Torben Schröders "Science Fiction als Social Fiction"

Cyberpunk, geh du voran

Seit mit dem "Ende der Geschichte" langsam der Glaube verblaßt, die Entwicklung der Menschheit unterliege Gesetzmäßigkeiten mit einem feststehenden Ausgang, steckt die Zukunft in der Krise. Futorologie, Horoskope und anderer Hokuspokus mal außen vor - um die Prognostik ist es derzeit schlecht bestellt. Welche hellseherischen Fähigkeiten Science Fiction (SF) besitzt - damit beschäftigt sich das Buch "Science Fiction als Social Fiction" von Torben Schröder.

Keine besonders originelle Fragestellung, denn schließlich taucht die Idee, SF sei angewandte Zukunftsforschung mit großer Regelmäßigkeit auf, häufig illustriert mit Jules Verne als dem vermeintlichen "Erfinder" von U-Booten und Hubschraubern, Wolkenkratzern und Maschinengewehren. Allerdings erfand Verne diese Dinge nicht, sondern er fand sie - in den Akten der Pariser Patentämter. Erst dann schrieb er seine Bücher, in denen Dinge vorkamen, die öffentlich noch gar nicht existierten.

SF-Fans werden sich dadurch kaum verunsichern lassen. Denn hat nicht H.G. Wells schon 1914 in "The World Set Free" die Atombombe und ihren Einsatz in einem industrialisierten, für 1958 angesetzten Weltkrieg annonciert, während Emile Durkheim und Max Weber nichts ahnten? Umgekehrt wäre aber auch verwunderlich, wenn sich innerhalb der SF-Literaturgeschichte nicht hier und da eine Vorhersage bewahrheiten würde. Vielleicht ist die Trefferquote auch weniger Beleg für die antizipative Kraft von SF als ein Verweis auf die Unzulänglichkeit der Sozialwissenschaften in Zukunftsfragen, wie Torben Schröder meint.

Da die eine antizipierbare Zukunft perdu ist, bleiben der SF nur Gedankenspiele mit verschiedenen Zukünften. Allerdings haben die Demnächst-Welten der Science Fiction-Romane zumeist erstaunliche Ähnlichkeit mit der Jetzt-Zeit, offenbar entfernt sich die mögliche Zukunft nicht allzu weit von der Gegenwart.

Wie man z.B. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre die Flowerpower-Einflüsse bei "Perry Rhodan" finden konnte, findet sich in der SF neben den gesellschaftlichen Grundmustern der Gegenwart ebenso ihr jeweils herrschender Zeitgeist wieder. Von anderen Literaturgattungen ist ähnliches bekannt. In diesem Sinne kann Schröder auch gar nicht falsch liegen, wenn er auf eine "seismische Funktion" von SF hinweist.

Momentan habe der Cyberpunk diese seismische Funktion inne, schließlich geht es hier um die Informations- und Kommunikationstechnologie, es wird mit der Manipulierbarkeit der Sinne gespielt, und hyper-egoistische Anti-Helden müssen als vereinzelte Großstadtmenschen in einer von Megakonzernen und übermächtigen Computern beherrschten Welt zurechtkommen. Dieses "Faktorenspiel" sei ein "Testgelände" zur kritischen Bewertung "gesellschaftsrelevanter Fragestellungen". Cyberpunk, geh du voran.

Vor lauter Zukunft sieht der Autor die Gegenwart nicht mehr. Nicht nur die Art und Weise, Krieg zu führen, kommt einem in den SF-Produktionen zumeist sehr bekannt vor, auch die Genderkonstellationen kennt man zur Genüge. Zwar spricht das nicht für eine ausgeprägte soziale Phantasie, dennoch besteht Torben Schröder partout darauf, die antizipatorischen Möglichkeiten der Gattung zu betonen. Ja, wenn sie von Außerirdischen produziert würde.

Torben Schröder: Science Fiction als Social Fiction. Lit Verlag, Münster/ Hamburg 1998, 118 S., DM 29,80