Entwickungshilfe für Bonn

Nachhaltigkeit, Global Governance, Zivilgesellschaft: Heidemarie Wieczorek-Zeul betreibt die verbale Modernisierung der Entwicklungspolitik

"Entwicklungspolitik steht wieder im Zentrum von Regierungspolitik." Lag noch unter der CDU/CSU/FDP-Koalition die Integration des Bundesministeriums für Zusammenarbeit (BMZ) in das Auswärtige Amt nicht im Bereich des Unmöglichen, sind heute aus dem Amt große Töne zu vernehmen: "Inhaltlich wollen wir uns in die Gestaltung globaler Rahmenbedingungen einbringen", versprach Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) gegenüber der taz. Nachdem sich das Ministerium seit 1982 fest in Händen der CSU befunden hat, soll jetzt, so suggerieren die "Rote Heidi" und ihre grüne Staatssekretärin Uschi Eid, ein frischer Wind ins Haus kommen.

Als ersten Erfolg vermeldete die Ministerin dabei eine Aufstockung des Budgets: Die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit seien mit einer Steigerung um 1,8 Prozent und 124 Millionen Mark entscheidend erhöht worden, jubilierte Wieczorek-Zeul. Bezogen auf das Vorjahr ist das durchaus richtig. Gegenüber den Jahren 1991 bis 1993 ist das allerdings eine halbe Milliarde weniger, und das bei vergrößerten Kompetenzen. Auch unter rot-grüner Ägide beträgt der Anteil der Entwicklungshilfe damit ganze 0,3 Prozent des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik. Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) fordern seit Jahren die Aufstockung des Budgets auf einen Anteil von 0,7 Prozent. Die Bundesregierung selbst hatte sich schon 1971 zum Erreichen dieser Marge verpflichtet.

Heidemarie Wieczorek-Zeul indes sieht ihr Ministerium nicht nur in finanzieller Hinsicht aufgewertet. Mit der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU ist ihr die Aufgabe der Koordination europäischer Entwicklungspolitik zugefallen. Außerdem hat sie einen Platz im Bundessicherheitsrat erhalten und will in diesem Gremium eine Initiative gegen Handfeuerwaffen starten. Auch für eine "restriktivere Handhabung deutscher Waffenexporte in Entwicklungsländer" hat sich Wieczorek-Zeul ausgesprochen, wobei es - Beispiel Türkei - bisher auch geblieben ist. Daneben möchte die Ministerin die Einrichtung eines internationalen zivilen Friedensdienstes unterstützen.

Die neuen Wunschpartner zum Erreichen dieses Zieles sind die Nicht-Regierungsorganisationen. Sie sollen den Aufbau von "Demokratie" und "Zivilgesellschaft" in den Ländern des Südens unterstützen. Überhaupt ist Zivilgesellschaft das neue Zauberwort im ehemaligen Hause Spranger. "Frieden und Entwicklung sind langfristig nur möglich, wenn in den Entwicklungsländern alle Bevölkerungsgruppen ihre Interessen und Vorschläge äußern können, die dann bei den politischen Entscheidungen im Sinne eines Konsens berücksichtigt werden", erklärte Wieczorek-Zeul Anfang des Jahres bei einem Vernetzungstreffen von europäischen Entwicklungsministern und NGO-Vertretern.

Neben Begriffen wie "nachhaltige Entwicklung" und "Zivilgesellschaft" hat noch ein weiteres Konzept der entwicklungspolitischen Lobby Einzug ins BMZ gehalten: das der "globalen Strukturpolitik" oder, wie es anderswo heißt, der Global Governance. Ausgehend von der Feststellung, daß für Umwelt- und sonstige Probleme zunehmend Regelungen jenseits der Nationalstaaten gefunden werden müssen, meint Global Governance das Projekt einer Verzahnung von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren und verschiedenen Entscheidungsebenen. Als Akteure können dabei transnationale Konzerne ebenso fungieren wie Nichtregierungsorganisationen. Was zunächst nach Basisdemokratie klingt, berücksichtigt die Machtunterschiede beispielsweise zwischen den NGO aus dem Norden und denjenigen aus dem Süden in der Regel kaum. Da verwundert es nicht, daß die traditionellen Instrumente hegemonialer Steuerung keineswegs abgeschafft werden. Folgerichtig verspricht auch das Programm des BMZ mehr Präsenz in den internationalen Gremien IWF, Weltbank und UN.

Einem großen Unternehmen jedoch hat sich das BMZ verschrieben: der Entschuldung. Zum Weltwirtschaftsgipfel in Köln Anfang Juni will die deutsche Regierung den Vorschlag einbringen, den ärmsten hochverschuldeten Ländern die Schulden zu erlassen. Das würde, was die BRD betrifft, einen Schuldenerlaß von etwa 1,5 Milliarden Mark für Nicaragua, Honduras, Bolivien, Guyana und die Elfenbeinküste bedeuten. Außerdem sollen einige Länder die Möglichkeit eines Schuldenerlasses bei IWF und Weltbank bereits nach drei statt wie bisher sechs Jahren erhalten. Voraussetzung dafür sei, so teilt das BMZ mit, eine "sozial verantwortungsvolle, zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik" der jeweiligen Regierungen. Zudem soll die Obergrenze des Schuldenerlasses von bisher maximal 80 in Ausnahmefällen auf 100 Prozent angehoben werden.

Wieczorek-Zeul betonte vergangene Woche bei einem Treffen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, daß Vorschläge von Kirchen und NGO in das Projekt eingegangen seien, und erklärte ihre "Sympathie im Grundsatz" gegenüber den Forderungen der Kampagne "Erlaßjahr 2000". Deren AktivistInnen warnen jedoch, daß der Vorschlag der Regierung zu wenige Länder berücksichtige. Außerdem werde die Forderung nach einem internationalen Insolvenzrecht, derzufolge ein Schiedsgericht anstelle der Gläubiger über Zahlung und Erlaß von Schulden entscheiden soll, vernachlässigt.

Immerhin hat sich die Ministerin auch zum Alleingang bereit erklärt: Sollte nach dem G8-Gipfel in Köln kein weitreichendes Abkommen zur Entschuldung im Jahr 2000 zustandekommen, so würde die Bundesregierung doch drei Milliarden Mark für einen Schuldenerlaß aufbringen, erklärte sie gegenüber dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Das könnte auch notwendig werden. Weltbankpräsident Jim Wolfensohn und Währungsfonds-Direktor Michel Camdessus haben bei der Eröffnung der Frühjahrstagung der Bretton-Woods-Institute bereits erklärt, weder der Weltbank noch dem IWF stünden Mittel zur Verfügung, um eine Entschuldung zu finanzieren. Eine Vereinbarung über die gemeinsame Schuldeninitiative sei auch nicht im Juni in Köln zu erwarten.

Die Großzügigkeit des Bundesministeriums für Zusammenarbeit, so darf man aus einer Veröffentlichung der vergangenen Woche schließen, ist nicht ganz uneigennützig. 240 000 Arbeitsplätze, das gab das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung bekannt, seien in Deutschland im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit zwischen 1976 und 1995 gesichert worden. Die grüne Staatssekretärin Uschi Eid präzisierte auf einer Veranstaltung des "Dritte-Welt-JournalistInnen-Netzwerks" Ende März: Nicht-Regierungsorganisationen, die Lobbyarbeit im Inland leisteten, seien schließlich wichtiger als jene, die sich für den Bau eines Brunnens in Burkina Faso einsetzten. Zudem, so das ifo-Institut weiter, biete die Entwicklungs "Investitionsfelder" für deutsche Unternehmen und habe "Marktöffnungsfunktion" für den Absatz deutscher Produkte in den Entwicklungsländern.

In den Genuß bundesdeutscher Entwicklungshilfepolitik kommt derzeit auch - Bonn am Rhein: Als Ausgleich für die Region, die mit ihrem Charakter als Regierungssitz viele internationale Ämter und Institute verliert, wurde festgelegt, hier einen "Standort für Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen" aufzubauen. Neben fünf anderen Ministerien bleibt deshalb auch das BMZ in Bonn. 145 Einrichtungen aus dem entwicklungs- und umweltpolitischen Bereich sind mittlerweile in der sogenannten ABC-Region (Aachen, Bonn, Cologne) angesiedelt. Sie alle hatten große Wegebereiter: Schon seit 1985 arbeitet das UN-Sekretariat zum Schutz wandernder wildlebender Tierarten in Bonn, mittlerweile verstärkt durch das Sekretariat zum Schutz der Fledermäuse in Europa.