Cassius: "1999"

Runter von der Couch!

Erschrockene Menschen mit weit aufgerissenen Augen auf dem Cover. Manche halten sich die Hände vor's Gesicht. Einer zückt den Fotoapparat, eine wendet sich angewidert ab. Was immer sie auch sehen, es muß eine Sensation sein. "Cassius" steht auf dem Bild, darunter: "1999".

"Der Name eines Menschen ist niemals Zufall", schrieb schon Karl May. Der Name einer Band auch nicht. Cassius, so heißt der neue Dance-Act aus Frankreich. Dahinter verbergen sich die beiden Produzenten Philippe Zdar und Hubert "Boombass" Blanc-Francard. Keine Unbekannten - als Motorbass und La Funk Mob haben sie schon einige Club-Hits geschaffen, sie produzierten das erste Album von MC Solaar und Remixe von Air bis Daft Punk.

Cassius, so hieß auch Muhammed Ali. Die Zuschauer verfolgten seine Kämpfe mit einem ähnlich gespannten Gesichtsausdruck, wie ihn die Leute auf dem Cover haben. An Cassius Clay schätzen Zdar und Boombass die "Großmäuligkeit". Und der Spiegel meint, daß ihre Baßlinie eine ähnliche Wucht habe wie der Schlag ihres Namenspaten. Passend zum ausgehenden Jahrtausend trägt ihr Album den Titel "1999". Das macht sich gut, "2000" ist auch schon ein bißchen verbraucht. Und schließlich gab es da ja auch noch einen Song von Prince, der ganz erfolgreich war.

Das war Anfang der Achtziger, und etwa zu der Zeit hatte Philippe Zdar wohl auch sein Schlüsselerlebnis: "Ich war zehn, als mein Vater plötzlich starb. Seitdem bin ich Hedonist und schiebe nichts mehr auf." Das merkt man den Tracks an. Nachdrücklich kehrt das Boom-Boom-Boom und Bamm-Bamm-Bamm in die House-Music zurück und macht sie wieder tanzbar. Wer da an der Tanzfläche mit verschränkten Armen stehenbleibt und verschämt an seinem Bier nippt, ist selbst schuld.

Auf Kuschel-House lassen sich Cassius gar nicht ein. Sie wollen "die Mädchen zum Schwitzen bringen". Was die Jungs angeht, dazu äußern sie sich nicht. Aber Stücke wie "99", die erste Single-Auskopplung, werden auch sie nicht kalt lassen. Natürlich bedient man sich bei altbewährten Titeln. So finden das "Foxy Brown Theme" von Willie Hutch aus dem Blaxploitation-Film mit Pam Grier und Donna Summers "Love Is Just A Breath Away" wieder Verwendung. Remixe gehören zum Geschäft und haben in den letzten Jahren zum Ruhm elektronischer Musik beigetragen.

Manchmal sind Cassius etwas redundant, etwa bei "Mister Everday" oder bei "Club Soixante Quinze". Aber so funktioniert House-Music. Daft Punk landeten mit "Around the World" einen Hit, obwohl das Stück aus kaum einer anderen Textzeile als "around the world" besteht. Einfach und eingängig muß es sein, ohne langweilig zu werden. Das funktioniert bei Cassius auch fast immer. Und schließlich muß man sich ja nicht das ganze Album anhören; wozu kann man CD-Player programmieren. Dann muß man nur noch die Sessel zur Seite schieben, den Lautstärkeregler aufdrehen und tanzen, tanzen, tanzen.

Musik, die in Cafés im Hintergrund läuft oder bei den Daily-Soaps, die kompatibel ist und überall von allen gleichermaßen gehört und geliebt wird, gibt es schon genug. Tanzen kann man dazu meistens nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Cassius muß man mögen oder es lassen. Aber auf jeden Fall sind sie eine kleine Sensation. Also Jungs, stellt euer Bier weg und gesellt euch zu den Mädels.

Cassius: "1999". Virgin