Desperados und Sanktionen

Im Irak-Konflikt wird die angebliche Neutralität der UN betont - gegen die USA

Es scheint das Schicksal der Vereinten Nationen zu sein, daß ihre vermeintliche Neutralität außer zu Festakten nur dann beteuert wird, wenn im staatlichen Konkurrenzkampf der moralisch abgestraft werden soll, dessen Interessen nicht konform mit denen der Meute sind. Die UN und die "Weltfriedensordnung" werden beschworen, gerade so, als würden Krisen und Konflikte nicht dem Kampf um Vorherrschaft und Teilhabe am kapitalistischen Weltmarkt entspringen, sondern Unwissen und Boshaftigkeit, und sie wären daher durch gutes Zureden oder einfaches Abstrafen zu lösen.

Seit den britisch-amerikanischen Luftangriffen auf den Irak im Dezember herrscht Verwirrung darüber, wer diesmal wen bestraft. Während die USA für sich in Anspruch nehmen, als einzige am UN-Mandat gegen den Irak festzuhalten, sehen die europäischen Regierungen den Weltfrieden nicht durch den Irak, sondern durch die US-amerikanische "Desperadopolitik" (taz) in Gefahr gebracht. Ausgerechnet die FAZ hatte schon zu Beginn der Krise Anfang vergangenen Jahres darauf hingewiesen, daß "das Säbelrasseln der USA am Golf" nicht dem Frieden diene, sondern der Vertretung ökonomischer Interessen. Der Ruf nach Weltfriedensordnung und UN-Mandat ist nichts weiter als ein Ausdruck manifester politischer und ökonomischer Interessen; nur diesmal nicht im Verbund mit, sondern gegen die USA.

Von Beginn an war das UN-Mandat im Irak nicht als neutrale Vermittlung gedacht, sondern als ein Instrument, um hegemoniale Interessen auch dort zu vertreten, wo die übliche Diplomatie gescheitert war. Daß die 1990 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 688 auf einen frappierenden Verstoß gegen internationales Recht - die Okkupation Kuwaits - reagierte und das irakische Regime sich fraglos nicht nur unzähliger Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung schuldig gemacht hatte, sondern auch eine Gefahr für andere Staaten der Region darstellte, steht dem nicht entgegen. Nähme man aber die postulierte Überparteilichkeit der UN als gegeben an, dann hätte der Irak schon wegen seiner Militärkampagnen gegen die Kurden seit Mitte der siebziger Jahre, spätestens aber seit Beginn des Iran-Irak-Krieges unter Embargo gestellt werden müssen.

Solange das irakische Regime durch den Krieg mit dem Iran gebunden war, blieben seine Aggressionen nützlich. Als sich die irakische Aggression gegen die labile pro-westliche Ordnung im Nahen Osten richtete, bestand vor allem für die USA, als hegemoniale westliche Macht am Golf, dringender Handlungsbedarf. Das Regime mußte in seine Schranken verwiesen, der Gefahr künftiger militärischer Aggressionen die Spitze genommen und das Land wirtschaftlich und diplomatisch bis auf weiteres aus dem Verkehr gezogen werden. Die eine Aufgabe übernahm der militärische Planungsstab der Anti-Irak-Koalition unter Leitung von US-General Norman Schwartzkopf. Der Rest wurde durch die UN-Resolution 688 und das damit verbundene Vollembargo garantiert.

Wenn heute ein Skandal darin gesucht wird, daß der US-Nachrichtendienst die UN zur Spionage gegen den Irak nutzte, dann wird damit zugleich der Widerspruch geleugnet, aus dem heraus das UN-Mandat im Irak überhaupt erst hervorgegangen ist: daß konkrete politische und ökonomische Interessen mit dem Wegfall des Blockkonfliktes im Nahen Osten nur vermittelt über die scheinbar interesselosen UN durchsetzbar und zu rechtfertigen waren.

An diesem Widerspruch scheitern seither alle Versuche, den Irak-Konflikt endlich zu beenden. Das Embargo, das darauf angelegt war, das Hussein-Regime so lange zu schwächen, bis es entweder zur Aufgabe bereit ist oder gestürzt werden kann, hat weder das eine noch das andere bewirkt, dafür aber zu einer massenhaften Verelendung der irakischen Bevölkerung geführt, die eine Rechtfertigung der Sanktionen immer schwerer macht.

Derweil ist die einstige Anti-Irak-Koalition zerbrochen. Die ehemaligen Verbündeten der USA im UN-Sicherheitsrat haben längst schon eigene wirtschaftliche Interessen und immer lauter auch hegemonialen Anspruch am US-dominierten Golf angemeldet. Rußland z.B. ratifizierte zwar die Resolution 688, protestierte aber damals schon wie China gegen deren militärische Durchsetzung und entwickelte sich unter Außenminister Jewgeni Primakow zum wichtigsten Verbündeten des Irak.

Auch Frankreich unterhält spätestens seit 1994 wieder diplomatische Beziehungen zum Irak und arbeitet über das ehemalige Mandatsgebiet Syrien eifrig an einer Reorganisation der französischen Einflußsphäre im Nahen Osten. Diesem Engagement dürfte es zu verdanken sein, daß Syrien und Irak nach zwanzig Jahren erbitterter Feindschaft erstmals wieder Beziehungen aufgenommen haben.

Alle Mitglieder der Anti-Irak-Koalition haben ihre Duftmarken am Golf hinterlassen, und mit Ausnahme Großbritanniens setzen sie auf eine Rehabilitierung des Irak. Unter den gegebenen Bedingungen und so lange die Unscom-Inspektoren im Irak noch über Giftgasfässer stolperten, war dies kaum zu erreichen.

Bislang bestand die US-Politik darin, führende Militärs des Regimes zu einem kalten Putsch zu ermuntern, der das innerirakische Machtgefüge möglichst unberührt lassen sollte. Weder die Kurden im Norden des Landes noch die bedeutungslose Exilopposition waren in den vergangenen Jahren in der Lage, eine Alternative zu bieten, während alle US-orientierten Putschversuche kläglich scheiterten.

Die strikte Weigerung, das irakische Regime ohne einen personellen Wechsel wieder anzuerkennen, während man zugleich keine Alternative anzubieten hat, konnte nur mit Hilfe der UN-Sanktionen über acht Jahre aufrecht erhalten werden. Mit dem Angriff auf den Irak sollte daher offenbar versucht werden, das Embargo vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen: Wenn sich die irakische Regierung nicht an die Auflagen hält, wird sie militärisch abgestraft.

Der britisch-amerikanische Luftangriff exekutierte das UN-Mandat gegen den Willen der UN respektive ihrer contra-amerikanischen Mehrheit im Sicherheitsrat. Die einzige Alternative dazu wäre die Aufhebung der UN-Sanktionen, weil Auflagen, die sich nicht durchsetzen lassen, sinnlos sind. Exakt dies ist die euro-russische Option, denn "es ist keine abstrakte Völkerrechtsfrage oder eine Frage des politischen Geschmacks, ob man auf dem Weg zu einer Weltfriedensordnung lieber die Uno oder die Supermacht USA hat."

Ausgerechnet Sibylle Tönnies hat in der taz aus falschen Gründen das Richtige geschrieben, als sie Außenminister Joseph Fischer das "nötige Maß Pragmatismus" bescheinigte und seine Zurückhaltung gegenüber der US-Regierung lobte. Richtig ist, daß Bonn sich eine Kritik an Washingtons Nahost-Politik kaum erlauben kann. Nicht aber, wie Tönnies hofft, um als Juniorpartner der USA im Nahen Osten mitzumischen. Sondern weil die Reihe der Peinlichkeiten und Pannen deutscher Nahost-Experimente in den vergangenen Jahren das Auswärtige Amt zur Zurückhaltung zwingt. Nur wenige Wochen vor dem britisch-amerikanischen Luftangriff war erneut eine Darmstädter Firma bei dem Versuch aufgeflogen, Ersatzteile für Scud-Raketen an den Irak zu liefern.

Weil man selbst nicht kann, wie man gerne möchte, werden höhere Instanzen vorgeschickt: die Uno, die Weltfriedensordnung oder - wie Fischer während seiner Nahost-Reise im Februar - die EU, die "über eine Änderung der Sanktionsbeschlüsse gegen den Irak nachdenke, um das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern" (FR).

Da ist die russische Regierung schon direkter: Wie der Sunday Telegraph am 13. Februar berichtete, hat die russische Regierung im Januar zugesagt, die Mig-Kampfflieger der irakischen Luftflotte für rund 280 Millionen Mark wieder fit zu machen.