Always anders - Coca-Cola

Weltumspannende Symbolsysteme oder Einheitskonsumkultur? Joana Breidenbach und Ina Zukrigl untersuchen, wie sich kulturelle Identitäten in der globalisierten Welt verändern

Heute, im Zeitalter des Kapitals, ist die ökonomische, politische, wissenschaftlich-technische und militärische Vorherrschaft Europas, Nordamerikas und Japans über alle übrigen Regionen der Welt nahezu total geworden. Die schließliche weltweite Durchsetzung des westlichen Zivilisationsmodells scheint unaufhaltsam und unumkehrbar zu sein. Es ist jedoch nach wie vor strittig, welche Auswirkungen die globale Zirkulation von Kapital, Waren, Technologien und Ideen auf die traditionellen Kulturen, Weltbilder und Mentalitäten hat.

Häufig wird behauptet, daß die Globalisierung des Kapitals früher oder später zur Herausbildung einer weltumspannenden McDonald's-, "Dallas"- und Coca-Cola-Einheitskultur führe, die auch sämtliche Wahrnehmungs- und Denkformen gleichschalten werde. Oder aber es wird darüber spekuliert, daß die traditionellen regionalen Kulturen, die sich von der Globalisierung in die Enge getrieben fühlen, mehr und mehr dazu tendieren, sich auf sich selbst zurückzuziehen, sich gegeneinander abzuschotten, um mit allen Mitteln ihre Autonomie zu erkämpfen.

In ihrem Buch "Tanz der Kulturen" unternehmen die Ethnologinnen Joana Breidenbach und Ina Zukrigl den Versuch, diese beiden Behauptungen zu widerlegen und den Kulturbegriff zu demontieren, auf den sich beide Thesen berufen. Eher schwach fällt dagegen der zweite Teil des Buches aus, in dem die Autorinnen Beiträge zu einem alternativen Verständnis der Globalisierung der Kultur vorstellen.

Der herkömmliche romantisch-reaktionäre Kulturbegriff, der gegenwärtig noch von allen politischen Lagern in Anspruch genommen wird, ist nicht erst heute völlig obsolet geworden, er hat noch nie viel getaugt. Er postuliert, daß es sich bei allen genuinen Kulturen um statische, ortsgebundene, in sich geschlossene, ursprüngliche Sinnwelten handelt, die gegenüber allen materiellen und symbolischen Kräfte- und Machtverhältnissen autonom sind. An dieser Konstruktion ist schlichtweg alles falsch. Breidenbach und Zukrigl demonstrieren das im einzelnen sehr anschaulich anhand von Fallbeispielen, die sie der neueren ethnologischen Literatur entnommen haben.

Nach ursprünglichen, unverfälschten Kulturen kann man lange vergeblich suchen; mittlerweile hat sich gezeigt, daß selbst die egalitär-anarchistische Jäger- und Sammler-Kultur der Buschmänner alles andere als archaisch ist. Zu Jägern und Sammlern wurden die Buschmänner erst durch den weißen Kolonialismus gemacht, zuvor bildeten sie eine streng hierarchisierte Gesellschaft von Viehzüchtern. Und sie waren von Anfang an vielfältigen Einflüssen aus ihnen fremden Kulturen ausgesetzt. Ähnliches hat man kürzlich über die Ureinwohner Japans, die Ainu, herausgefunden. Ihre egalitäre gesellschaftliche Organisation ist das Ergebnis jahrhundertelanger gewaltsamer Auseinandersetzungen mit der japanischen Klassengesellschaft.

Wie fragwürdig es ist, Kulturen als statische und autarke Gebilde aufzufassen, zeigt deutlich das Beispiel der Republik Belize. Noch in den frühen siebziger Jahren bestritten die meisten ihrer Einwohner die Existenz einer eigenständigen belizianischen Kultur und Identität. Erst als Antwort auf die Globalisierung entstand eine nationale Identität, und erst in diesem Kontext wurden kulturelle Besonderheiten wiederentdeckt oder synthetisch erzeugt.

So wenig der herkömmliche Kulturbegriff taugt, so wenig nutzt das damit häufig verbundene Rezeptionsmodell, wonach die Botschaften der mittlerweile weltweit zirkulierenden Konsum- und Kulturgüter überall auf dieselbe dumpf-passive Art und Weise empfangen werden würden. Insbesondere die Produkte der amerikanischen Trivialkultur sollen danach eindeutige Botschaften aussenden, deren Sinn ohne größere intellektuelle Anstrengungen entziffert werden könnten. Breidenbach und Zukrigl zeigen dagegen, daß dieses Modell dem vielschichtigen Rezeptionsvorgang nicht gerecht werden kann. Der Konsum von Gütern jedweder Art verlangt eine komplexe symbolische Aneignungsleistung und setzt die Beherrschung der dafür erforderlichen Appropriationsinstrumente voraus. Konsum ist in Kämpfe um Macht, Prestige und soziale Anerkennung eingebunden, materielle und symbolische Güter werden deshalb strategisch verwendet, wodurch sie einer ständigen Deutung und Umdeutung unterzogen werden. Ein paar Beispiele:

In Trinidad erreicht die Soap-Opera "The Young and the Restless" phantastische Einschaltquoten. Eigentümlicherweise beruht ihr phänomenaler Erfolg im wesentlichen darauf, daß die Zuschauer in der US-Serie ein subversives Potential entdeckt zu haben glauben. Die Serie wird so interpretiert, als deckte sie die zentralen Antagonismen der trinidadischen Gesellschaft auf. Aus Sicht der Zuschauer bringt die Soap vor allem "Bacchanal" zum Ausdruck - ein Schlüsselbegriff der trinidadischen Kultur, der so viel wie Chaos, Skandal, Wahrheit, Entlarvung bedeutet.

In Japan und Brasilien wurde die Familiensaga "Dallas" nach wenigen Folgen eingestellt. Niemand interessierte sich dafür. In den arabischen Ländern rief "Dallas" häufig Gefühle des Abscheus und der Empörung hervor.

Auf Haiti ist Coca-Cola inzwischen zum festen Bestandteil von Voodoo-Zeremonien geworden. In Japan werden die Cola-Flaschen bei traditionellen religiösen Zeremonien verwendet. Die Form der Flasche, die an den Körper einer Schwangeren erinnert, macht sie dafür besonders geeignet.

In England ist indisches Essen weitaus beliebter als amerikanisches Fastfood. In Deutschland werden erheblich mehr Döner als McDonald's-Hamburger verzehrt.

Aber auch von Elemente der eigenen Kultur wird strategisch Gebrauch gemacht. In Malaysia kam es beispielsweise Anfang der achtziger Jahre wiederholt zu Fällen von "Besessenheit". Junge Fabrikarbeiterinnen behaupteten, der böse Geist "kanu hantu" habe sich ihrer bemächtigt. Eigentümlicherweise stellten sich diese Anfälle von Besessenheit immer dann ein, wenn die Arbeiterinnen extrem belastenden Arbeitsbedingungen bzw. den Schikanen von Vorarbeitern ausgesetzt oder mit widersprüchlichen Rollenerwartungen konfrontiert waren.

Die Globalisierung des Kapitals und die weltweite Vernetzung führen, so das Fazit der Autorinnen, zu einer Vervielfältigung der kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten und bringen unaufhörlich neue komplexe Kulturen hervor. Die neuen Kulturformen, Weltbilder, Lebensstile usw. sind durch ein enges Geflecht von Beziehungen zu einem globalen Kultursystem zusammengeschlossen. Weil alle neuen Kulturen sich am selben globalen Zeichensystem orientieren, kann sich jede in jeder spiegeln. Und alle Kulturen können sich so auch untereinander verständigen.

Breidenbach und Zukrigl fügen der Vollständigkeit halber noch hinzu, daß die Globalkultur von ungleichen Machtverhältnissen geprägt sei. Doch leider wird diese Einsicht von den Autorinnen bald außer acht gelassen. Statt dessen verkünden sie den Anbruch eines herrlichen postmodernen Zeitalters, in dem gesellschaftliche Klassen und Klassenkämpfe sukzessive durch Lebensstilgruppen verdrängt werden, die nichts Besseres zu tun haben als zu konsumieren. "Aber warum sollte der Aufruf 'Konsumenten aller Welt, vereinigt Euch' nicht den alten Schlachtruf 'Arbeiter aller Welt, vereinigt Euch' erfolgeich ersetzen können?" Ja, warum wohl?

Joana Breidenbach/Ina Zukrigl: Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisieren Welt. Verlag Antje Kunstmann. München 1998, 256 S., DM 36