken die Jungle-World-Leute, doch kurz darauf, als sie bereits Gesellschafter geworden sind, kommen sie ins Grübeln. Nachtzuschlag? Wie sollen Menschen, die gegen 18 Uhr erst richtig wach werden, auf sowas kommen? Erfreut über das unverhoffte Glück verjubelt man anschließend die gesparten 60 Mark.

Grund zum Feiern gibt es ja genug: Aus vor die Tür gesetzten Linksradikalen sind mit einem Federstrich Unternehmer geworden. Aber GmbH (immerhin keine GmbH & Co. KG), das kann natürlich erst der Anfang sein.

"Ja, sind die denn größenwahnsinnig geworden?" werden Sie aufstöhnen. "Vor nicht allzu langer Zeit hieß es noch, man werde mit vorgehaltener Rechnung zur Zahlung von über 40 000 Mark erpreßt, und nun verjubeln dieselben Typen ihr Taschengeld!" Nun ja, ein wenig Übermut werden Sie uns vielleicht gönnen, liebe Leserin, lieber Leser. Die 40 000 Mark (s. Jungle World, Nr. 52/1/1997) werden uns übrigens immer noch abverlangt; Gerichte mahlen langsam. Nachdem die Gegenseite - die poststalinistische Tageszeitung junge Welt, Sie erinnern sich - einen Vergleich hat platzen lassen, wird über ihre phantasievoll zusammengestellte Forderung und unsere offenen Lohnforderungen im nächsten Jahr verhandelt werden.

Aber es gibt noch etwas anderes im Leben einer Redaktion als ihr Vorleben. Immerhin steuern wir auf unseren dritten Jahrgang zu, mit ganz guten Aussichten. Da darf man doch mal an die Zeiten zurückdenken, als wir bei Behnkens zu Hause auf dem Balkon saßen und die erste Ausgabe konzipierten. Oder an die Zeiten, als wir jeden anpumpten, der uns begegnete, und als wir kaum dazu kamen, uns zwischen zwei Artikeln die Nase zu wischen. Inzwischen dürfen wir wieder unseren Dispokredit überziehen und sind sogar schon mit der ganzen Redaktion in Urlaub gefahren: Dänemark, Sm¿rrebr¿d, mein Gott, das ist schon wieder so lange her. Und wir haben soviel Muße, nicht nur ein Requiem für Dieter Kunzelmann abzuhalten, sondern auch die vernichtenden Kritiken der neidischen Konkurrenz zu lesen (lieber Reiner Schweinfurth vom Tagesspiegel: Wer wie Sie Saint-Sa'ns von Messiaen nicht unterscheiden kann, ist deshalb nicht gleich ein junger Hüpfer - aber wir glauben Ihnen, daß Sie Jimi Hendrix kennen).

Aber den Blick nach vorn! Das nächste Jahr! Da werden wir Sie mit einem veränderten Konzept überraschen! Halten Sie es bis dahin noch aus? Vielleicht lenkt Sie die Lektüre der folgenden Seiten ab. Ansonsten ahoi und guten Rutsch. Und: Die nächste Nummer erscheint am 6. Januar 1999.