Gewerkschaften lenken beim Bündnis für Arbeit ein

Lohnleidlinien

Das waren noch Zeiten, als Oskar Lafontaine den Gewerkschaften vor zwei, drei Jahren Druck von links machte, sie sollten doch bitteschön ihre bescheidene Lohnpolitik sein lassen, Herrn Kohl den Rücken kehren und lieber für einen Regierungswechsel Stimmung machen. Gesagt, getan. Kaum aber hat Lafontaine angekündigt, sein einziges Statement werde eine Rede auf der Saarbrücker Mai-Demo sein, gibt es bei den Gewerkschaften kein Halten mehr.

Bei den Gesprächen über das sogenannte Bündnis für Arbeit soll nun doch über die künftige Lohnpolitik geredet werden. Jedenfalls, wenn es nach den Vorstellung von Herbert Mai, Chef der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, geht. Allerdings lehnt Mai noch Lohnleitlinien ab. In den Gesprächen könne keine Obergrenze für Lohnerhöhungen festgelegt werden, weil die Tarifparteien, die Unternehmerverbände und Gewerkschaften unabhängig von der Politik verhandelten. Aber: Die vom Bündnis für Arbeit gesetzten Rahmenbedingungen hätten trotzdem Signalwirkung, so Mai. Ähnlich argumentieren mittlerweile auch die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft und die IG Bergbau, Chemie und Energie.

Faktisch bedeutete dies eine fundametale Umstrukturierung der Tarifpolitik in Deutschland: Ähnlich wie in den Niederlanden würde ein Gremium aus Regierungsvertretern, Gewerkschafts- und Unternehmerfunktionären auskungeln, wie viel die Beschäftigten in den einzelnen Branchen ungefähr zu verdienen hätten. Die branchenbezogenen Streiks und sonstigen Aktionen wären somit obsolet; sie hätten nur noch den Sinn, die vorgegebenen Lohnkorridore zu konkretisieren: auf einer nur noch nach unten offenen Skala.

Kein Wunder, daß die IG Metall - die größte Einzelgewerkschaft der Welt - dies derzeit noch ablehnt, würde doch damit ihr politischer Einfluß erheblich schwinden. IG-Metall-Chef Klaus Zwickels Klassenkampfanalyse: Die Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen habe auch etwas mit gesellschaftlicher Macht zu tun. Einer der Faktoren seien die Arbeitgeber, die jede Schwäche ihrer Gegenseite sofort nutzten. Deshalb sei gewerkschaftliche Gegenmacht notwendig.

Daß Zwickel recht hat, wo er recht hat, zeigt die Reaktion der Unternehmer: Ohne einen Konsens über die langfristige Gestaltung der Lohnpolitik, so der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, werde es kein Bündnis für Arbeit geben. Daß die Gewerkschaften aber für ihre Bescheidenheit, die noch lange nicht beendet ist, belohnt würden - das ist nicht vorgesehen: "Es wird von der Wirtschaft keine quantifizierten Aussagen über die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen geben", so Hundt. Auf nach Saarbrücken.