Pornographie wird männlich

PorNo soll Gesetz werden. Über die fatalen Effekte der geplanten Neudefinition von Pornographie auf feministische und lesbische Repräsentation

"Frauen und Kinder zuerst!" ist das heimliche Motto einer nur sehr zögerlich in Gang kommenden Anti-Pornographie-Kampagne von Emma und einem überparteilichen Bonner Frauenbündnis. Noch im Vorwahlkampf von Alice Schwarzer initiiert, trat das Frauenbündnis Anfang April dieses Jahres mit der Forderung nach einer gesetzlichen Neudefinition von Pornographie an die Öffentlichkeit. Der parteienübergreifende Gruppe, der u.a. Christine Bergmann, Andrea Fischer, Michaela Geiger, Rita Süssmuth und Alice Schwarzer angehören, setzt sich für eine geschlechts- und altersspezifische Neudefinition von Pornographie ein.

Die Anti-Pornographie-Kampagne soll nach der Konsolidierungsphase der neuen Regierung anlaufen. SPD-Familienministerin Christine Bergmann und Alice Schwarzer zeigen sich äußerst entschlossen; Emma regt bereits zu lokalen Kampagnen und Aktionen gegen Pornographie an: Das nächste Jahr wird also voraussichtlich eine Neuauflage der Anti-Pornographie-Kampagne von 1987/88 bringen. Damals scheiterte Emma mit einem von der US-Amerikanischen Juristin Catherine MacKinnon ausgearbeiteten Gesetzentwurf für eine zivilrechtliche Regelung und eine Neudefinition von Pornographie.

Diese US-amerikanische Fassung liegt auch dem aktuellen Vorstoß zugrunde. Diesmal aber beschränken sich die Forderungen Christine Bergmanns (Spiegel, Nr. 46/98) lediglich auf die Übernahme der MacKinnonschen Neudefinition von Pornographie im Strafgesetzbuch. Diese Strategie könnte auch auf Grund der veränderten Machtverhältnisse erfolgreich sein - mit womöglich einschneidenden Folgen für feministische, lesbische Repräsentationen und Politik.

Der Strafbestand "Verbreitung pornographischer Schriften" ist bisher mit dem Paragraph 184 des Strafgesetzbuches unter "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" geregelt. Definiert wird Pornographie dort u.a. als Sammelbegriff für Darstellungen, die "ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielen, und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten". Diese unpraktikable, da vage und moralisierende Definition wird seit ihrer Einführung von RechtsexpertInnen heftig kritisiert. Als pornographisch gilt daher außerdem "eine grobe Darstellung des Sexuellen in drastischer Direktheit, die in einer den Sexualtrieb aufstachelnden oder die Geschlechtlichkeit in den Schmutz ziehenden oder lächerlich machenden Weise den Menschen zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung jedweder Art degradiert."

Faktisch definiert dieser Absatz des Strafgesetzbuches damit Pornographie als Verstoß gegen die Menschenwürde, die in der praktischen Umsetzung dieser Formulierung durch die Landesmedienanstalten als Verstoß gegen die Würde der Frau gewertet wird. Nacktheit und das explizite Zeigen von Geschlechtsorganen oder Geschlechtsverkehr dagegen ist genauso wenig wie "die Darstellung homosexuellen oder lesbischen Verkehrs oder von Voyeurszenen" ausschlaggebendes Kriterium für Pornographie, so Tröndles Kommentar zum Strafgesetzbuch.

Abgesehen davon, daß Emma und das Frauenbündnis bereits den Besitz von Pornographie strafbar machen wollen, unterscheidet sich ihre Gesetzesinitative vom bestehenden Recht darin, daß die geschlechtsspezifischen Implikationen und der "Verstoß gegen die Menschenwürde" explizit gemacht werden soll. Die angestrebte Neudefinition ersetzt die geltenden geschlechtsneutralen Formulierungen durch eine geschlechtliche und altersspezifische Bestimmung. Neben einem Geschlecht und einem Alter soll die Pornographie außerdem eine neue Funktion bekommen.

Nicht das Zeigen von Geschlechtsakten zur Erzeugung eines sexuellen Reizes ist demnach pornographisch, sondern bereits das Zeigen von sexualisierten Akten, weil sie zur Perpetuierung von hierarchisierten Geschlechts- und Altersunterschieden beitrügen. Pornographie soll neudefiniert werden als "die verharmlosende, verführerische oder verherrlichende, in jedem Fall aber deutlich erniedrigende sexuelle Darstellung in Text oder Bild von Kindern" - im 87/88er Entwurf hieß es noch "Mädchen" - "oder Frauen, bei denen die Sexualobjekte: Erniedrigung, Verletzung oder Schmerz zu genießen scheinen; vaginal, anal oder oral vergewaltigt werden; geschlagen, gefesselt, mißhandelt, verletzt, verstümmelt, getötet oder auf andere Weise Opfer von Zwang und Gewalt werden." (Emma, Mai/Juni 1998)

Das Frauenbündnis scheint sich über diese strafrechtliche Neudefinition, nicht aber über eine zivilrechtliche Regelung einig zu sein. Während Emma in auffallend schwammiger Weise von der Forderung nach einer zusätzlich zur strafrechtlichen zu schaffenden zivilrechtlichen Regelung schreibt, spricht Christine Bergmann im Spiegel lediglich von der strafrechtlichen Neudefinition. Eine zivilrechtliche Regelung, die Frauen und frauenpolitischen Verbänden eine Klage gegen Porno-ProduzentInnen und HändlerInnen ermöglichen soll, wurde in der 87/88er Kampagne allgemein und parteiübergreifend begrüßt aber als unpraktikabel eingeschätzt.

Zu befürchten ist, daß es auf Initative von Emma und dem Frauenbündnis tatsächlich zu einer strafrechtlichen Neudefinition von Pornographie ohne die Einräumung einer zivilrechtlichen Klagemöglichkeit kommt. Diese Situation wäre vergleichbar mit derjenigen in Kanada.

1992 änderte der kanadische Supreme Court die strafrechtliche Definition von Pornographie in eben genau der aktuell geforderten Weise ab. Als erniedrigende Darstellung von Frauen gelten vielen homophoben und antifeministischen kanadischen Regierungsbeamten vor allem lesbische und feministische Texte und Bilder. Das Urteil "wurde ausschließlich dazu benutzt (Ö) ,um lesbisches, schwules und feministisches Material zu beschlagnahmen". (Feminist Bookstore News, März/April 1993) Mehr als die Hälfte aller feministischen Buchläden waren in den ersten zweieinhalb Jahren nach der Gesetzesänderung von Beschlagnahmungen betroffen. Auch zwei Romane von Andrea Dworkin, Mit-Autorin des Gesetzesvorschlages und vehemente Pornogegnerin, wurden vom kanadischen Zoll einbehalten. Weder Emma noch das Frauenbündnis können davon ausgehen, daß ihre Neudefinition von Pornographie in der BRD in einer feministischen und lesbenfreundlichen Weise verstanden wird. Am Ende bleibt die Bestimmung von "Erniedrigung" Auslegungssache und unterliegt einer patriarchalischen Subjektivität.

Die vorgeschlagene Neudefinition von Pornographie hätte nicht nur Auswirkungen auf die Zirkulation von Text- und Bildmaterial, auch für feministische Politik hätte sie in jedem Fall fatale Effekte - steht doch die Definition von Frauen und Kindern auf dem Spiel. Mit der Vergeschlechtlichung von Pornographie sind schließlich bestimmte politische Ziele verbunden, die über einen Schutz von Frauen und Kindern vor sexueller Gewalt hinausgehen. Emma und das Frauenbündnis gehen davon aus, daß Pornographie Ursache und Beweis zugleich für die Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder ist. "Der pornographisierte Mann, in dessen Begehren Lust und Gewalt verknüpft sind, scheint kaum noch zu stoppen zu sein." (Emma, Mai/Juni 1998) Pornographie wird damit nicht nur zu der gesellschaftlichen Institution, die für männliche Gewalt gegen Frauen und Kinder verantwortlich ist, sondern auch zur Trennlinie zwischen einer männlichen und einer weiblich-kindlichen Geschlechtsposition: aktiv-pornographisiert der Mann-Täter, passiv-pornographisiert die Frau, das Kind, das Opfer. Schwule, transvestitische, transgeschlechtliche, hermaphroditische Geschlechtsidentitäten werden durch diesen rein heteronormativ-zweigeschlechtlichen Ansatz ausgelöscht.

Der Gedanke, daß Pornographie Männer zu Tätern macht und Frauen zu Opfern, geht auf Catherine MacKinnon zurück, die die von Emma und dem Frauenbündnis geforderte Pornographiedefinition ausgearbeitet hat. MacKinnon argumentiert sprechakttheoretisch, daß Pornographie Frauen zu dem mache, wie sie in der Pornographie dargestellt werden.

Bei MacKinnon mischt sich der Gedanke der Performativität von Geschlecht mit der essentialistischen Grundannahme, Sexualität sei männlich und Ursprung allen Übels. Sie reduziert damit Frauen auf einen reinen Opferstatus. Was eine Frau ist, wird damit restlos von der männlichen Sexualität bestimmt. Frau-Sein ist von der Pornographie determiniert. Allein der Staat mit seinen Gesetzen kann die Frau aus ihrem Opferstatus befreien. Was der Frau an Handlungsfähigkeit fehlt, wird der Souveränität des Staates zugeschlagen. In der Frauenbündnisvariante des MacKinnonschen Gesetzesentwurfes werden Frauen durch die Koppelung "Frauen und Kinder" zusätzlich verkindlicht und Kinder verweiblicht. Weiblichkeit steht dabei für Verletzbarkeit und einen pornographischen Opferstatus.

In den USA gibt es einen breiten Widerstand gegen diese Art von Pornodeterminismus. "Wir (Frauen) sind, schlicht gesagt, nicht die Phantasmen der Pornographen. Wir wollen nicht, daß der Gesetzgeber ihre Phantasmen als die Wahrheit unseres 'Seins' anerkennt", entgegnet denn auch Drucilla Cornell auf die MacKinnonsche Gesetzesinitative. Auch Judith Butler wehrt sich gegen die Vorstellung, Pornographie konstruiere die Realität dessen, was eine Frau ist. Pornographie stellt für Butler uneinnehmbare Geschlechtspositionen in einer Ersatzphantasie dar. Diese uneinnehmbaren Geschlechterpositionen aber seien für die soziale Realität nicht konstitutiv. Gerade aus dem Verfehlen einer konstitutiven Wirkung ergebe sich die phantasmatische Kraft der Pornographie.

Pornographie sei kein souveräner Schöpfer sozialer Realität, da sie lediglich idealtypische und daher nie tatsächlich erreichbare Geschechternormen zitiere und übertreibe. Pornographie sei also durch das permanente Scheitern ihrer Sprechakte gekennzeichnet. Aus diesem Grund übe sie einen großen Reiz auf Männer aus, die immer wieder hoffen, daß der Sprechakt gelingen möge und Frauen tatsächlich so werden wie in der Pornographie.

Mit der angestrebten gesetzlichen Neufassung bekommt Pornographie in ihrer Form als gesetzliche Kategorie aber nun genau die Macht zu bestimmenn, was eine Frau ist. Auch ist bezeichnend, daß diese festschreibende gesetzliche Kategorisierung von Pornographie und damit von Frau-Sein ausgerechnet von Emma mit ihrem Anspruch auf Allein-Vertreterschaft von Frauen vorgebracht wird.

Nun ist bereits eine juristische Festschreibung des Seins der Frau für sich genommen ein feministischer Alptraum. Liegt dieser juristischen Definition des Frau-Seins aber zusätzlich Pornographie und die Idee einer essentiell männlichen Sexualität zugrunde, so könnte dies zu einem enormen Hindernis für eine anti-essentialistische, Identitäten und ihre Konstituierungsprozesse kritisch hinterfragende feministische Politik werden.