Resolutes Sowohl-als-auch

Ein klares "Nein" zu den Nato-Angriffen kommt den meisten DGB-Funktionären nur schwer über die Lippen

Den rund 2 000 in der IG Medien organisierten Hamburger Journalistinnen und Journalisten flatterte unlängst ein Brief ihres Vorsitzenden Jürgen Bischoff ins Haus. "Dieser Krieg beschäftigt die Gemüter", teilte Bischoff seinen "lieben Kolleginnen und Kollegen" mit und sinnierte über ein Schild mit der Aufschrift "Wer schweigt, bombt mit", das eine Demonstrantin während des Ostermarsches hochgehalten hatte.

"Die Demonstrantin irrt", heißt es in dem Schreiben, denn "wer schweigt, bombt nicht mit; wer schweigt, weiß vielleicht nur noch nicht, was er sagen soll." Diejenigen, die forderten, das Regime Milosovics wegzubomben, seien keine "Kriegstreiber und Bellizisten", so Bischoff, ebenso wie diejenigen, die das Ende der Bombardements forderten, keine weltfremden Befürworter des "Massenmords an den Kosovaren" seien.

Die Argumente des Hamburger IG-Medien-Chefs stehen stellvertretend für das entschiedene Sowohl-als-auch der meisten Gewerkschafts-Funktionäre. Lediglich 3 286 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter - von 8,2 Millionen - sind da weniger gespalten. In einem Appell zum 1. Mai forderten sie, sich der "Logik der militärischen Eskalation" zu verweigern. Neben dem sofortigen Stopp der Bombardements verlangen sie auch das "Ende von Verfolgung und Vertreibung der Menschen im Kosovo". In offenem Gegensatz zu DGB-Chef Dieter Schulte, der der rot-grünen Regierung bereits einen Tag vor Beginn des Nato-Krieges die gewerkschaftliche Unterstützung zugesichert hatte, endet der von IG-Medien-Chef Detlef Hensche, der Vorsitzenden der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen Margret Mönig-Raane und anderen DGB-Vorstandsmitgliedern erstunterzeichnete Aufruf auch damit, "Krieg als Mittel der Politik zu ächten".

Die Führung des DGB und die meisten Vorsitzenden der Mitgliedsgewerkschaften üben sich derweil im Schulterschluß mit der "neuen Regierung". Schließlich war der DGB noch vor wenigen Monaten mit einer Acht-Millionen-Mark-Kampagne angetreten, die Massen für eine "andere Politik" zu mobilisieren. Wegen der paar Bomben, so das Kalkül der DGB-Spitze, könne man nun die frisch gekürte Wunschregierung nicht einfach im Regen stehen lassen. "Neues Handeln. Für unser Land" hieß es auf den offiziellen Mai-Plakaten. Der Krieg kam erst an zweiter Stelle.

DGB-Chef Dieter Schulte gab am Samstag in Dortmund die gewerkschaftlichen Prioritäten vor: Erst wenn "das mörderische Treiben der serbischen Armee" aufhöre, könne der "zweite Schritt" folgen - eine Pause der Luftangriffe. Zugunsten des Auftrages "Nie wieder Auschwitz" dürfe auf das Postulat "Nie wieder Krieg" verzichtet werden, begründeten sowohl Schulte als auch seine Stellvertreterin Ursula Engelen-Kefer ihre Zustimmung zu den Nato-Angriffen. Sonst, so die DGB-Vize in Köln, hätten "gerade wir als Deutsche" nichts aus der Geschichte gelernt.

ÖTV-Chef Herbert Mai verzichtete in Ingolstadt gleich ganz darauf, das Wort Krieg in den Mund zu nehmen und sprach statt dessen von "dunklen Wolken des Balkan-Konflikts". Und in Zwickau nahm sich IG Metall-Chef Klaus Zwickel der zwiespältigen Gemütslage seiner Gewerkschafter an: Wer bei "brutalen Menschenrechtsverletzungen und drohendem Völkermord" schweige, mache sich mitschuldig - "aber wer militärisch eingreift, Bomben wirft und damit neues Leid schafft, macht sich auch schuldig", so der Metallgewerkschafter. Dennoch sehe er keinen Grund, die Nato als Kriegstreiberin zu verunglimpfen, es gebe aber auch keinen Anlaß, den Militäreinsatz als "gerechten Krieg" zu verteidigen.

Dagegen glänzte Zwickels Vorstandskollege Horst Schmitthenner fast schon durch Klarheit: In Hanau bezeichnete er die Nato-Angriffe als "inhumane, völkerrechtswidrige und verhängnisvolle Aggression". Die "perverse Präzision der Nato-Angriffswellen" zeige immer katastrophalere Folgen. Sein entschiedenes Nein zur "Nato-Aggression" dürfe allerdings nicht als "Sympathieerklärung für das Belgrader Regime" mißverstanden werden. Den Angriffs-Befürwortern hielt er entgegen: "Wenn es wirklich darum ging, Vertreibung und Mord im Kosovo zu beenden, dann war der militärische Angriff ein einziger Fehlschlag."

Weil nach sechs Wochen Krieg das Ziel, "Vertreibungen, Menschenrechtsverletzungen und Gewalt im Kosovo zu verhindern", in "weite Ferne" gerückt sei, plädierte IG Medien-Chef Detlef Hensche in Berlin für ein "Ende der Luftangriffe auf Jugoslawien". Alleingänge der Nato als Weltpolizei aus eigener Machtvollkommenheit wiesen in die falsche Richtung. Die Antwort auf die Frage freilich, ob er bei "Erreichen des Kriegszieles" die Nato-Aktionen gutgeheißen hätte, blieb Hensche schuldig.

In Hamburg schließlich forderte eine Gruppe Gewerkschafter um den Schauspieler Rolf Becker "Dialog von unten statt Bomben von oben" und rief Bundesregierung und DGB-Führung auf, Treffen mit "gewählten jugoslawischen Gewerkschaftern" zu ermöglichen. Unterstützt wird dieses Ersuchen von der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, dem Ehepaar Inge und Walter Jens und dem Völkerrechtler Norman Paech. Man wolle insbesondere mit Beschäftigten der zerstörten Autofabrik Zastava in Kragujevac und von Raffinerien und Chemiebetrieben zusammenkommen.