Belgrad antwortet nicht

Die Luftangriffe stärken nicht nur die Separatisten der UCK, sondern auch den Rückhalt von Milosevic. Sicherheitshalber erklärte die Nato schon ihre Unterstützung für Montenegro

Vom Optimismus und dem Tatendrang der Nato-Generäle im Hauptquartier des westlichen Militärbündnisses in Brüssel ist wenig übriggeblieben. Aufgelöst laufen Militärstrategen durch die Gänge und versuchen zu verheimlichen, was der Hundertschaft an Journalisten bei den täglichen Presse-Briefings unfreiwillig präsentiert wird: Hilflosigkeit.

Knapp zwei Wochen nach Beginn der Luftschläge gegen Jugoslawien hat der Kosovo-Konflikt sogar die Geburtstagsparty zum fünfzigjährigen Bestehen des Militärbündnisses verdorben: Die Feierlichkeiten am Osterwochenende in Brüssel wurden kurzerhand abgeblasen.

Militärstrategen wie Politiker hatten sich verkalkuliert. Denn wesentlicher Faktor der Nato-Strategie - wenn man überhaupt von einer sprechen kann - ist eine Reaktion des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Belgrad aber antwortet nicht. Schließlich eint der Nato-Luftschlag auch die Bevölkerung hinter Milosevic. Vor rund zwei Jahren noch wollten Belgrader Bürger und Studenten den chauvinistischen Staatschef loswerden und trommelten auf ihren täglichen Demonstrationen für seinen Rücktritt. Jetzt trommeln die Belgrader gegen die Nato - und für Milosevic. Jeden Nachmittag versammeln sich Zehntausende Belgrader im Zentrum der jugoslawischen Hauptstadt, um sich bei Rockkonzerten Mut für die Bombenangriffe der nächsten Nacht zu holen.

Mit jeder Cruise Missile, die irgendwo in Serbien einschlägt, wird Milosevics Rückhalt in der Bevölkerung gestärkt. Dies gilt besonders für die Ende letzter Woche begonnene Phase drei der Luftangriffe, die auch Regierungsgebäude in Belgrad als Ziele vorsieht. In der Nacht von Freitag auf Samstag trafen sie das jugoslawische und das serbische Innenministerium, in dem die Nato-Planer die Kommandozentralen für die Einheiten der serbischen Sonderpolizei vermuteten. Daraufhin versammelten sich am Samstag nachmittag wesentlich mehr Menschen zum Anti-Nato-Rockkonzert im Zentrum. Auch Zoran Djindjic, Chef der demokratischen Opposition in Jugoslawien und bei den Protesten vor gut zwei Jahren Kopf der Milosevic-Gegnerschaft, ist verzweifelt: "Die Nato-Angriffe haben die demokratische Opposition extrem in die Defensive gedrängt."

Das gilt aber nicht nur in Serbien, sondern auch in der (noch) zu Jugoslawien gehörenden Republik Montenegro. Milosevic setzte am vergangenen Freitag den Kommandeur der jugoslawischen Volksarmee in Montenegro Radoslav Martinovic sowie sieben weitere hohe Militärs ab. Nach einem Bericht der offiziellen jugoslawischen Nachrichtenagentur Tanjug hätten die Abgesetzten einen Putsch gegen die Regierung geplant, um dann einen Waffenstillstand zu erreichen. Martinovic soll jetzt durch den Milosevic-treuen General Milorad Obradovic ersetzt werden. Für den montenegrinischen Präsidenten und erklärten Milosevic-Gegner Milo Djukanovic ein erster warnender Hinweis darauf, daß der Belgrader Diktator notfalls auch Montenegro autoritär auf Linie bringen wird.

Djukanovic hat aber bereits vorgesorgt und seine loyalen Polizeitruppen haben ihre Bereitschaft erklärt, sich gegen militärische Aktionen der Milosevic-Truppen zur Wehr zu setzen. Unterstützung erhält die Djukanovic-Fraktion dabei von der Nato. Wenn Milosevic gegen Montenegro vorgehen sollte, "wird er gestoppt werden", meinte Nato-Generalsekretär Javier Solana. Und die US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright beriet sich telefonisch mit einigen ihrer europäischen Kollegen bereits über ein mögliches Vorgehen der Nato in Montenegro. Auch mit Djukanovic selbst nahm die Chefin des State Department Kontakt auf.

Glaubt man allerdings einer Anekdote, die der italienische Ministerpräsident Massimo D'Alema in seinem Umfeld gerne erzählt, agiert die Nato mit ihren Luftangriffen derzeit eher planlos: Als D'Alema vor etwa einem Monat dem US-amerikanischen Präsidenten William Clinton einen Besuch abstattete, antwortete der Washingtoner Gastgeber auf die Frage nach der Dauer eines möglichen Bombardements: "Bis Milosevic das Abkommen von Rambouillet unterschreibt." Auf die Nachfrage D'Alemas: "Und was tun Sie, wenn er nicht unterschreibt?" wandte sich Clinton etwas unsicher an seinen Sicherheitsberater Samuel Berger und erfuhr von ihm: "Dann bomben wir weiter."

Dabei scheint man mittlerweile auch im Weißen Haus das Abkommen für überholt zu halten. Dies machte Clinton am letzten Donnerstag - diplomatisch codiert - deutlich: "Je länger Milosevic an den Vertreibungen der Kosovo-Albaner festhält, desto weniger sind wir gewillt zu glauben, daß die Provinz Kosovo zu Serbien gehört." Was dann aber aus der ausgetüftelten Autonomieregelung für das Kosovo innerhalb der jugoslawischen Bundesrepublik werden soll, verriet Clinton nicht. Immerhin klammern sich die europäischen Politiker der Allianz noch krampfhaft an das Vertragswerk von Rambouillet, unter das die Nato mit den Bombardements die Unterschrift von Milosevic erzwingen möchte.

Das stille Hinscheiden des Vertrages von Rambouillet, der wohl kaum noch zu realisieren sein wird, stärkt vor allem die Freischärler der Kosovo-Befreiungsarmee UCK. Sie müssen sich nun nicht mehr an das von ihnen unterzeichnete Vertragswerk gebunden fühlen, das ihnen ohnehin nur eine ungeliebte Autonomie gebracht hätte. Der ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger unterstellte den UCK-Freischärlern letzte Woche gar taktisches Kalkül: "Die haben den Vertrag von Rambouillet nur unterschrieben, um die Nato zu Luftangriffen zu bewegen."

Momentan begnügt sich die Separatistengruppe damit, ihre Stellungen im Kosovo gegen die jugoslawischen Einheiten zu halten. Ein Teil ihrer Kämpfer operiert längst von Albanien aus. Chris Landowsky, Sprecherin des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR), berichtete gegenüber Jungle World von den Rekrutierungsaktivitäten der Guerilla in Albanien: "Wir haben Kenntnis davon, daß die UCK versucht, die jungen Männer unter den Kosovo-Flüchtlingen als UCK-Kämpfer zu rekrutieren und sie zurück in das Kosovo zu schicken."

Gleichzeitig ist der Führungsstab der UCK unter ihrem Verhandlungsführer von Rambouillet Hashim Thaqi damit beschäftigt, die gemäßigten Kräfte in der politischen Führung der Kosovo-Albaner auszuschalten. In Albanien haben die Freischärler inzwischen eine neue Kosovo-Regierung gebildet, in der die Vertrauten des Kosovo-Präsidenten Ibrahim Rugova nicht mehr vertreten sind. Rugova droht sogar ein Gerichtsverfahren seiner innenpolitischen Rivalen von der UCK. Denn er besuchte am vergangenen Donnerstag das Böse mit Namen Milosevic und forderte in seinem Statement ein Ende der Nato-Luftangriffe auf das Kosovo.

Für die UCK ist das Hochverrat, und in einer ersten Reaktion meinte Thaqi, Rugova werde für seine Aussagen zur Verantwortung gezogen - auch wenn sie unter Druck zustande kamen. Bei der Nato behauptet man nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP jedenfalls, die gezeigten Aufnahmen von Milosevic und Rugova seien schon über zwei Jahre alt, der Kosovo-Präsident stehe "komplett unter der Fuchtel der Serben" und könne sich nicht frei bewegen.

Und im Kosovo selbst geht die Offensive der jugoslawischen Einheiten weiter und veranlaßt die kosovo-albanische Zivilbevölkerung zur Flucht aus der umstrittenen südserbischen Provinz. Seit Beginn der Luftangriffe, so UNHCR-Sprecherin Chris Landowsky, seien etwa 250 000 Menschen aus dem Kosovo geflohen. Und jeden Tag werden es mehr. Inzwischen helfen auch die serbischen Behörden fleißig bei der Vertreibung der Kosovo-Albaner mit. Seit vergangenem Freitag stellen die jugoslawischen Staatsbahnen zwei Züge zur Verfügung, die Tausende Flüchtlinge über die Grenze nach Mazedonien bringen. Dort werden sie nahe der Grenzstadt Blace - umstellt von mazedonischen Soldaten - auf einem Feld festgehalten. Dabei nehmen die mazedonischen Behörden in Kauf, daß in jeder Nacht mehrere Menschen aus Hunger und Erschöpfung sterben.

Mazedonien übt sich jedoch nicht in einer Balkan-Variante der üblichen europäischen Flüchtlingsabwehr, sondern versucht verzweifelt, den eigenen Staat zu retten. Die mazedonische Regierung fürchtet um die Stabilität im eigenen Land: Immerhin ist ein knappes Drittel der Mazedonier albanischer Herkunft. Der Zustrom von - durch die serbischen Aktionen und durch UCK-Propaganda aufgehetzten - kosovo-albanischen Flüchtlingen, könnte ein Aufflammen des Nationalismus unter den bislang recht staatstreuen albanischen Mazedoniern begünstigen.

Am Samstag verfügte der Sicherheitsrat der mazedonischen Regierung in Skopje gar, keine weiteren Flüchtlinge aus dem Kosovo mehr aufzunehmen. Einen Tag darauf wurde die Entscheidung wieder rückgängig gemacht. Statt direkt an der Grenze sollen die Flüchtlinge künftig in einer von der Nato aufgebauten Zeltstadt vorübergehenden Unterschlupf finden. Außerdem werden seit Sonntag Flüchtlinge per Luftbrücke von der mazedonischen Hauptstadt Skopje nach Norwegen, Griechenland oder in die Türkei gebracht.

In Skopje sitzt auch die bisher im Kosovo stationierte OSZE-Beobachtermission. Noch-Missionschef William Walker hat im noblen Alexander Palace-Hotel in der mazedonischen Hauptstadt einen Hofstaat um sich gesammelt, der so tut, als würde jederzeit eine Rückkehr in das Kosovo möglich sein. "Wir gehen mit der Nato rein. Da brauchen wir keine Visa", verkündete Walker letzte Woche. Über gute Kontakte zur Nato verfügt der US-Amerikaner ja: Nach der Jungle World vorliegenden Informationen, spionierten die OSZE-Beobachter in den vergangenen Monaten für die westliche Allianz mögliche Ziele aus. Als Schlichtungsinstrument kann die OSZE im Kosovo daher wohl kaum eingesetzt werden.

Die Balkan-Experten des Westens haben sich aber schon zum erneuten Brainstorming zusammengesetzt. Lord David Owen, bis Ende 1994 Vermittler in Bosnien-Herzegowina, regte beispielsweise am vergangenen Freitag die Durchsetzung eines kühnen Planes an: Der Norden des Kosovo könnte bei der Bundesrepublik Jugoslawien bleiben, der Süden in die Selbständigkeit entlassen werden. Als Gegenleistung solle die internationale Gemeinschaft Milosevic den östlichen Teil der nun zu Bosnien-Herzegowina gehörenden Republik Srpska anbieten.

Im Büro des Hohen Repräsentanten Carlos Westendorp in Sarajevo hält man davon nichts: Das würde zur Folge haben, daß auch die Kroaten in der Herzegowina sich Kroatien anschließen wollten. Für Bosnien bliebe dann nur noch ein winziger Streifen Land.