In Stahlgewinden

Ein Buch von und für die Jugend: Oliver Stones Autobiographie

"Lutsch! Lutsch! Quetsch ihn aus! Worauf sich das Tempo steigert, was beim Verfasser gewöhnlich zu einem erstklassigen Orgasmus führt. Ich persönlich muß, wenn mein Penis sich zuckend aufbäumt und am stahlharten Gewinde einer Möse reibt, immer an den Hoforganisten Bach denken." Ja, liebes Publikum, du befindest dich mitten in den Phantasien des jugendlichen Oliver Stone, mitten in einem vietnamesischen Puff oder einem vergleichbaren Etablissement.

Stone, der große Filmregisseur, der "Platoon" und "Natural Born Killers" gedreht hat und den Tod von John F. Kennedy auch schon mal von Kevin Kostner aufklären ließ. Stone, der Mythenmaler und Verschwörungstheoretiker, dessen hochkomplexe Filmepen zu allerlei Diskussionen geführt haben. Etwa, ob Gewalt im Film auch Gewalt in echt hervorbringt. Gemeint ist, das Leben imitiere die Medien. Und tatsächlich haben ja zwei jugendliche Mörder mal ausgesagt, daß sie, bevor sie ihren Mitschüler zu Tode quälten, "Natural Born Killers" gesehen und eine Menge Anregungen daraus bezogen hätten (nicht auszudenken, wenn sie Henry McNaughtons "Henry - Portrait Of A Serial Killer" gesehen oder Georges Batailles Reflexionen über die chinesische Scheibchenfolter gelesen hätten).

Wahrscheinlich ist das richtig, aber auch das Gegenteil. Als Ventil in einer gewalttätigen Welt dienen wohl Film und Literatur; und wenn die Phantasie irgendeines Mörders nicht mal dazu ausreicht, ein richtiges Massaker zu inszenieren, ja dann muß er sich wohl am Folter-Pop in Kino und Buchform bedienen.

Oliver Stone selbst mußte sich mit Phantasien auseinandersetzen, geboren in den stahlharten Windungen seines Gehirns, die deshalb und obendrein seine eigenen sind. Autobiographische Aufzeichnungen aus seinen frühen Jahren hat er jetzt zu dem Buch "Night Dream" zusammengefaßt. Und dann, dann ist es auch in Deutschland bei Kindler erschienen.

Stone ist 1946 in New York geboren, die Mutter ist französischer Herkunft. 1965 bricht er das Studium an der Yale University ab, um als Lehrer nach Saigon zu gehen. Zwei Jahre später tritt er in die Armee ein. Man muß auch was erleben. Noch später wird er Drehbuchschreiber (von ihm stammt auch "Conan, der Barbar"), Produzent und Regisseur. Zur Zeit lebt er mit seiner Familie im kalifornischen Santa Monica.

Seine seit 30 Jahren herumliegenden Romanaufzeichnungen mußten einfach mal raus. Was er damals nachts träumte, erlebte er tagsüber. Berühmt wurde er schließlich auch, weil er in den Vietnam-Krieg zog, während Studenten, Hippies und der Sozialismus dagegen protestierten. In Vietnam konnte er sich wiederum mit dem Stoff versorgen, aus dem die Träume sind: Mutter, Sex und Tod, später auch als "Vietnam-Trauma" bekannt geworden.

"Stahlhart" sind auch die Gewinde des M 16-Gewehrs: Die Mutter hat ihn vernachlässigt, kein Wunder, daß er manchmal nicht wußte, wo er gerade drin steckte. Welche Qualen muß er durchgestanden haben, um ein wichtiger Künstler zu werden. Und man fühlt sich in manch gezwungener sprachlicher Wendung an die Feindbeschreibungen des Kriegshelden und U-Boot-Reporters Lothar-Günther Buchheim erinnert: "Sie sind in ihrer blutrünstigen Todessehnsucht bereit zu sterben. Zu sterben! Eine groteske Masse aus furzenden Ärschen." Zum Angriff, bitte. "Yaaaaaaeeee!"

Diese Form apologetischer Kriegsliteratur benötigt aus irgendeinem Grund ihre Entsprechung in den Laken. Der junge Mann befindet sich auf der Suche nach seiner Identität - aber was ist im Krieg schon sinnstiftend? Der Kopf kreist um den Schwanz, der ist wenigstens immer bei einem, ab und zu auch als feste Größe. Und alle haben einen! Ollis Schwanz half weite Teile von "Night Dream" schreiben, die alte Denkstütze: "Der Traum hat meine Hose mit der Macht der zellulären Vision befleckt."

Was ist passiert? "Die Lichter öffnen ihre Schenkel und offenbaren mir durch die sprudelnde Milch ihren Orgasmus." Hier kracht die Kunst, hier zählt kein Geld, das ist der Weg nach Bitterfeld.

Aber Stone wollte sich von der Bürde des eigenen Lebens befreien, ohne gleich Selbstmord zu begehen. Er selbst bemerkt über sein Frühwerk, er sei zum Zeitpunkt der Niederschrift ein Junge gewesen, der sich immer wieder das Herz gebrochen hat. Der sich sehnte, geliebt zu werden. Weil er das nicht wurde, bürdete er sich all die Qualen auf. Keine Geschwister gab's, und auch keinen guten Freund. Er entschuldigt sich bei allen und sich selbst, weil er ihnen weh getan hat. "Ich hoffe, irgendwem mit diesem Buch der Freund zu sein, den er", der junge Oliver, "so dringend gebraucht hätte."

Dergleichen wird in der Kritik mit Attributen wie tabulos oder unerbittlich belegt, der Mann habe eine Odyssee hinter sich undsoweiter. Mit Stone waten wir durch das Tal von Blutseen, Schweißperlen und - statt Tränen - Spermafluten aus der Eigenproduktion. Ein Gesellschaftspsychogramm, das, in gewisser Weise, der Ideenwelt des Vietnam-Kriegers, wie sie uns in zahlreichen Niederlagenfilmen begegnet, nahekommt: Eine Gemengelage aus Enttäuschung, Trennung von der Familie und Aufenthalt im Schützengraben.

Man geht weg, um nach Hause zu kommen. Die GIs erzählen schmutzigen Kram. Das Wetter ist übrigens wie in allen Vietnam-Retrospektiven auch denkbar beschissen. Und wie überall, wenn der Soldat kommt, "sitzen Frauen am Straßenrand, sprechen dich an und machen dir schöne Augen. Haben im Nu ihr Höschen unten. Und selbst der Hafen umklammert die Stadt noch mit gespreizten Beinen. Von beiden Mekong-Ufern aus"! Vater war ein Feigling, Mama im Bett sportlich und der Krieg - hinterher weiß man's - degeneriert und amoralisch.

Das ist selbstkritisch. Man weiß zwar, daß man tötet, aber warum, sagt einem keiner befriedigend. Wegen Amerika eben. Ist das schlimm? Auch zu Hause hätte man kämpfen müssen und kämpfte. Doch "Night Dream", das ist echt, nun glaubt man es, und zumindest keine Schreibtischtat. Bemüht der Versuch, die Sprache der Bilder in die Bilder der Sprache zu übertragen.

"Mein Schlund über dem Feuer, Feuer. Mein Schlund ist im Feuer. Der Feuerschlund wabert zurück, das Messer ist rot vom Opferblut. Es hat wirbelnd zugestochen und seine Opfer geröstet. Die Lunten der Realität lösen sich immer mehr von meinem Sein." Die braucht man also nicht mehr zu riechen. Stone ist eben ein echter American Psycho, der abgebrochene Held. Mit Heidegger gesagt: Die Sprache ist das Haus des Seins und Oliver Stone ist darin der Untermieter.

Das Buch war nötig, für Stone, seine weiblichen und männlichen Fans. Obwohl: Wer an den ewig wiederkehrenden Sex-, Todes- und Mutterphantasien Gefallen findet, dürfte sich für Bücher gar nicht so richtig interessieren. Man sucht gleich die einschlägige Videothek auf und ist bei "Rambo II" besser aufgehoben. Im Unterschied zu Stone hat sich "Rambo"-Darsteller Sylvester Stallone übrigens mal öffentlich gewundert über das Interesse an reaktionären Kriegshelden.

Oliver Stone: Night Dream. München 1998, Kindler Verlag, 334 Seiten, DM 39,90