15-Minuten-Versuch

Debbie Harry arbeitet mit "Last Exit" konsequent gegen den Blondie-Mythos

"I, I could be queen and you, you could be king, we could beat them, just for one day, we could be heroes, just for one day!" Debbie Harrys im Jahr 1980 eingespielte New-Wave-Version des David Bowie-Stücks "Heroes" hat mit der Originalversion kaum mehr etwas zu tun. Mehr gesprochen als gesungen, teilweise völlig gegen den Text, nahm sie den Helden ihr Pathos. Genausowenig hatte sie für Mystifizierungen übrig: "Die Verherrlichung von Blondie ist absurd. Ich war doch bloß ein getriebener, besessener, star-verrückter Rock'n'Roller, ich tat lediglich mein Bestes, um dazuzugehören, und wollte nur einige Dinge sagen, die zu dieser Zeit relevant waren."

Die Misere der meisten Rockmusiker besteht darin, daß sie nicht wie Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Jim Morrison früh genug sterben, sondern irgendwann alt werden und trotzdem noch einmal auf die Bühne oder ins Studio gehen. Das ist meist kein Vergnügen, auch nicht für die Zuhörer, und selten schafft eine Band ein Comeback wie die Sex Pistols, die ihre Stücke spielten, als sei die Zeit stehengeblieben.

Blondie hätte man Ähnliches zugetraut. Mit der Veröffentlichung des neuesten Albums "No Exit" erlag aber auch diese Band der Versuchung zur Selbstmystifizierung. Ähnlich wie andere wiedervereinigte Gruppen, die sich nach einigen Hits aufgelöst hatten und Jahre später einen Neuanfang mit neuen Stücken versuchten, wollten auch Blondie mit ihrer neuen CD beweisen, daß sie immer noch etwas zu sagen haben.

"No Exit" nimmt die Achtziger-Jahre-Poptrends auf, und das gleichnamige Stück ist nur der obligatorische Cross-Over-Song, der heute auf jede Platte gehört. Erzeugt mit nicht mehr so ganz neuen Mitteln: Puff Daddy hatte in den späten Neunzigern die Aufnahme bekannter Themen wieder populär gemacht, ein Stilmittel, das Jahrzehnte zuvor allerdings schon Chuck Berry in "Roll over, Beethoven" benutzt hatte. Auch der Hit "Maria", ein Mix aus zuvor schon tausendfach bekannten Versatzstücken, ist nichts weiter als eben ein weiteres Popstück - selbst Debbie Harrys Jazzeinflüsse verlieren sich.

Das Pop-Image "Blondie" funktioniert trotzdem, die Kritiken der mediokren CD sind ausgesprochen positiv. Trotzdem gibt es bessere Gründe als "Last Exit", um die Sängerin von Blondie zu den Heroes zu rechnen. 1975 gründete sie die Band, die ursprünglich Blondie and the Banzai Babies hieß, gemeinsam mit ihrem Freund Chris Stein. Um den Namen gibt es viele Spekulationen, z.B. daß sich die Band nach der bekannten Comic-Figur benannt habe, die Wahrheit ist jedoch eher schlicht: "Hey, Blondie!" pflegten New Yorker Lkw-Fahrer der damals noch unbekannten Debbie Harry hinterherzuschreien.

Mit den Frauen, die man bis in die Siebziger hinein im Musikgeschäft fand, hatte die blondgefärbte Debbie nicht viel zu tun. Sie war keines der Püppchen, hinter ihr stand kein Management, das die Texte vorschrieb und von Hitfabrikanten Songs kaufte. Aber sie versuchte auch niemals, eine von den Jungs zu sein. "Debbie Harry bewies, daß eine Frau mehr konnte, als nur die Frontfigur zu sein, sie demonstrierte, daß auch Frauen im Pop alles haben konnten", schrieb der US-amerikanische Rock-Journalist Dan Edward Flanery III. Und Traci Lords sagte über sie: "Sie war eine der ersten Frauen im Musik-Business, die blond war und zu ihrer Weiblichkeit stand - auf hohen Absätzen. Dabei sang sie sich den Arsch ab - ich fand sie immer sehr sexy."

Debbie Harry schrieb nicht nur ihre eigenen Lyrics, sondern entwickelte auch ihren Stil, der immer wieder kopiert wurde: Schon 1976 hatte sie beispielsweise in einem Brautkleid auf der Bühne gestanden, acht Jahre später machte Madonna ihr dies für ihren Song "Like a Prayer" nach. Denn die Blondies waren immer Trendsetter: Die erste Band, die ein vollständiges Musik-Video (für das Album "Rap the Beat") produzierte, die es mit einem Rapstück ("Rapture") an die Spitze der Charts schaffte und die als New Wave-Band Pophits landete. Und natürlich war Debbie Harry der erste weibliche Musikstar, der nicht nur passives Sexsymbol war, sondern Sex hatte und auch darüber sprach.

In Interviews erzählte sie gern über ihre Jugend in einer US-amerikanischen Kleinstadt. "Als ich dann endlich meinen Führerschein hatte, fuhr ich immer in eine kleine Stadt nahe Paterson und ging dort dann auf der Straße auf und ab, die den Spitznamen 'Cunt Mile' hatte. Irgend jemanden gabelte ich immer auf und hatte dann Sex auf dem Rücksitz, weil ich doch so geil war und in meiner Heimatstadt meine Lust nicht befriedigen konnte."

Die eigenen musikalischen Bedürfnisse zu befriedigen, war ungleich schwerer. Debbie Harry wollte zwar schon 1965, als sie erste Kontakte zur New Yorker Jazz-Szene hatte, unbedingt dazugehören, wollte sich andererseits aber nicht anpassen und zog es daher vor, wahllos irgendwelche Jobs anzunehmen, u.a. als Playboy-Bunny, und entdeckte in dieser Zeit Heroin. "Für mich war es großartig, es gab mir die Zeit, die ich benötigte, um mir über mein Leben klar zu werden", sagte sie zwanzig Jahre später über ihre Drogenerfahrungen. Erst 1973, als sie den Selbsthaß, der sie immer wieder buchstäblich sprachlos machte, überwunden hatte, kehrte sie ins Rockbusiness zurück.

Der große Durchbruch kam schließlich mit Blondie, 1982 löste sich die Band jedoch wieder auf. Gitarrist Frank Infante war während der "Tracks Across America"-Tour rausgeworfen worden und verklagte die Band, Chris Stein erkrankte ernsthaft. Harry kümmerte sich während dieser Zeit ausschließlich um ihn. 1984 ging die Beziehung in die Brüche. Die Blondie-Karriere schien zwar beendet, aber Debbie Harry spielte in Filmen wie "Videodrome" und "Hairspray" mit, trat als Solokünstlerin bei Gays-Rights-Veranstaltungen auf, war in zwei Computergames, "Double Switch" und "Smoke and Mirrors", zu sehen und wandte sich schließlich dem Jazz zu. Mit der New Yorker Band Passengers gelang ihr ein Achtungserfolg.

Ende 1998 wurde Blondie reanimiert. Auf die Tour folgte die Platte, folgerichtig: "Für die Männer im Rock' n' Roll gibt es nichts mehr zu tun. Die einzigen, die dort noch etwas sagen können, was bisher noch nicht gesagt worden ist, sind Schwule und Frauen. Was die Girls jetzt sagen, ist beispielsweise: 'Don't treat me like this', womit ursprünglich Nancy Sinatra mit ihrem 'These Boots Are Made For Walking' angefangen hatte. Das hat mit 'Take Another Peace Of My Heart' oder 'Baby Love' und ähnlichem Scheiß nichts zu tun."

Die völlig zu Unrecht gehypte Ansammlung belangloser Stücke auf "No Exit" unterstreicht diese Aussage zwar nicht gerade, bewahrt aber vor der lästigen Mystifizierung. Immerhin: "Keiner soll sagen, wir hätten es nicht wenigstens 15 Minuten lang versucht!" steht auf dem Booklet.

Blondie: "No Exit". Beyond