Same Old Deal Again

Eine ideologiekritische Linke kann sich nicht positiv auf Staat und keynesianische Regulation beziehen.

In den Medien wurde in den letzten Jahren immer wieder das Klagelied gesungen, daß die Politik im Zeitalter der Globalisierung verschwunden sei. Nun begrüßt man einen Paradigmenwechsel: Die gesamtwirtschaftliche Vernunft werde wiederentdeckt, statt einem blinden Marktradikalismus zu huldigen. Auch in der Linken hat der Neoliberalismus eine steile Karriere zum Hauptfeind der Menschheit hinter sich, und entsprechend freuen sich manche, daß jetzt wieder gestaltet werden kann. Gerade der Bastelkurs des alten Keynes findet nach der Pleite des Kommunismus, dem Pech so mancher Spekulanten und den Pannen des Neoliberalismus enormen Zulauf.

Einer kritischen Theorie kapitalistischer Gesellschaften sollte dieser Spuk um Keynes jedoch nur ein Stirnrunzeln wert sein. Man kann den Staat nicht gegen den Markt ausspielen. Beide bilden zwei Teile eines Ganzen, dessen Prinzipien Verwertung des Werts und die Akkumulation des Kapitals sind. Der Staat garantiert als herrschaftsförmige Institution den rechtmäßigen Rahmen kapitalistischer Produktionsverhältnisse, wie es die alte Arbeiterbewegung beklagt hat. Er ist also nicht einfach ein Staat der Kapitalisten, den es zu okkupieren gelte. Er ist vielmehr ein Staat des Kapitals, der Staat eines sozialen Verhältnisses; er ist ideeller und reeller Gesamtkapitalist, der sich um die Reproduktion der Gesellschaft sorgt und gegen die Sonderinteressen einzelner Kapitalien vorgehen kann und muß.

Gerade angesichts des sozialdarwinistischen Prinzips des freien Marktes, das gleich dem Jüngsten Gericht die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen sortiert, benötigt eine kapitalistische Gesellschaft immer wieder eine regulierende Instanz, die die Reproduktion der Ware Arbeitskraft sichert. Nichts anderes hat der Keynesianismus im Sinn - nämlich eine technokratische, soziale Verwerfungen abfedernde Regulation.

Dieser Kreislauf von Marktorientierung und Staatsorientierung, von Deregulierung und Regulierung hat den Kapitalismus von Anfang an begleitet. Während des Merkantilismus kam dem Staat entscheidende Bedeutung zu, ohne den die ursprüngliche Akkumulation nicht möglich gewesen wäre. Im freihändlerischen Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts wurde auf das freie Spiel der Kräfte gesetzt. Diese liberalistische Ära des "laissez-faire" fand spätestens mit der Weltwirtschaftskrise gegen Ende der zwanziger Jahre ihr Ende. Mit dem "New Deal" in den USA, dem Stalinismus in der Sowjetunion und dem Nationalsozialismus in Deutschland übernahmen Regime das politische Kommando, die den Markt entweder massiv einschränkten oder vollständig zum Staatskapitalismus übergingen.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hielt die staatsinterventionistische Phase an. Nun bildete sich in Westeuropa der fordistische Wohlfahrtsstaat heraus, während in der dekolonisierten Dritten Welt nachholende Entwicklungsdiktaturen eine glückliche Zukunft versprachen, ohne dieses Versprechen einlösen zu können. Mit der Krise des Fordismus in den siebziger Jahren schlug das Pendel wieder in Richtung Markt zurück, Thatcher und Reagan läuteten die neoliberalistische Wende ein. Heute ertönt wieder der Ruf nach Politik, und wenn wir und der Kapitalismus noch nicht gestorben sind, dürfen wir das Ping-Pong-Spiel weiter beobachten.

Was zählt, sind die Notwendigkeiten des kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozesses und nicht das Räsonieren von Politikern oder die Wunschzettel, die auf dem Jahrmarkt der Protestbewegungen verlesen werden. Wer verspricht, mit dem Staat gegen den Kapitalismus vorzugehen, trennt entweder unzulässigerweise Politik von Ökonomie, oder er führt Böses im Schilde. Vergessen wir nicht, daß die größten Destruktivkräfte sich immer dann entfaltet haben, wenn ein autoritärer Staat den Markt beseitigen und sowohl Produktion wie Distribution organisieren wollte. Der vermeintliche Bändiger des Kapitalismus war immer sein konsequentester Vollstrecker.

Ob ein Staat eine für das Kapital überflüssige, weil nicht verwertbare Bevölkerung füttert, interniert oder liquidiert, entscheiden nicht diejenigen, die einst ihre Hoffnungen in ihn als übergesellschaftliches vernünftiges Wesen gesetzt haben. Eine kritische Gesellschaftstheorie sollte konstatieren, daß nur mit modernen Staatsapparaten die größten Verbrechen dieses Jahrhunderts ausgeführt werden konnten. Mißtrauen gegenüber dem Staat und nicht ein Liebäugeln mit seiner Potenz, scheint mir ein adäquates Verhältnis zur Ordnungsmacht zu sein.

Dennoch gilt es, eine Einschränkung zu machen: Die Erfahrung mit dem autoritären oder totalitären Staat zeigt, daß Staat nicht gleich Staat ist. Die Weltwirtschaftskrise 1929 hat die erwähnten, keynesianisch inspirierten Regime auf den Plan gerufen, die man aber nicht über einen Leisten schlagen kann: das stalinistische der Sowjetunion, das keynesianistische des "New Deal" und das nationalsozialistische, in dessen Zentrum die Vernichtungspolitik stand. Angesichts dieser historischen Unterschiede reicht eine materialistische Staatskritik nicht aus. Zumindest nicht, um ein Phänomen wie Auschwitz zu erklären. Deshalb gilt es festzuhalten, daß der Keynesianismus die vielleicht sozialste Staatsform des Jahrhunderts war.

Für eine emanzipatorische Gesellschaftstheorie ist Staatskritik allerdings unerläßlich. Sie kommt nicht umhin, den Staat als zentralen Baustein einer falschen Totalität zu erkennen. Wenn es das Ziel der Linken ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der der Mensch kein geknechtetes, getretenes und seiner Würde beraubtes Wesen ist, dann kann sie sich nicht auf den Staat beziehen. Auch nicht auf einen keynesianischen, der nur schönere Tapeten im eisernen Gehäuse verspricht.