Jeder Kurde eine Bombe

Was kurdische Nationalisten bisher vergeblich versuchten, gelang den deutschen Medien spielend. Der Einheitskurde in Focus, Spiegel und Bild.

Einigkeit über die Rolle der PKK als "terroristische Kurdenorganisation" herrscht in der BRD nicht erst seit den als "schlimmster Angriff auf die öffentliche Ordnung" apostrophierten Konsulatsbesetzungen und Demonstrationen nach der Verschleppung Öcalans. Die einhellige und fast gleichklingende Berichterstattung über kurdische Aktionen in Europa geht auf eine Tradition zurück, die zumindest bis in das Jahr 1993 zurückreicht, als Innenminister Kanther das sogenannte PKK-Verbot erließ und 35 kurdische Vereine schließen ließ.

Die das Verbot flankierende Berichterstattung vor allem des Focus und des Spiegel erschuf damals quasi aus der Retorte ein neues und zeitgemäßes Feindbild, mit dem sich zumindest teilweise innenpolitisch subsituieren ließ, was mit der kommunistischen Bedrohung außenpolitisch weggefallen war. Die PKK wurde so zu einer geheimnisumwitterten asiatisch-stalinistischen Bedrohung, die international und konspirativ arbeitete und überall und jederzeit gewaltsam zuschlagen konnte.

Da Kurden, anders als etwa Polen, Serben oder gar Juden, in der populistischen Rezeption unbekannt waren, ihre Organisationsstrukturen aber bestens den hiesigen Wahn bedienten, war es ein leichtes, aus vorhandenen Ressentiments und Stereotypien die notwendigen Versatzstücke zu entleihen, um ein entsprechend monströses Bild zu entwerfen.

Den "bewaffneten Männern aus Kurdistan" (Focus) wurde von Menschenraub, Schutzgelderpressung und Mord, über Waffenhandel, Drogengeschäfte, Geldwäsche und Sozialhilfebetrug, bis hin zu Plänen, den ehemaligen Außenminister Kinkel zu ermorden, alles unterstellt, was den diffusen Ängsten und Wünschen der Landsleute entspricht. Als konkretes Bedrohungsszenario versachlichte sich so in der "Kurdenfrage" (Focus) jene substanzlose und uneindeutig definierte Gefährdung der Sicherheit, die mit dem Begriff des subjektiven Sicherheitsgefühls nur unbefriedigend erfaßt wird. Freimut Duve entdeckte als einer der ersten diese Rolle der PKK, als er sie schon Mitte 1993 in einer Sondersitzung des Bundestages als "eine tödliche Bedrohung für unsere Städte" ausmachte.

Damit wurde eine Art standardisierter Subtext geschaffen, der wie ein Untertitel mitläuft, sobald von Kurden die Rede ist. Seit 1993 schreiben Focus und Spiegel sowie der Verfassungsschutz ihre Geschichten über die Kurden, die bis hin zur Auswahl der Metaphern fast identisch sind, nach diesem Muster fort. So heißt es im Focus über die PKK: "Das sind absolute Profis, Meister der Konspiration", "gefährlich wie eine Cobra", "sie (die PKK, d.A.) will die Kommunalwahlen manipulieren". Selbst bei einer "Lesbendemo" "zog die PKK die Drähte". Hinter allem steht "der Drahtzieher", "der Finsterling", "der Chef, der aus Damaskus die Revolte fernsteuert". Wie abgeschrieben wirken die Verlautbarungen der Verfolgungsorgane: "In Köln sitzt die Europäische Frontzentrale der PKK. Dort zog bis zum Oktober 1994 Faysal Dunlayici alias Kani Yilmaz die PKK-Strippen in Europa. (...) Sie arbeiten hochkonspirativ, tragen Decknamen und wechseln ständig den Wohnort. (...) PKK-Aktivisten unterwandern seit Jahren systematisch kurdische Organisationen. (...) Die kurdischen Kulturvereine in Deutschland haben zwei Gesichter." (Polizei heute)

Als nun Wahn und Wirklichkeit für wenige Tage zusammenfielen, griff auch die Frankfurter Rundschau diesen Subtext auf: "Wer zieht die Fäden? Die PKK? Wer ruft die Handys an? Die kurdische Exilregierung? Werden die Strippenzieher mäßigend wirken?" Es scheint, als habe das Wahnbild der "Terror-Kurden" die Wahrnehmung auf eine Art präformiert, die jede Erfahrung unmöglicht macht.

"Stereotypie", schreibt Theodor W. Adorno, "läßt sich durch Erfahrung nicht 'korrigieren'; erst muß die Fähigkeit restituiert werden, Erfahrungen zu machen, um das Gedeihen von Vorstellungen zu verhindern, die im buchstäblichen, klinischen Sinn bösartig sind." Dieser Stereotypie ist es zu verdanken, daß, wenn Kurden demonstrieren, dies gar nicht anders wahrgenommen werden kann denn als "Kurdenkrieg in Deutschland" (Bild). Die "Terror-Kurden" entspringen allerdings nicht dem "Wilden Kurdistan", sondern direkt den deutschen Redaktionsstuben; als Sinnbild des aggressiven Grundgefühls im Kapitalismus, das sich einst in den Zerrbildern von der Roten Gefahr ausdrückte.

Nicht zufällig kehren die Bilder brennender Menschen und die Aufnahmen aus der SPD-Zentrale in Hamburg in fast allen Blättern wieder. Die dabei zur Schau gestellte Zerstörung stimuliert den Wunsch, den Verursacher mit gleicher Gewalt zu vernichten. Keine Metapher wird im Zusammenhang mit Kurden folgerichtig so häufig verwendet wie die des Krieges. Deutschland könnte zum "Hauptschlachtfeld des Konfliktes" werden, "nachdem man die PKK-Bombe schon entschärft glaubte", unkt der Spiegel, für den Focus sind demonstrierende Kurden "Soldaten des PKK-Führers Öcalan", Bild titelte mit "Kurdenkrieg - Wehrloses Deutschland", das ZDF verhalten mit "Deutschland - wildes Kurdistan", und Innenminister Otto Schily faßte zusammen: "Wir müssen der PKK die logistische Basis entziehen."

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Am 21.Februar veröffentlichte Bild am Sonntag den ersten unbefriedigenden Body-Count: "Gewalttätige Kurden: 5 000. Festnahmen: 500. In Haft: 94. Abgeschoben: 0." Hinter der Kolportage des Ausnahmezustandes versteckt sich mehr schlecht als recht die Sehnsucht nach demselben. So entwickelte in der Talkshow "Vorsicht Friedman" ein Bundestagsabgeordneter der CSU den Gedanken, dem deutschen Volk sei das Recht gegeben worden, sich unter freiem Himmel zu versammeln, nicht aber den ausländischen Gästen. Wer das Gastrecht mißbrauche, habe keinen Anspruch auf das Versammlungsrecht, weshalb mit vorläufiger Wirksamkeit von drei Monaten allen Kurden das Demonstrieren zu verbieten sei.

Das Original zur bayerischen Fälschung findet sich im NSDAP-Aufruf zum Judenboykott von 1933: "Sie leben unter uns und mißbrauchen Tag für Tag das Gastrecht, das ihnen das deutsche Volk gewährt hat." "Wer das Gastrecht in Deutschland mißbraucht", zitierte auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, werde "höflich, aber bestimmt zum Verlassen aufgefordert." Die "Blutspur durch Deutschland" - "von Augsburg bis Kiel, von Potsdam bis Mannheim" (Focus) - ist die Topographie eines mentalen Ausnahmezustandes, der keine Regeln kennt. Die Reaktion des hessischen Innenministers, der die Forderung nach zügiger Abschiebung "kurdischer Gewalttäter" mit dem Hinweis auf die rechtlichen Bindungen durch die Genfer Flüchtlingskonvention zurückwies, kommentierte der Sprecher eines ZDF-Spezials mit der lakonischen Bemerkung, daß Gesetze, die nichts taugten, eben geändert werden müßten.

Daß die Proteste nur noch wenig mit dem realen Konflikt der Kurden zu tun haben, mußte eine Vertreterin der "gemäßigten Kurden-Organisation" Komkar feststellen, die als Studiogast der ARD- Sondersendung "Wer stoppt den Terror der PKK?" bedrängt wurde, sich als Kurdin von der Gewalt ihrer Landsleute zu distanzieren. Als sie kritisierte, daß während der gesamten Sendezeit die politische Problematik des Konfliktes in Kurdistan nicht ein einziges Mal erwähnt worden sei, konterte der Moderator des Bayerischen Rundfunks, es sei ein Beweis für Demokratie, daß sie ihre Kritik an der Sendung äußern dürfe: "Das ist Ihre Meinung. Die dürfen Sie natürlich haben."

Daß der zur Schau gestellte Führerkult und Märtyrerwahn der kurdischen Nationalbewegung zuweilen bizarre Züge trägt, kommt der medialen Aufarbeitung sicherlich zugute. Die verzweifelte Suche nach Merkmalen und Ereignissen, die Gemeinschaft stiften, teilen sie mit allen nationalen Bewegungen. Die Frage danach, was dieses Gemeinsame sei, brachte den kurdischen Nationalisten Nebez wie viele andere vor ihm schon auf den Gedanken, "sich als Kurde verstehen zu geben, (sei) die Grundbedingung, Kurde zu sein" und "wichtiger als alle anderen Merkmale bei der Feststellung der Identität der Kurden" sei das "kurdische Gefühl".

Im kurdischen Gefühlsleben sieht es nach Meinung des Focus nicht gut aus. Fanatismus, Wut und Verbitterung tummeln sich dort und natürlich auch der berühmte Stolz des Orientalen. "Rasend vor Wut", "verbittert" und mit "Verzweiflungstaten" reagierten die "Fanatiker" und "Schlägerbataillone" auf die Festnahme Öcalans, während der Vater eines Mädchens, das sich selbst verbrannte, "stolz auf seine Tochter" sei. "Von der türkischen Dönerbude bis zum Berliner Reichstag, von der jüdischen Kindergärtnerin bis zum Bundeskanzler - jeder kann jederzeit Opfer der fanatisierten Kurden werden, deren Wut sich ständig neue Ziele sucht", weiß der Spiegel zu berichten und: "Jeder Kurde ist jetzt eine Bombe."

Seit dem Verbot kurdischer Vereine im November 1993 ist in Deutschland gelungen, woran die kurdische Nationalbewegung bislang immer scheiterte: "Die Kurden" sind zu einer scheinbar statischen und homogenen Gruppe transformiert. Ihnen werden festumrissene Eigenschaften, eine konsistente, geteilte Geschichte und gemeinsame politische Interessen zugeschrieben, in einer Dichte, die alle Versuche kurdischer Nationalisten übertreffen dürfte, Gemeinschaft unter der versprengten und heterogenen kurdischen Exilgemeinde zu stiften.

Wie die deutsche Konstruktion der Ethnie "Kurden" funktioniert, zeigte beispielhaft der Spiegel: "Der hilflose Zorn des staatenlosen Volkes richtet sich gegen alle, die ihnen irgendwie in das Kidnapping ihres Anführers verwickelt scheinen." Das gemeinsame Merkmal der Kurden, nach dem Nebez suchte, besteht heute in dem Generalverdacht, unter dem Kurden in Deutschland stehen, nicht aufgrund dessen, was sie tun, sondern aufgrund dessen, was sie vermeintlich sind. Weil der Kurden-Terror als ethnisches Spezifikum wahrgenommen wird, kann er nur beendet werden, indem man sich der Kurden entledigt. Das Problem der Kurden in Deutschland ist daher nicht, daß sie nicht Kurden sein dürfen; sie dürfen nichts anderes als "Kurden" sein.