Amöbe statt Adler

Deutschland wird relauncht -Eine britische Agentur macht Vorschläge, wie sich das Land in Zukunft noch besser verkaufen kann

"Image ist nichts, Durst ist alles", heißt es in einer aktuellen Limowerbung, die genau das macht, was sie zu unterlassen vorgibt: ein Produktimage zu erzeugen. In diesem Fall ist es das Image des Authentischen. Eine leicht durchschaubare Volte, wie sie die postmoderne Werbelandschaft als Dutzendware parat hält, nichtsdestominder aufschlußreich. Natürlich verhält es sich genau umgekehrt: Wer Durst hat, kann Wasser trinken - ergo: Image ist alles.

Gleichzeitig wird deutlich: Es ist schlichtweg unmöglich, mit öffentlichen Markenauftritten etwas anderes als Images zu produzieren. Images werden am laufenden Band produziert. So oder so. Ganze Industrien sind mit der Produktion und Pflege von Produktimages befaßt.

Daß Firmen sich mittlerweile mehr um die flüchtige Aura ihrer Produkte sorgen als um deren qualitative Ausformung, daran haben wir uns inzwischen gewöhnt. Daß Nationalstaaten diesem Beispiel folgen und sich selbst als Marke begreifen, die auf dem internationalen Parkett lanciert werden muß, ist eine relativ neue Erkenntnis, die sich im Bewußtsein der Deutschen erst noch durchsetzen muß. Jedenfalls sollte sie das, wenn es nach Wolfgang Herles, Leiter der Redaktion für Zukunftsfragen beim ZDF, und nach der britischen Imageagentur Wolff Olins geht. Herles hat die Agentur beauftragt, für die dreiteilige ZDF-Sendung "Total Global" ein neues Markenimage für Deutschland zu erfinden, was diese auch gern und unter Verzicht auf Honorar getan hat. Schließlich ist es Eigenwerbung.

Die Resultate wurden in der Auftaktsendung präsentiert und sind zur Zeit unter dem Titel "DEbatte" in einer Berliner Ausstellung zu sehen. Worum geht es also? Es geht natürlich allein darum, den symbolischen Tauschwert Deutschlands zu erhöhen, nicht etwa seinen Gebrauchswert. In dem Moment, wo sich Konzerne durch Fusion und internes Wachstum zu eigenen Staaten ohne Territorium auswachsen, werden die ehemals souveränen Nationalstaaten zu Dienstleistungsanbietern - die Dienstleistung heißt "Standort" - und stehen so ihrerseits in internationalen Konkurrenzverhältnissen, eben wie Großkonzerne. Selbstverständlich muß nach dieser Logik zur Unternehmenspolitik der Deutschland AG neben den harten Standort-Facts auch eine softere PR-Arbeit gehören.

Die unbestreitbaren Vorzüge eines so zu kreierenden Markenimages erläutern Wolff Olins wie folgt: "Marken sind das wirkungsvollste Marketinginstrument der Welt. Ein ausgebildetes Markenbewußtsein ist ein Wettbewerbsvorteil, der Jahrzehnte bestehen kann. Beispiel Coca Cola oder Pepsi: Niemand fragt sich, ob diese Produkte wirklich gebraucht werden." Ein ausgeprägtes Markenbewußtsein auf Nationalstaatsebene hätte demnach den positiven Begleiteffekt, daß niemand mehr auf die Idee käme, zu fragen, ob der Staat eigentlich wirklich gebraucht wird.

Wie eine nationale Marke nach den Gesetzen des Marketings relauncht wird, haben kürzlich Tony Blair und seine Spindoctors vorgemacht, indem sie Großbritannien kurzerhand zu "Cool Britain" umdeklarierten. Ob allerdings, abgesehen vom süffisanten Spott und einer kurzen Britpopkonjunktur, beim Rest der Welt etwas davon hängengeblieben ist, ist fraglich. Das Problem mit Deutschland dagegen ist, daß es sich dabei ja bereits um eine international mehr als nachhaltig eingeführte Marke handelt. Der erste große Imagefeldzug zur Popularisierung deutscher Werte und Tugenden im Ausland liegt zwar bereits gut 60 Jahre zurück, hat aber dazu geführt, daß man dort noch heute recht konkrete und präzise Vorstellungen davon hat, was unter einem deutschen Markenimage zu verstehen ist. Rostock und Hoyerswerda waren als Events aus der jüngeren Zeit durchaus geeignet, dieses Image aufzupolieren und ihm eine neue Frische einzuhauchen.

Es kann also keiner behaupten, daß Deutschland in der Vergangenheit nicht "kraftvoll und gleichzeitig wirtschaftlich kommuniziert" (Wolff Olins) hätte. Es geht entgegen der Behauptungen weniger darum, Deutschland als "globale Marke" erstmalig einzuführen, sondern darum, einen Relaunch zu vollziehen. Dementsprechend fehlen an der Tafel, mit der die Ausstellung eröffnet wird ("Die Deutsche Kultur hat einen wichtigen Beitrag in der Welt geleistet. Hier eine Auswahl bekannter Namen"), einige ganz entscheidende Einträge. Zwischen Wagner und Marlene Dietrich klafft eine vielsagende Lücke.

Das mit der Aufgabe befaßte international besetzte Team von Wolff Olins sah sich anscheinend vor die unlösbare Aufgabe gestellt, ein völlig neues Deutschlandbild zu erfinden und dabei das alte komplett auszublenden. Dementsprechend fallen auch die übrigen Resultate aus: Zunächst wurde gebrainstormt, was einem abseits der gängigen Zuschreibungen noch zu Deutschland einfällt, und siehe da: nichts.

Das heißt, so gut wie nichts. Denn auch wenn PR-Leuten nichts einfällt, fällt ihnen etwas ein. In diesem Fall war das "die Logik des Einschließens: Nicht Vielfalt ODER Einheit, sondern Vielfalt UND Einheit" seien charakteristisch für das neue Deutschland. Schlicht, aber genial: Nicht Wischi oder Waschi, Wischi und Waschi! Auf dieser Basis ließ sich weiterarbeiten. Als nächstes wurden Begriffspaare gebildet, in denen negative Urteile zu Deutschland mit der gegenteiligen Aussage konfrontiert sind. Dazu wurden Beispiele aus der Realität gesucht, die das Positive belegen sollen.

So muß etwa ein ums andere Mal die Love-Parade herhalten, um sowohl das konservative als auch das spaßfeindliche Attribut zu entkräften ("Konservativ? Die Berliner 'Love Parade' ist das größte Straßenfest der Welt. Nichts ist tabu"). Gegen "Autoritätsdenken" führen die Kampagnenmacher, neben der obligatorischen "friedlichen Revolution im Osten", ausgerechnet an, daß es hierzulande mehr Anarchisten gäbe als andernorts und Deutschland das einzige Land der Welt sei, das zweimal im Jahr "Chaostage" abhalte. So kann man's auch sehen. Das ist wohl der "erfrischende" (Gästebucheintrag), weil vollständig ahnungslose Blick von außen.

Als visuelles Link zwischen allen Teilen der Kampagne regt die Agentur eine Umgestaltung der Nationalflagge an: Das drückende Schwarz aus dem ohnehin unbeliebten Schwarz-Rot-Mostrich-Banner soll gegen das filigranere Europa-Blau ausgetauscht werden, das gleichzeitig die europäische Einbindung Deutschlands symbolisiert. Womit die neue Fahne, wie ein Kommentator der taz richtig bemerkt, der rumänischen zum Verwechseln ähnele. Der aggressive Adler soll durch ein schlichtes typographisches "DE" ersetzt werden, was als Internet-Kürzel gleichzeitig Modernität und, über die Lesart "Deutschland/Europa", ebenfalls Offenheit signalisiert. Dieses Symbol soll dann tunlichst nicht mehr in rechteckiger Form erscheinen, sondern als wabernder Ring oder Kreis.

Man stellt sich das wohl am ehesten wie einen blaurotgelben Bildschirmschoner vor. Verschiedene Aggregatzustände dieses amöbenhaften Gebildes sollen dann überall, vor allem aber auf deutschen Produkten prangen. Die amorphe Gestalt will von der Flexibilität Deutschlands und abermals von "Einheit und Vielfalt" künden. Die deutsche Sprache - manchmal ist sie doch gar nicht so schlecht - hat für derlei Anwandlungen das schöne Wort "Hirnfick" parat. Man könnte sogar sagen: Programmierter Hirnfick, in dem Sinne, daß die Resultate solcher symbolischer Eskapaden notwendigerweise ins Lächerliche abrutschen müssen, wenn sie einer realen Grundlage entbehren.

Das bedeutet keineswegs, daß diese oder ähnliche Ideen nicht eines Tages in die Tat umgesetzt werden, auch wenn sie diesmal noch ohne hoheitlichen Auftrag entstanden sind und derzeit nur auf dem Papier stehen. Wer die Inszenierung der jüngsten SPD-Parteitage verfolgt hat, weiß, daß Gerhard Schröder durchaus der Mann dafür ist, sich alles, was mit Deutschland zu tun hat, zu eigen zu machen. "Es wäre natürlich ein Traum", sagt der Initiator der Kampagne, Wolfgang Herles, gegenüber der Zeit, "wenn sich unsere neu gewählten Entscheidungsträger das ansehen und sagen würden: Ja, so soll Deutschland in Zukunft aussehen."

"Debatte", Kontorhaus, Berlin, Friedrichstr. 185

"Global Total", Teil 3, 24. Januar, 22.15 Uhr, ZDF