Relevante Ermittlungen

Seit einem Jahr kriminalisiert die Polizei die Passauer Antifa-Szene - ohne konkrete Tatvorwürfe

Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) nimmt sich Zeit, viel Zeit. Schließlich gilt es, antifaschistische Zusammenhänge auszukundschaften: Seit genau einem Jahr laufen nun die Ermittlungen gegen mittlerweile 33 AntifaschistInnen aus Passau wegen des Verdachts auf "Bildung einer kriminellen Vereinigung".

Der Paragraph 129 gibt den ErmittlerInnen in der Zwischenzeit die Handhabe, nicht nur die Beschuldigten, sondern auch deren gesamten Bekanntenkreis zu durchleuchten. Es liegt also durchaus im Interesse des LKA, die Ermittlungen auf eine möglichst lange Zeit auszudehnen. Über deren Dauer zeigt sich mittlerweile selbst der zuständige Münchner Staatsanwalt Stefan Anthor gegenüber Jungle World erstaunt: "Ich hatte erwartet, bereits

die Ergebnisse des LKA auf meinem Schreibtisch zu finden, doch offenbar haben sich die Ermittlungen verzögert." Durchaus wahrscheinlich sei allerdings ein Abschluß innerhalb der nächsten vier Wochen. Sollte es zu einer Anklage kommen, drohen den Betroffenen bis zu fünf Jahre Haft.

Am 12. Mai letzten Jahres wurden um sechs Uhr morgens auf Geheiß des baye-rischen LKA bundesweit 36 "Objekte" - Wohnungen, Autos und Arbeitsplätze - durchsucht und die Beschuldigten teilweise erkennungsdienstlich behandelt. Rechtfertigung: Der Verdacht lautet, daß "spätestens seit 1993 eine Gruppe von insgesamt 39 Personen des 'antifaschistischen' Spektrums Passau innerhalb eines organisatorischen Rahmens (möglicherweise identisch mit der 'Antifaschistischen Aktion') Straftaten" verübe.

Die Staatsanwaltschaft geht von mehr als 100 Straftaten wie Raub, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Bedrohung seit 1993 aus, doch keinem der Beschuldigten wurden bislang konkrete Tatvorwürfe genannt. Nach genau einem Jahr haben die Betroffenen trotz Teilakteneinsicht kaum mehr Informationen von den Behörden erhalten. Gesucht wurde im letzten Mai denn auch ganz allgemein nach "Gegenständen, die den Bezug des Beschuldigten zum 'antifaschistischen' Spektrum", Mitgliedschaften in antifaschistischen Gruppen oder die "Einbindung in die Organisierung" belegen sollten.

Selbst gesetzlich garantierte Grundrechte finden Erwähnung in den Akten des LKA: Politisches Engagement im "Kampf gegen Apartheid" wird offenbar ebenso im Rahmen der Ermittlungen für relevant gehalten wie "Widerstand gegen den Golfkrieg II" oder die Teilnahme an Demonstrationen für ein "Autonomes Jugendzentrum".

"Ziel der Ermittlungen ist vor allem die Zerstörung von Strukturen, indem man den Leuten einfach für lange Zeit ihre Arbeitsmittel entzieht, ihnen ihre Computer wegnimmt und die Leute kriminalisiert", beurteilt die Münchner Rechtsanwältin Angelika Lex das Vorgehen der Behörden. Insbesondere bei den Jüngeren unter den Beschuldigten seien die BeamtInnen auch bei den Eltern aufgetaucht und hätten so zusätzlichen Druck erzeugt.

"Bei den Durchsuchungen haben die Ermittler alles mögliche beschlagnahmt, auch Dinge, die ganz offensichtlich nichts mit dem Vorwurf zu tun haben", stellt Lex fest. Neben Computeranlagen und Zubehör, Arbeitsunterlagen, Flugblättern und Adreßbüchern wurden auch persönliche Briefe und Aufzeichnungen mitgenommen. Einige der Durchsuchten haben zwar inzwischen einen Teil ihres Eigentums zurückerhalten, ein großer Teil - vor allem sämtliche Computer - befindet sich noch in den Händen der Behörden. Neben der Durchleuchtung antifaschistischer Zusammenhänge dient die Durchsuchungsaktion daher wohl auch der Behinderung ihrer Aktivitäten.

Besonderen Wert legen die ErmittlerInnen vom bayerischen LKA in ihren Akten auf die persönlichen Kontakte der oder des Beschuldigten zu "Angehörigen des 'antifaschistischen' Spektrums Passau". Denn unter diesen seien "50 Prozent ihrerseits mit politisch motivierten Straftaten, die im Rahmen des 'antifaschistischen' Aktionismus verübt worden waren, in Erscheinung getreten". Schon allein durch ihre FreundInnen und ihre Gesinnung wird so der Eindruck erweckt, die (ehemaligen) Passauer AntifaschistInnen seien potentielle Kriminelle.

Inzwischen sind zu den ursprünglich namentlich bekannten 28 Beschuldigten weitere fünf hinzugekommen. Die Staatsanwaltschaft München I hat außerdem drei Personen aus deren weiterem Umfeld als ZeugInnen vorgeladen. Zwei davon haben die Aussage verweigert, die ErmittlerInnen können aber versuchen, sie mit Beugehaft bis zu einem halben Jahr oder Bußgeld bis zu 1 000 Mark zu einer Aussage zu zwingen.

Während der größte Teil der Presse dieser wohl größten Repressionswelle der letzten Jahre kaum mehr als eine kleine Meldung widmet, haben sich bundesweit antifaschistische Gruppen und Medien mit den (ehemaligen) PassauerInnen solidarisiert. Mit zahlreichen Konzerten, CDs, Postkarten und Infoveranstaltungen haben AntifaschistInnen in vielen Städten versucht, Öffentlichkeit zu schaffen und das für AnwältInnen dringend benötigte Geld zu besorgen. Sollte es tatsächlich zu einer Anklage kommen, wächst der finanzielle Druck auf die Betroffenen weiter. Die Rechtshilfegruppe Passau bittet daher nach wie vor um Unterstützung (Raiffeisenbank Passau, Kennwort: 12. Mai, Kontonummer 360 82 98, BLZ 740 900 00).

Auch viele Eltern der Betroffenen haben sich öffentlich mit der antifaschistischen Einstellung ihrer Angehörigen solidarisiert: Im Oktober 1998 gründeten sie gemeinsam mit anderen UnterstützerInnen in Passau das Komitee für Kritische Öffentlichkeit (KKÖ), "aus der Notwendigkeit heraus, etwas gegen die Kriminalisierungswelle zu tun, die sich sowohl gegen junge AntifaschistInnen als auch gegen zivilcouragierte BürgerInnen richtet, die sich in Passau gegen Rechtsextremismus engagieren". Mit Infoständen, Flugblättern, Diskussionsveranstaltungen und Interviews tragen die Mitglieder des KKÖ seitdem dazu bei, die Öffentlichkeit über das Vorgehen des LKA aufzuklären.